Kekshersteller:Bahlsen beschäftigte mehr Zwangsarbeiter in der NS-Zeit als bisher bekannt

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Das Stammhaus von Bahlsen befindet sich in Hannover. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Bahlsen hatte Historiker beauftragt, seine Geschichte in der NS-Zeit aufzuarbeiten. Die Ergebnisse: Mehr als 800 Zwangsarbeiter sollen für die Firma gearbeitet haben. Sie war Nutznießer der NS-Diktatur.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Einen ausführlichen Blick in die eigene Vergangenheit zu werfen, kann schmerzhaft sein. Vor allem dann, wenn sie wie bei der Firma Bahlsen 135 Jahre zurückreicht und viele Umbrüche erlebte. 1889 gegründet, gibt es den Kekshersteller auch heute noch, er war „Nutznießer der NS-Diktatur und der Kriegswirtschaft“. So steht es in einer auch als Buch veröffentlichten Studie, die die Bahlsen-Familie in Auftrag gegeben hatte. Mehr als 800 Zwangsarbeiter haben demnach zwischen 1940 und 1945 für Bahlsen gearbeitet, mehr als 200 waren bisher bekannt. „Das Unternehmen drängte auf Zuweisungen“, schreiben die Historiker Hartmut Berghoff und Manfred Grieger. Bahlsen griff demnach gerne auf die von den zuständigen NS-Arbeitslenkungsstellen angebotenen Arbeitskräfte zurück.

Es hat lange gedauert, bis sich die Bahlsens daran machten, die eigene Geschichte in der NS-Zeit aufarbeiten zu lassen. Erst ein folgenreicher Auftritt von Verena Bahlsen, der Urenkelin des Gründers Hermann Bahlsen, im Jahr 2019 brachte die Familie dazu. Damals hatte Verena Bahlsen gesagt, das Unternehmen hätte die Zwangsarbeiter „genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt“, was angesichts der Verharmlosung große Empörung auslöste. Verena Bahlsen entschuldigte sich später.

Geringere Löhne, weniger Essen

„Viele Details aus der Unternehmensgeschichte waren uns nicht bekannt und die Wahrheit ist, dass wir auch nicht nachgefragt haben“, heißt es in einer Stellungnahme der Firma. Die Zwangsarbeiter, vornehmlich Frauen, stammten vorwiegend aus Polen, später wurden auch Ukrainerinnen nach Hannover geschickt. Die Frauen waren zum Teil erst 13 Jahre alt. Polinnen und Polen mussten gemäß der 1940 erlassenen Vorschriften eine violett-gelbe P-Raute auf ihrer Kleidung anbringen, die sie als rassistisch diskriminierte Personen erkennbar machte. „Eine extreme Auslegung der rassistischen Vorgaben der NS-Zwangsarbeiterpolitik erfolgte seitens des Betriebs nicht“, schreiben die Autoren des 600 Seiten starken Buchs „Die Geschichte des Hauses Bahlsen“. Aber: „Das stigmatisierende P-Anzeichen mussten die Polinnen auch bei Bahlsen tragen.“

Sie erhielten außerdem geringere Löhne, weniger Essen und eine schlechtere medizinische Versorgung, mussten sich in Baracken aufhalten und waren vom sozialen Leben abgeschnitten. Polnischen Männern, die sexuelle Kontakte zu deutschen Frauen hatten, drohte die Hinrichtung. „Wir bedauern das Unrecht, das diesen Menschen bei Bahlsen geschehen ist, zutiefst. Auch bedauern wir, dass wir uns dieser schwierigen Wahrheit nicht früher gestellt haben“, heißt es von Bahlsen. Zwar sei die Versorgung mit Nahrungsmitteln besser gewesen, als sie Zwangsarbeiter vieler anderer Firmen vorgefunden hätten, schreiben die Studien-Autoren, aber wie andere Unternehmer auch hätte Werner Bahlsen „um die leistungssteigernde Wirkung einer ausreichenden Ernährung“ gewusst.

So verbuchte der Keksfabrikant mithilfe der Zwangsarbeiter auch in den Kriegsjahren ertragreiche Geschäfte. Die Nutzung von zwangsrekrutierten Arbeitskräften „ermöglichte bis zuletzt die Fortsetzung der Produktion und damit die Erzielung von Umsätzen und Gewinnen, die wiederum den Eigentümern zugutekamen“, schreiben Berghoff und Grieger. Für die Anschaffung von Arbeitsschuhen sei sogar einmal der Lohn einbehalten worden.

Anders als etwa Rüstungsunternehmen oder politisch stark in Erscheinung getretene Firmen konnte Bahlsen die Produktion nach Kriegsende sofort wieder aufnehmen. Danach sei durch die Unternehmensleitung – wie auch in der Gesamtgesellschaft – eine „beschönigende Deutung“ der Geschehnisse der dominante Strang der Unternehmens- und Familienerinnerung geworden, heißt es in der Studie. Die Firma schreibt selbst, sie habe eine Verpflichtung dazu, dass sich „Ähnliches jetzt und in der Zukunft nicht wiederholt“. Die Erkenntnisse sollten deshalb nicht verschwiegen werden und nun zu einer Erinnerungskultur beitragen.

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