Von einer klassischen Geldanlage kann keine Rede sein, wenn Anleger sogenannte Turbozertifikate erwerben. Wer sein Erspartes in solche hochspekulativen Papiere steckt, wettet auf kurzfristige Kursbewegungen. Dabei kann der Einsatz vervielfacht, aber ebenso vollständig verloren werden.
Tatsächlich hatten viele Anleger damit zuletzt kein glückliches Händchen: Drei von vier Privatanlegern in Deutschland, die zwischen 2019 und 2023 in Turbozertifikate investierten, verloren laut einer Untersuchung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) insgesamt rund 3,4 Milliarden Euro. Im Schnitt entspricht das einem Verlust von knapp 6400 Euro pro Person. Das verlorene Geld „landete“ – wie bei strukturierten Produkten üblich – bei anderen Marktteilnehmern, die bei der Wette „dagegen gehalten“ haben.
Angesichts dieser Zahlen kündigte die Bafin am Mittwochabend Auflagen für den Vertrieb von Turbozertifikaten an Privatanleger an. In dem genannten Zeitraum hätten rund 543 000 Privatkunden insgesamt 113 Millionen Transaktionen getätigt. „Je mehr Transaktionen ein Kleinanleger tätigte, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Verlust erlitt“, erklärte Bafin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch dem Handelsblatt. „Ein Lerneffekt scheint nicht einzutreten.“
Künftig sollen Anbieter verpflichtet werden, potenzielle Kunden noch gezielter über die Risiken aufzuklären. Zwar geschieht dies bereits in vielen Fällen, doch nun sollen einheitliche Mindeststandards eingeführt werden. Zudem sollen Anleger künftig per Eignungstest zeigen, dass sie sich mit den komplexen Produkten auskennen. Ein Totalverbot der Produkte sei jedoch weder verhältnismäßig noch notwendig, so die Bafin. Vertriebsbeschränkungen dieser Art gebe es bereits in anderen Ländern, etwa in den Niederlanden.
Welche Banken – im Fachjargon Emittenten – die problematischen Produkte ausgaben, sagte die Bonner Behörde nicht. Große Anbieter sind Auslandsbanken wie BNP Paribas, HSBC oder Société Générale, aber auch heimische Geldhäuser. Anders als viele klassische Anlagezertifikate, die bis zur Fälligkeit im Depot liegen, handeln die Anleger Turbozertifikate sehr kurzfristig. Rund 70 Prozent der Positionen werden laut Bafin weniger als 24 Stunden gehalten. „Viele Kleinanleger sind sich über die Risiken dieser Produkte nicht vollständig im Klaren“, sagte Pötzsch. „Das ist näher am Glücksspiel als an langfristiger Vermögensanlage.“
Die Bafin erklärt den Zertifikat-Boom generell für unbedenklich
Gleichwohl machen Turbozertifikate nur einen kleinen Teil des Marktes aus – etwa 1,7 Milliarden Euro vom insgesamt jährlich rund 100 Milliarden Euro umfassenden Zertifikatevolumen. Der weitaus größere Teil entfällt auf einfache verzinste Bankanleihen. Hinzu kommen sogenannte Express-Zertifikate, deren Rückzahlung von einem zugrundeliegenden Basiswert – etwa der Aktie eines Unternehmens oder einem Aktienindex – abhängt. Marktführer bei Zertifikaten sind allen voran Banken aus dem Sparkassen- und Genossenschaftssektor: die Landesbank Baden-Württemberg, die DZ Bank, die Dekabank oder die Landesbank Hessen-Thüringen.
Verbraucherschützer kritisieren diese Zertifikate seit Langem als oft zu komplex und zu teuer – insbesondere für unerfahrene Privatanleger. Zudem werfen sie Banken und Sparkassen vor, die Produkte wegen hoher Vertriebsprovisionen auch solchen Kunden anzubieten, die eigentlich nur sichere Zinsprodukte wie Tages- oder Festgeld suchten. In Zeiten der Nullzinsen wurden Zertifikate häufig als Alternative zu unverzinsten Einlagen oder Aktien empfohlen. Doch nach der Zinswende setzten Banken und Sparkassen sogar noch weiter auf den Vertrieb von Zertifikaten, anstatt vermehrt etwa Bundesanleihen oder kostengünstige Aktienindexfonds (ETFs) zu empfehlen. Immer wieder wurde zudem bekannt, dass auch hochbetagten Kunden ungeeignete Produkte verkauft wurden.
Trotz dieser Kritik lässt die Bafin den größten Teil des Zertifikatemarkts unangetastet. In einer fünfstufigen Marktuntersuchung zu Zins- und Express-Zertifikaten hatte die Behörde zuvor „keine systematischen und gravierenden Mängel“ bei deren Vertrieb festgestellt. Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen seien weitgehend eingehalten worden, hieß es. Nur in Einzelfällen stellte die Bafin Defizite fest – was Kritik von Verbraucherschützern hervorrief.
Diese hatten etwa die Methodik der Untersuchung bemängelt. Grundlage waren unter anderem eine Kundenbefragung mit Rücklauf von nur 29 Befragten, eine Erhebung mit Feedback von 147 Verbrauchern sowie lediglich 20 Testkäufe (sogenanntes Mystery Shopping). Knapp die Hälfte der befragten Verbraucher hätten zwar Probleme gehabt, in den Beratungsgesprächen den Erklärungen zu Zins- und Express-Zertifikaten zu folgen, seien aber trotzdem zufrieden gewesen: für die Bafin ein positives Signal. Verbraucherschützer halten das für trügerisch: Wer ein Produkt nicht versteht, könne wohl kaum dessen Qualität beurteilen.
Zudem weisen Kritiker darauf hin, dass der Untersuchungszeitraum von Mai 2024 bis Februar 2025 möglicherweise zu spät angesetzt gewesen sei, um die Zertifikateoffensive 2023 vollständig zu erfassen. Die Untersuchung war den Banken zudem bekannt – auch das könnte die Ergebnisse beeinflusst haben. Die Bafin sagte dazu, man habe rechtzeitig auf die Marktentwicklungen reagiert.
Der Bundesverband Strukturierter Wertpapiere zeigte sich jedenfalls erleichtert über die Ergebnisse. Man habe nichts anderes erwartet, teilte der Verband mit. Mit Blick auf Turbozertifikate kündigte der Verband an, das bestehende Informationsangebot für die Anleger noch weiter auszubauen.