Wirecard-Skandal:Die beißt nicht

Dunkle Wolken über Frankfurt

Die Skyline von Frankfurt: Aufgabe der Bafin ist es, Banken zu überwachen und sicherzustellen, dass sie jederzeit zahlungsfähig bleiben.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Finanzaufsicht Bafin wirkt nicht wie ein Löwe, sondern wie ein Kätzchen: klein, putzig, ungefährlich.  Geldanleger beklagen, dass sie nicht vor dubiosen Firmen geschützt werden.

Von Wolfgang Janisch, Frederik Obermaier, Meike Schreiber und Nils Wischmeyer, München

Als die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht 2002 ihre Arbeit aufnahm, lag die Welt, wie man sie bis dahin kannte, teilweise in Trümmern: Einige Monate zuvor hatten Terroristen zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Center geflogen, ein weiteres zerschellte im Pentagon. Taliban und al-Qaida waren in aller Munde - und die Weltwirtschaft kriselte. Es waren Hochzeiten für Terrorfinanziers und Geldwäscher. Und genau denen sagte die Bundesregierung zu dieser Zeit den Kampf an. Eine "Allfinanzaufsicht" sollte die Banken-, Versicherungs- und Wertpapieraufsicht in einem Haus vereinen. Ihr Name: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz: Bafin.

Der Auftrag der neuen Behörde und ihrer heute fast 3000 Mitarbeiter: Banken überwachen und sicherstellen, dass die mehr als tausend Geldinstitute in Deutschland jederzeit zahlungsfähig bleiben, den Missbrauch von Kreditinstituten durch Geldwäscher verhindern und seit 2015 auch explizit Verbraucher schützen. Eine heroische Aufgabe, nannte das Jochen Sanio, der Chef der neuen Behörde, zu Beginn. Es erwies sich als eine Herausforderung, der die Bafin offenbar nicht gewachsen war. Das haben spätestens der Milliardenbetrug Wirecard, mutmaßlich begangen vom untergetauchten Konzernvorstand Jan Marsalek und seinen Vertrauten, zutage gebracht.

Die europäische Marktaufsicht Esma hatte zuletzt die Rolle der Bafin im Milliardenskandal überprüft und listete auf 189 Seiten auf, was bei der Bafin alles schieflaufe. Von Ineffizienz über mangelhafte Kontrollsysteme bis hin zu zu starker Politiknähe war alles dabei.

Es ist nur die Spitze der Kritik. Aktionäre und Investoren rügen seit Langem, sie würden nicht vor dubiosen Firmen geschützt, und auch im internationalen Vergleich steht die Bafin schlecht da. Die US-Börsenaufsicht SEC beispielsweise ist ein Löwe am Finanzmarkt. Sie verfolgt und ahndet sicherlich nicht alle, aber viele Betrügereien hart und hat zahlreiche Befugnisse für Klagen, für Ermittlungen, für Sanktionen inne. Die Bafin wirkt dagegen eher wie ein Kätzchen: klein, putzig, ungefährlich.

Und die Politik? Die Opposition im Bundestag spricht gar von Versagen. Auch Union, SPD, Grüne und FDP, die seit Anfang des neuen Jahrtausends wechselweise regierten und regieren, sind nicht frei von Schuld. Erst jetzt, nach der Pleite der Wirecard AG, die Zehntausende Aktionäre mehr als 20 Milliarden Euro kostete, soll die Bafin nach Wunsch des Finanzministeriums mehr Befugnisse bekommen. Ob sie dann aber hart durchgreifen kann, muss sich erst zeigen. Die Industrie sträubt sich bereits.

So oder so - die Liste der Mängel, die zu beseitigen sind, ist lang. Beispiel Geldwäsche: In den vergangenen fünf Jahren hat die Bafin in 37 Fällen gerade einmal 50 Millionen Euro Bußgeld verhängt, wovon der Großteil auf die Deutsche Bank entfallen dürfte, der die Bafin sogar einen Sonderbeauftragten zur Geldwäsche-Prävention ins Haus geschickt hat. So geht es aus einer Antwort des Finanzministeriums auf Fragen der Grünen-Abgeordneten Lisa Paus hervor. Nur 50 Millionen Euro Bußgeld in fünf Jahren: Mit der Realität hat das nach Ansicht von Paus nichts zu tun. Deutschland sei ein "Geldwäscheparadies", sagt die Abgeordnete der Grünen. Nötig sei ein "grundlegender Wandel der Aufsichtskultur". Eine Bafin-Sprecherin wies die Kritik zurück. Da deutlich mehr als 90 Prozent der Verdachtsmeldungen von Unternehmen unter Bafin-Aufsicht stammten, sei die Bafin im Bereich der Geldwäsche-Aufsicht sehr erfolgreich.

Es sind dennoch schwere Zeiten für Felix Hufeld, den Präsidenten der Bafin. Als Hufeld vor drei Wochen beim Bayerischen Finanzgipfel der Süddeutschen Zeitung als Gastredner auftrat, begann er seinen Vortrag mit einem Zitat. "Sicher ist, dass nichts sicher ist." Dieser Spruch, so Hufeld, solle von dem Münchner Komiker Karl Valentin stammen. Der Bafin-Chef bezog den Hinweis, dass nichts sicher sei, auf die Pandemie und deren Folgen. Doch der Spruch könnte gut und gerne auch die Lage der Finanzaufsicht beschreiben. Und er erinnert an eine Verhandlung im Mai 2017 am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das hatte sich damals sehr irritiert gezeigt über den Umgang der Bafin mit der großen Bankenkrise zehn Jahre vorher.

Die Richter sprachen von "Näheverhältnis" zwischen Bafin und Banken, von einer "Black Box" und gar von "Kungelei"

Große Geldinstitute in Deutschland waren nach Fehlspekulationen beinahe pleitegegangen und mussten gerettet werden, um einen Kollaps des Finanzsystems abzuwenden. Das kostete den Staat viele Milliarden Euro. Ein Jahrzehnt nach dieser Krise befassten sich die Verfassungsrichter mit der Rolle der Bafin, deren Vertreter bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe auf große Diskretion und Zurückhaltung im Umgang mit der Finanzindustrie pochten. Einen der Richter veranlasste das zu einem etwas deftigen Vergleich mit dem Metzgerhandwerk. "Das Vertrauen basiert darauf, dass man nicht weiß, wie die Wurst gemacht wird?"

Skeptisch reagierten die Verfassungsrichter auch, als die Bafin-Vertreter die Beschaffung der nötigen Informationen als eine eher kooperative Angelegenheit zwischen Anstalt und Bankvertretern beschrieben. Die Richter sprachen von "Näheverhältnis" zwischen Bafin und Banken, von einer "Black Box" und gar von "Kungelei". Das Gericht wollte wissen: "Heißt das, die Information ist vom Goodwill des Beaufsichtigten abhängig?" Anlass für die Verhandlung war eine Klage der Bundestagsfraktion der Grünen gewesen. Die Grünen hatten moniert, dass die Bundesregierung Fragen zur Bafin wegen angeblicher "Geheimhaltungsinteressen" teils nicht beantwortet habe. Das Verfassungsgericht urteilte, dass die Regierung grundsätzlich zur Auskunft verpflichtet sei. Die Tätigkeit der Bafin dürfe nicht der "parlamentarischen Kontrolle" entzogen werden.

In Karlsruhe geklagt hatte für die Grünen unter anderem deren damaliger Abgeordneter Gerhard Schick, der heute die Organisation "Finanzwende" leitet. Sie fordert selbst einen grundlegenden Wandel der Bankenaufsicht und der Finanzindustrie. Schick zählt mit heutigen Parlamentariern der Grünen und dem Linken-Abgeordneten Fabio De Masi zu den Hauptkritikern der Bafin und ihrer Führungsriege. Schick fordert gar eine "personelle Neuaufstellung, damit ein neues Selbstverständnis als proaktive Aufsicht glaubwürdig von der Führungsspitze gelebt werden kann". Mit anderen Worten: Hufeld und einige seiner Direktoren sollen gehen.

Hufeld wiederum hat seit der Wirecard-Pleite wiederholt beklagt, für ein Durchgreifen bei dem Zahlungsdienstleister hätten seiner Behörde die Befugnisse gefehlt. Der Bafin-Präsident bemüht sogar, wenn auch etwas umständlich formuliert, das Alte Testament. "Unsere rechtlichen Grundlagen sind nicht die in Stein gemeißelten unveränderlichen Zehn Gebote, die uns Moses auf dem Berg Sinai überreicht hat." Ein Rücktritt kommt für Hufeld trotz der vielen und massiven Kritik an ihm und seiner Behörde nicht infrage, wie er Ende Oktober auf einer SZ-Konferenz erklärte. "Ich würde morgen exakt dasselbe tun. Da gibt es nichts zu entschuldigen."

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