Süddeutsche Zeitung

Automobilindustrie:Ländle im Abschwung

  • Noch lebt Baden-Württemberg gut von der ansässigen Automobilindustrie und den Zulieferern, die häufig Weltmarktführer sind.
  • Doch die Branche wird zunehmend von Innovationen aus dem Silicon Valley und China bedroht und der technologische Wandel macht ihr zu schaffen.
  • Der Abschwung wird bundesweit zu spüren sein, aber am heftigsten in Baden-Württemberg, wo mehr als zehn Prozent aller Jobs an der Autoindustrie hängen.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Das ehemals so reiche und dynamische Stuttgart siecht vor sich hin. Häuser stehen leer und zerbröckeln, die Menschen haben keine Jobs und kein Geld, viele ziehen weg oder bringen sich um. Ein Ex-Daimler-Ingenieur reitet auf einem Gaul umher. Eine Pferdestärke auf vier Füßen statt 600 PS aus zwölf Zylindern. "Stuttgart Wrackstadt" heißt das Stück der örtlichen Theater-Gruppe "Citizen-Kane-Kollektiv". Es zeigt, wie schnell eine Industrie-Ikone untergehen kann - und mit ihr eine Stadt, die unter dem rotierenden Mercedes-Stern lange prächtig prosperierte. Eine arg zugespitzte Dystopie? Oder der realistische Blick in die Zukunft der Landeshauptstadt Baden-Württembergs?

"Es ist kein Naturgesetz, dass Daimler ewig besteht", warnte Konzern-Boss Dieter Zetsche kurz vor seinem Abschied in den Ruhestand. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht die Gefahr: "Ich habe keine Lust, dass wir das Ruhrgebiet der Zukunft werden", sagt der Grünen-Politiker. Sein Land befinde sich in einer "Zange" zwischen dem Silicon Valley und China. Betriebe und Bürger müssten sich jetzt "an die Decke strecken und alle Kräfte bündeln". Kurz: Das Szenario "Wrackstadt" ist so abwegig nicht.

Noch leben die Stadt, ihr Speckgürtel und das Bundesland sehr gut von den Autobauern und ihren unzähligen Zulieferern, die von der Schwäbischen Alb bis ins engste Flusstal ihre Produkt-Nische besetzen und oft Weltmarktführer sind. Aber dieser Status und dieser Reichtum sind in Gefahr. Praktisch alle deutschen Autobauer und Zulieferer dampfen zurzeit ihre Umsatz- und Gewinnprognosen ein. Der Abschwung wird bundesweit zu spüren sein. Aber am heftigsten in Baden-Württemberg, wo etwa 500 000 Arbeitsplätze an der Autoindustrie hängen. Also mehr als zehn Prozent aller Jobs.

Daimler, Bosch, Mahle - alle sparen

Die Lage ist prekär: Daimler bastelt an einem Sparprogramm, Bosch hat einen Jobabbau angekündigt. Der Stuttgarter Kolben-Hersteller Mahle schließt sein Werk in Öhringen, der Göppinger Pressen-Fabrikant Schuler verlagert Jobs in billigere Länder. Der Böblinger Anlagenbauer Eisenmann hat sogar Insolvenz angemeldet. Es wird wohl nicht die letzte Pleite sein.

Denn der Abschwung hat erst begonnen, und er wird heftig sein und lange andauern, wie das Car-Institut der Universität Duisburg-Essen prophezeit. 2019 werden ihm zufolge so wenige Neuwagen produziert wie seit 21 Jahren nicht mehr. Und eine Erholung sei kaum in Sicht, solange US-Präsident Trump seine Handelskriege treibt. "Die nächsten fünf Jahre werden ein Tal der Tränen", sagt Car-Chef Ferdinand Dudenhöffer. Zu allem Überfluss stehen weitere "Game Changer" vor der Tür, wie es Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) formuliert: neue Antriebe, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, autonomes Fahren. Kurz: eine ganz neue Mobilitäts-Welt, in der sich die Südwest-Firmen erst ihre Marktanteile erkämpfen müssen. Auch Roman Zitzelsberger von der IG Metall Baden-Württemberg macht sich große Sorgen: "Kein Stein wird auf dem anderen bleiben, und viele Firmen haben noch keine oder nur unzureichende Antworten", sagt er. Muss der berühmte Baden-Württemberg-Slogan bald umformuliert werden in "Wir können alles - außer Wandel"?

Konkurrenten müssten zusammenarbeiten

"Weltweit gibt es keinen vergleichbaren Automobil-Cluster", sagt Ministerin Hoffmeister-Kraut, "deshalb muss uns die Anpassung gelingen." Sonst könnte es kommen wie in dem Theaterstück. "Die Stimmung ist schlecht", sagt Stefan Wolf, der Chef des Arbeitgeberverbands Südwestmetall. Er prophezeit: "Alle, die keine neuen Produkte haben, werden Probleme bekommen." Wie viele das sein werden? "15 bis 20 Prozent." Was ihnen droht? "Gesundschrumpfen, Verschwinden, Insolvenz." Wolf fordert ein Zusammenrücken aller Beteiligten: "Die Industrie muss sich zusammenfinden." Leider sei "noch viel zu viel Egoismus im Spiel". Kooperationen seien nötig, um die hohen Entwicklungskosten für neue Technologien zu teilen. Was die Riesen Daimler und BMW bei digitalen Mobilitäts-Diensten vormachen, empfiehlt Wolf auch den Mittelständlern: über den eigenen Schatten springen und mit Wettbewerbern an einem Strang ziehen. Aus Feinden müssen Freunde werden.

Aber vor lauter Krise ist statt Kooperation eher Konfrontation angesagt. Denn große Unternehmen versuchen, Jobs zu retten, indem sie Komponenten selbst herstellen, die sie bisher eingekauft haben. So kämpft Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht darum, dass im Motorenwerk Untertürkheim künftig der elektrische Antriebsstrang hergestellt wird. Aber den Auftrag für den ersten E-Mercedes EQC hat sich Zulieferer ZF Friedrichshafen gesichert. Um die Folgeaufträge zofft sich Brecht nun öffentlich mit ZF-Chef Wolf-Henning Scheider. So ein Streit ist neu in der ansonsten verschwiegenen Branche.

Ministerpräsidenten wollen gemeinsam die Automobilstandorte retten

Konjunkturkrise, Strukturkrise, Stimmungskrise. Die außergewöhnliche Situation führt auch zu außergewöhnlichen politischen Allianzen über Parteigrenzen hinweg; Ministerpräsident Kretschmann hat sich mit seinen Amtskollegen Stephan Weil (SPD) aus Niedersachsen und Markus Söder (CSU) aus Bayern zusammengetan, um die Automobilstandorte zu retten. In Interviews macht Kretschmann Druck Richtung Berlin: "Die Bundesregierung hat überhaupt keinen Plan", wettert er. Obwohl die "gigantischen Herausforderungen" seit Jahren bekannt seien, und die Zeit dränge, rede Berlin immer noch über einen Masterplan. "Warum dauert das so lange?", fragt Kretschmann. "Das geht wirklich nicht." Er mahnt: "Es geht um unseren Wohlstand, um Arbeitsplätze, aber auch um Klimaschutz."

Was er nicht ausspricht: Die fetten Jahre in Baden-Württemberg sind wohl in jedem Fall vorbei. Selbst dann, wenn die Unternehmen ihre Technologie-Führerschaft verteidigen könnten. Denn ein Elektromotor ist viel einfacher zu bauen als ein Dieselaggregat. Er braucht nur ein Zehntel des Personals und bringt viel weniger Marge. Deshalb werden im Auto-Cluster Jobs und Wohlstand sinken, wenn sie künftig nicht ganz woanders herkommen. Die Frage ist nur, wie tief. Unternehmer und Politiker im Ländle haben das Problem erkannt und tüfteln aktiv an einer Lösung. In Berlin wird die Brisanz des Themas offenbar noch nicht erkannt. Vielleicht sollte Kretschmann die Bundespolitiker ins Theater einladen. Auch wenn es nicht ganz so schlimm kommen muss wie in "Stuttgart Wrackstadt".

Korrektur: Für den Bau eines Elektromotors wird nur ein Zehntel des Personals benötigt, das man für einen Verbrennungsmotor braucht. In einer früheren Version des Textes stand fälschlicherweise, dass bei einem E-Motor ein Zehntel weniger Arbeitskräfte gebraucht werden.

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SZ vom 12.08.2019/vwu
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