Süddeutsche Zeitung

Autoversicherung:Eine Frage der Haftung

Ist ein unversichertes Auto in einen Unfall verwickelt, wird es kompliziert für die Opfer. Oft müssen der Staat oder ein Hilfsverein einspringen.

Von Katrin Berkenkopf, Köln

Das Auto der älteren Dame stand ungenutzt auf dem Hof. Eine Versicherung für den Wagen hatte sie nicht mehr, denn wegen ihrer angegriffenen Gesundheit wollte sie nicht mehr fahren.

Doch dann setzte sich ihr Sohn ohne ihr Wissen hinters Steuer. Er verursachte einen schweren Unfall und starb dabei, mit ihm zwei Mitfahrer. Nach jahrelangem Rechtsstreit entschied der Europäische Gerichtshof: Die Frau hätte eine Versicherung abschließen müssen, denn das Auto war nicht offiziell stillgelegt. Deshalb musste sie den Angehörigen der anderen beiden Unfallopfer 440 000 Euro Entschädigung zahlen. (Az. C-80/17)

Der Fall aus Portugal zeigt, dass eine Kfz-Versicherung in der EU grundsätzlich Pflicht ist, solange der Wagen nicht stillgelegt ist. Trotzdem kommt es immer wieder zu Unfällen mit unversicherten Fahrzeugen. In Deutschland sind davon rund 6500 unterwegs, schätzt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Entweder hat der Fahrer die Prämien nicht bezahlt, oder er handelt mit krimineller Absicht.

Eine zentrale Statistik zu unversicherten Fahrzeugen gibt es nicht. Zuständig sind die Behörden in den Städten und Kreisen. Erlischt eine Versicherung wegen Kündigung oder nicht gezahlter Prämien, macht der Versicherer dort eine Mitteilung. Die Stadt München erhält in jedem Jahr zwischen 12 500 und 13 500 solcher Anzeigen, 2019 waren es 12 850.

Wenn dann klar ist, dass der Wagen wirklich nicht versichert ist, stellt die Stadt ein Ermittlungsersuchen an die Polizei, um das Fahrzeug stillzulegen. Findet sie das Auto an der Meldeadresse des Halters nicht, so muss sie danach fahnden. In München geschah dies 2019 genau 5235 Mal.

Der GDV geht bei seiner Schätzung davon aus, dass die meisten Autos nur sehr kurz ohne Versicherungsschutz sind. Tatsächlich muss ein Versicherer nämlich auch dann noch zahlen, wenn das Auto innerhalb eines Monats nach Beendigung des Vertrages in einen Unfall verwickelt ist. Versicherer nennen das "Nachhaftung".

Aber das ist kein Freibrief. "Die Nachhaftung soll das Opfer schützen, nicht den Versicherungsnehmer", sagt ein GDV-Sprecher. Trägt der Fahrer des unversicherten Autos die Schuld an einem Unfall, bekommt das Opfer seinen Schaden ersetzt. Der Versicherer fordert das Geld aber von seinem Ex-Kunden zurück - auch bei teuren Personenschäden.

Nach Ablauf der einmonatigen Nachhaftung wird es für Unfallopfer schwierig. Dann kann ein Unfall sogar zu einem Fall von Staatshaftung werden. Andreas Krämer, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Frankfurt am Main, hat schon mehrere Fälle erlebt. Die örtliche Behörde ist haftbar, wenn sie es nicht schnell genug geschafft hat, ein Auto stillzulegen. Krämer fordert dann Schadenersatz für seine Mandanten. "Der Staat ist in diesem Fall wie die gegnerische Haftpflichtversicherung."

Wer ein Auto trotz Stilllegung weiterhin fährt, begeht eine Straftat, erklärt Fachanwalt Krämer. Verursacht er dann einen Unfall und schädigt einen Dritten, ist das ein Fall für die Verkehrsopferhilfe (VOH) in Berlin. Das ist ein Zusammenschluss von 120 Kfz-Versicherern, der Betroffene finanziell unterstützt, wenn niemand sonst zahlt. 2019 zahlte die VOH nach 200 Unfällen mit nicht versicherten Fahrzeugen.

Es ist ein Irrglaube, dass ein Fahrzeug nicht versichert ist, wenn ein nicht eingetragener Fahrer am Steuer sitzt. Leiht man also einem Freund sein Auto, muss der Versicherer zahlen, wenn er einen Unfall bauen. "Das ist lediglich ein Verstoß gegen den Versicherungsvertrag und führt zu einer Prämien-Nachforderung und möglicherweise einer Vertragsstrafe", erklärt Krämer. "Regressforderungen gibt es nur in wenigen Fällen, etwa wenn ich jemanden ans Steuer lasse, obwohl ich weiß, dass er keinen Führerschein hat oder betrunken ist."

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Quelle:
SZ vom 20.02.2020
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