Autozulieferer Mitec:"Ich werde keine Ruhe geben"

Autozulieferer Mitec: Unternehmer Michael Militzer vor dem Oberlandesgericht Jena. Er streitet gern, vor Gericht und anderswo.

Unternehmer Michael Militzer vor dem Oberlandesgericht Jena. Er streitet gern, vor Gericht und anderswo.

(Foto: Imago)

Der Unternehmer Michael Militzer hat nicht nur Freunde. Ein Gespräch über den Kampf gegen Ford, das Gehalt von Daimler-Chef Dieter Zetsche, VW und weitere seiner Feinde.

Interview Von Elisabeth Dostert

Die ungarische Jagdhündin Szara hat Michael Militzer, 67, immer dabei, auch bei Interviews. Er raucht eine Zigarette nach der anderen und redet deutliche Worte über seinen langen Kampf gegen den US-amerikanischen Autokonzern Ford.

SZ: Herr Militzer, wie fühlt sich ein Sieg gegen Ford an?

Michael Militzer: Ich fühle mich in meiner Rechtsauffassung bestätigt. Es war ein harter Kampf. Als er 2007 anfing, habe ich an den Urenkel von Henry Ford geschrieben: "Wenn Sie ein Mittelständler wären wie ich, hätten wir uns bei einem Glas Wein zusammengesetzt und geredet. Dann hätten wir die Sache anders gelöst, ohne die Gerichte."

Kam je eine Antwort?

Natürlich nicht. Der Brief war auch mehr an meine Enkel gerichtet, sie sollen wissen, dass ihr Großvater ein Mann mit Werten war. Mein Wertesystem kommt übrigens nicht aus der Wirtschaft.

Sondern?

Aus der Medizin. Ich habe nach dem Ingenieurstudium in Berlin und während der Promotion ein paar Semester Medizin studiert. Davon durften meine Eltern nichts wissen, ich sollte doch die Firma übernehmen. Die Jahre in der Medizin haben mich geprägt. In der Anatomie wird einem die Endlichkeit der Lebens und der Dinge bewusst. Alles ist endlich, auch Vermögen und Geld. Ich habe auf der Intensivstadion erfolgreiche Menschen erlebt mit hinten geöffneten Hemdchen, die sich sehnlichst gewünscht haben, sie hätten ihr Leben anders gelebt. Die meisten haben allerdings nach der Genesung in der alten Art und Weise weitergemacht.

Warum haben Sie nach fünf Semestern aufgehört?

1975 wurde mein Vater krank, und meine Mutter wollte, dass ich mich um die Firma kümmere. Die hatte damals knapp 20 Mitarbeiter. An der Firma hing die Existenz meiner Mutter. Mein Vater hat sich viel Zeit mit dem Sterben gelassen, dreieinhalb Jahre. Für die Medizin war es nach der großen Unterbrechung zu spät. Ich habe mich dann zu Hause in die Arbeit als Ingenieur gestürzt.

Der Kampf gegen Ford geht in das siebte Jahr. Werden Sie irgendwann müde?

Nein, Ford hat damals die Existenz der Mitec AG bedroht. 2007, ein Jahr vor der großen Finanzkrise, war Mitec ein sehr erfolgreiches Unternehmen mit einer sehr hohen Eigenkapitalquote, guten Wachstumsraten und guten Ergebnissen. Wenn Sie von heute auf morgen einen Auftrag weggenommen bekommen, weil sie den geforderten Preisnachlass um ein Drittel nicht geben wollen, dann ist das existenzbedrohend. Wir hatten für Ford die Kapazitäten hochgefahren und wollten den Vertrag verlängern, damit wir die Abschreibungen über einen längeren Zeitraum strecken und billiger liefern können. Darauf ließ sich Ford nicht ein.

Warum?

Die wollten in Japan und Mexiko billiger produzieren, und zwar nach unseren Konstruktionszeichnungen. Das haben sie natürlich nicht gesagt. Wir haben das aber schnell herausgefunden, weil wir unser Bauteil, ein Wellenausgleichssystem, mit denen der neuen Lieferanten verglichen haben. Das waren astreine Kopien. Ford hat sich dadurch einen gewaltigen finanziellen Vorteil verschafft zu unseren Lasten.

Wie gewaltig?

Es ging um etwa neun Millionen Euro jährlich, das macht bis heute weit mehr als 40 Millionen Euro plus Zinsen. Die höchsten Zinsen, die man heute bekommen kann, bekommt man ja vom Gericht zugesprochen, etwa sechs Prozent. Ford baut die Kopien immer noch ein. Nachdem das Oberlandesgericht Jena am 8. Dezember entschieden hat, dass es sich bei dem von Ford veranlassten Nachbau um eine Kopie des Mitec-Systems handelt, Ford gegen die Pflicht verstoßen hat, Geschäftsgeheimnisse von Mitec zu wahren, und Ford zu Schadenersatz verurteilt hat, werden wir diese Summe jetzt einklagen. Es ist doch ein starkes Signal, dass die Richter am OLG Jena keine Revision zugelassen haben.

Dagegen hat Ford beim Bundesgerichtshof Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegt.

Ford spielt auf Zeit. Die Beschwerde wird keinen Erfolg haben, da verdienen nur die Anwälte dran.

Empfinden Sie Genugtuung?

Nein. Ich mache nur das, was ich für richtig halte. Ich war 18 Jahre lang Handelsrichter am Amtsgericht in Kassel. Ich habe Vertrauen in unser Rechtssystem. Es kann nicht sein, dass ein OEM . .

. . . . ein Original Equipment Manufacturer, der Orginalteile in die Produkte einbaut . .

. . . . seine Zulieferer so auspresst. Ich bin ja kein Einzelfall. Mir wäre ein Grundsatzurteil, das für die ganze Branche Gültigkeit hat, am liebsten. Wir erwarten die Rückweisung durch den Bundesgerichtshof. Damit liegt schon jetzt ein rechtsgültiges Urteil vor, das der Branche signalisiert, dass das Kopieren geistigen Know-hows von Zulieferunternehmen zu einer Schadenersatzpflicht führt.

Warum haben Sie Ihre Konstruktionspläne überhaupt Ford gezeigt?

Das ist heute unumgänglich. Die großen Hersteller verlangen von ihren Lieferanten maximale Transparenz. Wir müssen das gesamte Produktionsverfahren offenlegen, Investitionen, Qualitätssicherung, alle Kosten, das ganze Fertigungs-Know-how sowie die Konstruktionsdetails. Die Ford-Leute sind drei Monate lang hier in Eisenach rumgeturnt und haben sich alles angesehen und dokumentiert.

Warum haben Sie nicht ein Werk zum Beispiel in Mexiko gebaut, Zulieferer folgen doch oft den Abnehmern?

Mexiko ist für uns ein verbotenes Land. Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, Mitarbeiter dorthin zu schicken. Die riskieren Leib und Leben.

Ist es in Mexiko wirklich so schlimm?

Ja. Ich möchte keiner Ehefrau erklären, dass man ihren Mann am Heizkörper festgekettet gefunden hat.

Ende des Jahres haben Sie ihre Beteiligung an der Mitec Ihrem Sohn übertragen und die Hälfte der Firma einem dänischen Investor verkauft, der in Hongkong seinen Firmensitz hat. Warum?

Wir kennen Jebsen seit Langem. Wir haben gemeinsam das Mitec-Werk in China aufgebaut. Für mich war es höchste Zeit, die Nachfolge zu regeln. Ich bin 67 Jahre alt. Ich hatte gehofft, dass sich bei der Erbschaftsteuer noch was tut. Wenn man heute eine Firma vererbt, deren Betriebsvermögen 25 Millionen Euro übersteigt, belastet dies das Privatvermögen der Erben. Dann muss man einen Teil der Firma verkaufen oder einen Kredit aufnehmen oder eine Entnahmepolitik der Gewinne in jedem Jahr betreiben, dass das Privatvermögen erst schafft. Ich habe in den 25 Jahren Aufbau Ost ja kein riesiges privates Vermögen angehäuft, Gewinne habe ich immer in der Firma belassen und mir nur ein Gehalt gezahlt.

Wie hoch war ihr Gehalt?

Angemessen. Natürlich nicht so hoch wie das von Daimler-Chef Zetsche ohne Haftungsrisiko erworbene jährliche Einkommen. Das kann sich ein Mittelständler nicht leisten.

Dieter Zetsche verdiente 2015 knapp zehn Millionen Euro.

Für mich ist Geld nur ein Werkzeug, um etwas aufzubauen. Ich wollte, dass alle unsere Unternehmen wachsen. Die Mitec ist ja nur ein Teil der Gruppe, wenn auch der größte. Meinem Sohn gehören auch immer noch 50 Prozent. Ich werde mich künftig verstärkt um die anderen Unternehmen unserer Familie kümmern. Wir fertigen auch Werkzeugmaschinen und Industriegetriebe für Rolltreppen und Aufzüge und Militärtechnik.

Wer führt denn künftig den Kampf gegen Ford?

Ich, in Abstimmung mit den neuen Gesellschaftern der Mitec. Wir haben noch nicht alle juristischen Mittel ausgeschöpft. Wir könnten auch strafrechtlich gegen einzelne Personen vorgehen. Ein Konzern kann nicht betrügen, das machen Menschen. Mitarbeiter von Ford haben hier betrogen, und VW Mitarbeiter haben auch betrogen.

Haben Sie sich einen Betrug dieses Ausmaßes bei VW vorstellen können?

Nein. Es gibt bei VW wohl keine Kultur für Kritik. Ferdinand Piëch hatte das Ziel gesetzt, VW zum größten Autohersteller der Welt zu machen. Wenn Größe das Ziel ist, geht es nur noch um Macht. Das sieht man doch gerade in der Zulieferbranche. Da muss etwas geschehen, uns geht die Luft zum Atmen aus.

Was wollen Sie tun?

Ich werde als Vorsitzender der Thüringer Zulieferindustrie die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften suchen. Die sitzen doch in den Aufsichtsräten der großen Hersteller und wissen, was läuft. Gewerkschaft, Zulieferer und Politiker müssen einen Arbeitskreis gründen. Das Verhalten der großen Hersteller gefährdet das Überleben der Zulieferer, besonders das der kleinen mit weniger als 100 Millionen Euro Umsatz. Wir brauchen einen neutralen Ombudsmann, der bei Streitigkeiten vermittelt.

Sie haben doch schon eine starke Lobby, den Verband der deutschen Automobilindustrie!

Der VDA bedient die Interessen der OEMs (Original Equipment Manufacturer) und nicht die der kleinen Zulieferunternehmen. Sie stehen ziemlich allein am Ende der Wertschöpfungskette. Wir brauchen einen Ombudsmann.

Ist das eine Bewerbung?

Nein, ich bin erst 67. Ich werde keine Ruhe geben. Ich lasse gerade in einem Gutachten prüfen, ob das Verhalten der Hersteller gegen Kartellrecht verstößt.

Welche Anhaltspunkte haben Sie?

Schauen Sie doch in die Vertragsbedingungen, die sehen alle gleich aus. Das ist ein Oligopol. Ich kann Ihnen zehn Verträge zeigen. Die Forderungen sind identisch. In allen Verträgen steht, dass sich der Preis nicht ändert, wenn sie 15 Prozent mehr oder weniger als die vereinbarte Produktionsmenge beträgt. Liegt sie unter 15 Prozent, steht ein Verhandlungsgebot in den Verträgen, aber es wird nicht auf Augenhöhe verhandelt, sondern mit Auftragsentzug gedroht. Wir müssen eine faire Risikoteilung erreichen, dies ist das Ziel.

Haben Sie nicht schon genug Feinde?

Ich kann so viele Feinde haben, wie ich will, ich bin frei, ich habe doch mit Mitec nichts mehr zu tun. Ich vertrete die Interessen der Zulieferindustrie in Thüringen als Vorstandssprecher des AT Thüringen e.V.

Warum tun Sie sich das an? Sie wirken in Ihrem Kampf ziemlich allein, zumindest öffentlich ist Ihnen in den vergangenen Jahren kein Zulieferer beigesprungen.

Ich habe 50, 60 E-Mails mit Glückwünschen bekommen. Ich habe dann immer geantwortet und gefragt: Warum machen Sie nicht mit?

Und warum?

Die haben Angst. Wenn sie gegen einen OEM vorgehen, werden ihnen Aufträge entzogen, oder sie bekommen zumindest keine neuen.

Michael Militzer wurde 1948 im thüringischen Steinbach-Hallenberg geboren. Der Vater hatte dort 1930 eine Firma für Metallverarbeitung gegründet, die 1945 enteignet wurde. 1951 flieht die Familie mit dem dreijährigen Michael und seiner älteren Schwester nach Cornberg in Hessen. Als 1989 die Mauer fällt, zögert Militzer nicht lange. Er fährt nach Eisenach. Eigentlich will er von der Treuhand nur die Härterei des Automobilwerks Eisenach kaufen, das den Wartburg baut. Am Ende übernimmt er das ganze Werk für einen siebenstelligen DM-Betrag. Der Autozulieferer Mitec entsteht. Zur Gruppe der Familie gehören weitere Firmen in Deutschland, Polen, den USA und China mit insgesamt 400 Millionen Euro Umsatz und rund 3900 Mitarbeitern.

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