Süddeutsche Zeitung

Autozulieferer:Zukunft mit weniger Menschen

Der Autozulieferer Brose baut 2000 Arbeitsplätze in Deutschland ab und startet ein "Erneuerungsprogramm".

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Dass da noch etwas kommen würde, zeichnete sich ab. Als der Automobilzulieferer Brose am 6. Juli am Stammsitz im fränkischen Coburg seinen 100. Geburtstag feierte, streuten Familienunternehmer Michael Stoschek als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung und Kurt Sauernheimer als operativer Firmenchef warnende Töne in die Feststimmung. Brose müsse sich erneuern, wettbewerbsfähig bleiben und deswegen die Kosten drücken, hieß es. Sauernheimer verwies auf Osteuropa, wo die Löhne viel niedriger seien, und sprach von "kreativen Lösungen", die "sicherlich auch zu Belastungen führen".

Wie diese Belastungen aussehen ist nun klar. Bis Ende 2022 will Brose, Hersteller von mechatronischen Komponenten und Systemen hauptsächlich für Fahrzeugtüren und -sitze, 2000 Arbeitsplätze in Deutschland streichen. Davon sollen 600 in den Werken Coburg, Bamberg, Würzburg, Hallstadt und Berlin wegfallen. 200 Mitarbeiter im Brose-Werk in Wuppertal sind von einer Verlagerung der Schließsysteme-Fertigung betroffen. Hauptsächlich aber würden Jobs in den Zentral- und Geschäftsbereichen gestrichen, teilte das Unternehmen mit. Man wolle betriebsbedingte Kündigungen vermeiden.

Damit reiht sich Brose nahtlos ein in eine immer längere Liste von Autozulieferern ein, die Stellen in großem Umfang abbauen. Allein in den vergangenen Tagen folgte eine Hiobsbotschaft auf die andere. Da ist Broses fränkischer Nachbar Schaeffler, der ebenfalls 2000 Arbeitsplätze hierzulande streichen will. Continental sperrt sein Werk im bayerischen Roding zu, was 540 Jobs kostet und erst der Anfang eines Stellenabbaus ist, dem 7000 Arbeitsplätze an den deutschen Conti-Standorten zum Opfer fallen werden.

Auch bei anderen Branchengrößen wie ZF oder Bosch bangen die Beschäftigten zunehmend um ihre Jobs. Es trifft aber auch kleinere Zulieferer wie den Press- und Blechteilehersteller Allgaier, die Firma des früheren Arbeitgeber-Präsidenten Dieter Hundt. Das Unternehmen gab am Mittwoch bekannt, im Hauptwerk in Uhingen (Baden-Württemberg) Stellen in größerem Umfang zu streichen; wie viele steht noch nicht fest. Ein Ende solcher Botschaften scheint nicht in Sicht. Es bröckelt überall, mal werden einige Dutzend, mal einige hundert Stellen gestrichen, wie etwa bei Grammer oder Leoni. Einige kleinere oder mittlere Zulieferer haben Insolvenz angemeldet, andere arbeiten kurz.

Experten sind sich uneins, wie viele zehntausend Arbeitsplätze bei Zulieferern in Deutschland in absehbarer Zeit gestrichen werden. Das Duisburger Center Automotive Reaearch des gerne als "Autoprofessor" titulierten Ferdinand Dudenhöffer sieht bis 2030 etwa ein Viertel aller knapp 850 000 Arbeitsplätze in der deutschen Autobranche in akuter Gefahr.

Seit einem Jahr durchforsten Berater von McKinsey Brose

Die Begründungen der Unternehmen gleichen denen von Brose. Da ist zum einen die nachlassende Automobilkonjunktur vor allem in China. Auch der Umbau der Branche hin zu Elektromobilität kostet viele Arbeitsplätze, da sehr viele in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren eingebaute Teile in E-Autos nicht mehr benötigt werden. Einher mit alledem wächst der Preisdruck, den nicht zuletzt die Fahrzeughersteller rigoros, manche sagen auch rücksichtslos an ihre die Zulieferer weiterreichen. In den Büchern der Unternehmen schlägt sich all dies in sinkenden Umsätze und Gewinneinbrüchen nieder.

Auch Brose macht "massive Ergebniseinbrüche" geltend. Das Unternehmen kritisiert aber auch "die einseitige Klimadebatte zu Lasten der Kfz-Industrie", die für "zusätzliche Unsicherheit" sorge. Darauf reagiert der Coburger Konzern, der 26 000 Menschen weltweit beschäftigt, nach den Worten von Gesellschafter Stoschek "mit dem größten Erneuerungsprogramm in der Unternehmensgeschichte". Seit einem Jahr durchforsten Berater von McKinsey Brose. Dabei und bei internen Beratungen kam ein Erneuerungsprogramm heraus, das sich "Future Brose" nennt.

Im Zuge dessen sollen nicht nur Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert, sondern auch Hierarchien abgebaut und interne Abläufe gestrafft werden. Mitarbeiter würden "im Hinblick auf die Digitalisierung in Entwicklung, Verwaltung und Produktion" qualifiziert. Und während in einigen Unternehmensbereichen Stellen gestrichen werden, sucht die Firma andererseits nach Software- und IT-Spezialisten.

Stoschek kann für sich in Anspruch nehmen, frühzeitig auf die heraufziehende Krise aufmerksam gemacht zu haben. Als er im Juli 2018 auf einer Betriebsversammlung in Coburg den überdurchschnittlichen Krankenstand im dortigen Sitzgestell-Werk monierte, brachte ihm dies viel hämische Kritik ein. Stoscheks damalige Vergleiche mit deutlich günstigeren Produktionen in Ost- und Südeuropa, sowie seine Hinweise auf wachsenden Kostendruck gingen daneben fast unter. Ende 2018 einigten sich Eigentümer, Management und Betriebsrat auf ein Maßnahmenpaket, um bis 2024 die Produktionskosten dort um 42 Millionen Euro zu senken. Das allein ist, wie man nun weiß, nicht genug.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2019
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