Süddeutsche Zeitung

Versicherung:Wer nichts tut, zahlt mehr

Wegen der Inflation wollen die Versicherer die Preise in den Sparten Kfz und Gebäudeversicherung spürbar erhöhen. Ob Kunden mehr zahlen müssen, hängt zum großen Teil von ihnen selbst ab.

Von Herbert Fromme und Friederike Krieger, Köln

Höhere Preise für Lebensmittel, steile Erhöhungen bei den Vorauszahlungen für Gas und Strom, Rekordpreise für Benzin. Die meisten Haushalte sind am Limit. Jetzt kommen auch noch die Versicherer. Wenn es nach ihnen geht, zahlen Autofahrer für die Versicherung im kommenden Jahr mindestens zehn Prozent mehr. Gebäudebesitzer sollen mit 15 Prozent und mehr zur Kasse gebeten werden. Ob die Unternehmen das durchsetzen können, wird davon abhängen, wie sehr die Deutschen bereit sind, ihren Versicherer zu wechseln.

Noch hat sich kaum ein Autoversicherer dazu öffentlich geäußert. Denn das könnte die Neukundengewinnung in den kommenden Wochen bis Ende November stören, in denen Autofahrer mit Wirkung 2023 wechseln können. Aber beim gerade zu Ende gegangenen Rückversicherungstreffen in Monte-Carlo waren sich fast alle einig: Sowohl die Großhändler der Absicherung, die Rückversicherer wie Munich Re oder Hannover Rück, als auch die Erstversicherer wie Axa oder Zurich bereiten Anpassungen vor.

Als Grund nennen sie die Inflation. Allein um sie zu kompensieren, sind in der Kfz-Versicherung in Deutschland nach heutigem Stand mindestens um zehn Prozent erhöhte Preise notwendig, sagte Hannover-Rück-Vorstand Michael Pickel in Monte-Carlo. Hauptgrund sind die höheren Preise für Ersatzteile. Seine Gesellschaft ist die Nummer drei in der Welt und einer der führenden Anbieter in Deutschland, Pickel ist für den Markt zuständig. Sein Wort hat Gewicht.

"Die Inflation erreicht 2022 ihren Höhepunkt"

"In der Wohngebäudeversicherung sind die Werte und Preise um mehr als 15 Prozent gestiegen", sagte er mit Bezug auf die Werte von Häusern und die Kosten für Reparaturen. Diese Daten seien vorläufig. Möglicherweise wollen die Gesellschaften noch mehr durchsetzen.

"Die Inflation erreicht 2022 ihren Höhepunkt", erwartet auch Torsten Jeworrek, Vorstandsmitglied des weltgrößten Rückversicherers Munich Re. Aber sie werde auch 2023 noch eine große Rolle spielen. Die Preise für den Rückversicherungsschutz müssten das widerspiegeln, sagte er. "Wenn wir das nicht erreichen, ziehen wir Rückversicherungskapazität zurück."

Bei den Erstversicherern ist die Botschaft angekommen. "Wir werden zum Jahresende bei bestehenden Kunden die Preise um zehn Prozent in Kfz und 15 Prozent in Gebäude erhöhen", sagte ein Vorstandsmitglied eines mittelgroßen Versicherers aus dem Rheinland, der nicht zitiert werden wollte. Das wollten die meisten Gesellschaften tun. Einige wenige planten mit fünf Prozent Erhöhung und einem weiteren Schritt Ende 2023.

Dabei haben die Kfz-Versicherer in den vergangenen zwei Jahren so gut verdient wie seit Jahren nicht mehr. Grund war die Pandemie. Fahrerinnen und Fahrer waren weniger unterwegs, deshalb gab es weniger Unfälle. 29 Milliarden Euro zahlten Autobesitzer 2021 an Prämien für ihre Absicherung. Davon gaben die Gesellschaften 23,8 Milliarden Euro für Schäden aus. Dazu kommen Vertrieb und Verwaltung. Dennoch blieben 1,5 Milliarden Euro übrig, trotz der hohen Schäden, die der Sturm Bernd auch bei Fahrzeugen anrichtete. 2020 betrug der sogenannte technische Gewinn sogar 2,7 Milliarden Euro. Außerdem verbuchten die Versicherer in beiden Jahren erhebliche Kapitalerträge.

Inflation ist nicht gleich Inflation, sie variiert von Bereich zu Bereich

Anders in der Wohngebäudeversicherung. In dieser Sparte sorgte Bernd für mindestens vier Milliarden Euro Verlust. In der Gebäudeversicherung zeigt sich auch ein Phänomen sehr deutlich, dass die Versicherer besonders beschäftigt: Inflation ist nicht gleich Inflation, sie variiert von Bereich zu Bereich. Bei der Regulierung von Schäden im Ahrtal und anderen betroffenen Regionen hat sich herausgestellt, dass Reparaturen und Neubauten viel teurer werden als von den Versicherern kalkuliert, selbst wenn sie ständig diese Werte anpassen.

In der Kfz-Versicherung gibt es eine weitere Besonderheit. Die Preise für bestimme Ersatzteile steigen seit einigen Jahren deutlich schneller als die Inflationsrate. Wenn es sich um ein Teil handelt, das von außen oder im Innenraum sichtbar ist, greift der Designschutz des Herstellers. Dann darf kein Dritter dieses Teil herstellen und möglicherweise billiger anbieten. Hier hat der Hersteller ein Quasi-Monopol - und nutzt das angesichts enger Gewinnmargen im Neuwagengeschäft weidlich aus.

Allerdings: Die Preise anheben wollen, ist die eine Seite. Aber ob die Versicherer die Erhöhung auch durchsetzen können, die andere. Denn unter den Gesellschaften herrscht scharfe Konkurrenz.

Wie stark die Prämien also steigen, hängt vor allem von den Versicherten ab. In kaum einem Wirtschaftsbereich ist die Mehrzahl so träge wie bei der Versicherung. Sie scheuen den Aufwand, eine neue Gesellschaft zu finden, dafür Daten einzugeben und zu vergleichen.

Nicht alle Versicherer sind bei Check 24 oder Verivox gelistet

Das hat zu der bizarren Lage geführt, dass fast alle Versicherer ihre treuen Kunden schlechter behandeln als Neukunden. Wer lange bei einer Gesellschaft bleibt, zahlt mehr als jemand, der öfter wechselt. Denn um neue Versicherte zu gewinnen, subventionieren die Gesellschaften im ersten Jahr ihre Preise - auf Kosten der Altkunden. Dazu kommt: Manche Kundin, mancher Kunde hat uralte Verträge mit ebenso alten Bedingungen, die heute völlig unzureichend sind.

Versicherungskunden sollten mindestens einmal im Jahr ihre Verträge überprüfen, auch ohne dass sie darauf mit der Erhöhung durch den Anbieter erst gestoßen werden. Oft lohnt es sich, über ein Vergleichsportal herauszufinden, ob ein Rivale den Versicherungsschutz billiger bietet. Achtung: Nicht alle Versicherer sind bei Check 24 oder Verivox gelistet, die als Versicherungsmakler agieren und eine Provision erhalten, wenn man bei ihnen auf einen Versicherer klickt und dann dort abschließt.

Deutschlands größter Autoversicherer HUK-Coburg und mehrere andere Gesellschaften arbeiten aber nicht mit den Portalen zusammen. Einen neutralen Vergleich bietet Nafiauto.de, dieser Vergleicher will nicht verkaufen.

Grundsätzlich gilt: Vergleichen, vergleichen, vergleichen und den Wechsel nicht scheuen. Wer aus Sentimentalität oder Treue zu einem Vertreter bei einer Gesellschaft bleibt, sollte sich klarmachen: Diese Gesellschaft zieht sie oder ihn wahrscheinlich durch die überhöhten Preise für Altkunden seit Jahren über den Tisch. Und sie hätte keinerlei Skrupel, ihrerseits nach einem oder zwei Schäden den Vertrag Knall auf Fall zu kündigen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5659372
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.