Baden-Württemberg und die Krise:Adele, Musterländle!

Daimler, Bosch, Mahle - drei Unternehmen aus dem Südwesten zeigen: Das Musterländle Baden-Württemberg wird in der Krise zum kranken Mann der Republik.

Tobias Dorfer

Es gibt einen Ausspruch, der in schöner Regelmäßigkeit die Runde macht in Stuttgart und Umgebung: Wenn der Daimler hustet, dann bekommt die Region eine Lungenentzündung. Mittlerweile hustet "der Daimler" ganz gewaltig. Die Krankheit nennt sich Absatzkrise, die Symptome heißen Kurzarbeit, Lohneinbußen und Produktionspausen - und die Leidtragenden sind die 141.000 deutschen Mitarbeiter, die sich darauf einstellen müssen, bald schon am Monatsende weniger Geld in der Tasche zu haben.

Niedergang, Wirtschaft, Baden-Württemberg

Bosch und Daimler: Zwei Unternehmen aus Baden-Württemberg kränkeln gewaltig - das Musterländle leidet unter der Krise ganz besonders.

(Foto: Fotomontage: ddp, AP, dpa)

Daimler ist nicht das einzige Unternehmen aus der Region Stuttgart, das spürbar krankt. Bosch, der weltgrößte Autozulieferer aus dem nahen Gerlingen, rechnet erstmals seit 50 Jahren mit einem Jahresverlust und plant vorsorglich einen Umsatzrückgang von 15 Prozent ein - wissend, dass alles auch noch viel schlimmer kommen kann. Zehn Kilometer westlich, in Stuttgart-Bad Cannstatt, meldet der Zulieferer Mahle einen Gewinneinbruch von 90 Prozent und baut jede zehnte Stelle ab. Und auch bei Ratiopharm, Heidelberg Cement und den anderen Firmen des inzwischen verstorbenen schwäbischen Patriarchen Adolf Merckle bangen die Angestellten um ihre Zukunft. Der Freitod des Milliardärs im Januar und das Schlingern seines Konglomerats läutete eine unheilvolle Zeit ein - für ein ganzes Bundesland.

Daimler, Bosch, Mahle, Merckle - das sind nur vier Beispiele von schwäbischen Unternehmen mit immensen Problemen, die Liste ließe sich mühelos erweitern. Ausgerechnet die Autohersteller, die Maschinenbauer, die Zulieferer. Die Tüftler zwischen Karlsruhe und Ulm, zwischen Mannheim und dem Bodensee, die Baden-Württemberg reich gemacht haben. Sie führten das Bundesland im Südwesten an die Top-Position der Arbeitslosenstatistik und haben ihm darüber hinaus Wohlstand und Ansehen beschert.

Wir können alles - außer Krise!

In schöner Regelmäßigkeit blickten die CDU-Ministerpräsidenten aus den Fenstern ihres Amtssitzes, der Villa Reitzenstein. Sie schauten hinab auf die Landeshauptstadt einerseits und auf die gesamte Bundesrepublik andererseits. In Interviews und Talkrunden brüsteten sie sich mit dem wirtschaftlichen Erfolg, verwiesen auf die Arbeitslosenzahl und beschwerten sich über Solidaritätsabgaben zugunsten ärmerer - meist SPD-geführter - Bundesländer wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein. Die Prahlerei der Spätzle-Connection gipfelte in einer pompösen Imagekampagne, die - zur besten Sendezeit, kurz vor der Tagesschau ausgestrahlt - das Standing Baden-Württembergs innerhalb Deutschlands in einem Satz zusammenfasste: "Wir können alles - außer Hochdeutsch."

Nun zeigt sich, Baden-Württemberg kann auch Krise nicht. Das Musterländle der Nation entwickelt sich zum kranken Mann der Republik. Der Professor Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim schockte kürzlich die Zuschauer im SWR-Fernsehen mit einer düsteren Prognose: Die baden-württembergische Wirtschaft sei von der Wirtschaftskrise ganz besonders betroffen und in großer Gefahr. Zahlen aus dem Statistischen Landesamt von Stuttgart bestätigen: Im ersten Quartal 2009 rechnen die Statistiker für das Ländle mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts zum Vorjahr um vier Prozent - bundesweit liegen die Werte bei 3,5 Prozent.

Die Stärke von gestern wird zum Bumerang von heute. Zu abhängig ist die Wirtschaft von der Autoindustrie, zu stark sind die Betriebe im Ländle im Export verankert. Wenn bei Mercedes in Sindelfingen, bei Volkswagen in Wolfsburg oder bei Citroën in Frankreich die Bänder stillstehen, dann werden auch keine Zündkerzen von Bosch, keine Kolben von Mahle (Stuttgart) und keine Sportsitze von Recaro (Kirchheim/Teck) mehr benötigt. Genauso werden Autozulieferer zögern, ehe sie in diesen Zeiten beim Ditzinger Maschinenbauer Trumpf einen neuen Festkörperlaser bestellen. Die kleinen Einsteins aus dem Ländle mögen noch immer Ansehen genießen für ihre hochwertigen Produkte - nur kaufen will die derzeit keiner. Was bleibt sind Gewinneinbrüche, rote Zahlen - und schließlich: Kurzarbeit, Entlassungen, Werksschließungen.

Erstickt am Erfolg

In wirtschaftlich guten Zeiten war die Stärke der baden-württembergischen Industriebetriebe ein Erfolgsgarant für das Musterländle. Mit dem stetigen Erfolg der Tüftlerschmieden wuchsen jedoch auch die Ansprüche, wurden neue Produktionsstätten aufgebaut und Mitarbeiter eingestellt. Viele Unternehmen aus Baden-Württemberg sind in ihren Bereichen inzwischen weltweit führend. Heute, in Krisenzeiten, droht das Land an seinem Erfolg zu ersticken. Stärke und Marktmacht werden zum Manko, Kapazitäten müssen zurückgefahren werden - nicht von ungefähr kommt mehr als jeder fünfte Kurzarbeiter in diesen Tagen aus Baden-Württemberg.

Besserung ist nicht in Sicht. Die führenden Wirtschaftsinstitute prophezeien Deutschland einen Rückgang der Wirtschaft um sechs Prozent, der Internationale Währungsfonds rechnet für 2009 erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem Rückgang der weltweiten Wirtschaftsleistung, der Export schwächelt und die Absatzzahlen der Autohersteller sinken weltweit. Auch in Deutschland, wo die Abwrackprämie die Zahlen derzeit noch schönt, wird dieser Effekt über kurz oder lang eintreten.

Auf die Betriebe in Baden-Württemberg warten schwierige Jahre. Mit aller Macht versucht die Stuttgarter Landesregierung jetzt gegenzusteuern. Das Wirtschaftsministerium hat die Krisenberatung verstärkt und verspricht kleinen und mittleren Unternehmen "schnelle und unbürokratische Hilfe". Zudem hat das Land ein Mittelstandsprogramm aufgelegt, in dessen Rahmen der Bürgschaftsrahmen für Unternehmenskredite auf 500 Millionen Euro erhöht wurde. Trotz aller Bemühungen: Der Weg zurück in die Erfolgsspur wird steinig. Die jüngsten Nachrichten zumindest lassen Schlimmes befürchten.

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