Süddeutsche Zeitung

Autovermieter:Am Abgrund

Nicht nur wegen Corona ist Hertz in Geldnot. Der Konzern hat einen Insolvenzantrag gestellt. Größter Einzelaktionär ist ausgerechnet der Multi-Milliardär Carl Icahn.

Von Claus Hulverscheidt, Köln

Wer Erich Sixt für den schillerndsten Manager hält, den die Mietwagenbranche je hervorgebracht hat, hat sich vermutlich nie mit John D. Hertz beschäftigt. Der Geschäftsmann und Philanthrop, geboren 1879 in der heutigen Slowakei, war Boxer, Zeitungsreporter, Autoverkäufer und Pferdezüchter, bevor er 1924 in Chicago einen der weltweit ersten kleinen Autovermieter übernahm und ihn auf den Namen "Hertz Drive-Ur-Self Corporation" taufte, "Hertz-Fahr-Selbst-Kapitalgesellschaft". 2018 sollen Sixt und Hertz' Nachfolger an der Konzernspitze sogar einmal über einen Firmenzusammenschluss nachgedacht haben.

Wahrscheinlich ist man in Pullach mittlerweile heilfroh, dass man die Finger von dem US-Konkurrenten gelassen hat, denn die Hertz Global Holdings Inc. hat Ende der Woche Gläubigerschutz beantragt. Anders gesagt: Das Unternehmen ist zahlungsunfähig, wenn die Kapitalgeber und Partner nicht auf einen Teil des Geldes verzichten, das Hertz ihnen noch schuldet. Durch den Insolvenzantrag erhält der Konzern Zeit, mit den Gläubigern zu verhandeln. Das Geschäft in den USA und Kanada läuft dabei vorerst weiter, die Tochterfirmen in Übersee, etwa in Europa und Australien, sind von dem Bankrott bisher nicht betroffen.

Auslöser der Misere war - wie so oft in diesen Tagen - die Corona-Krise mit ihren Kontaktbeschränkungen und Reiseverboten. Hertz erzielt einen Großteil seiner Umsätze und Gewinne mit dem Autoverleih an Flughäfen, einem Geschäft, das in den vergangenen Wochen praktisch zum Erliegen gekommen ist. Kern des Problems ist allerdings nicht das Virus, sondern die massive Verschuldung, die die wechselnden Eigentümer dem Unternehmen in den vergangenen 20 Jahren aufgeladen haben. Laut Insolvenzantrag weist die Firmenbilanz derzeit Vermögenswerte von 25,8 Milliarden und Verbindlichkeiten von 24,4 Milliarden Dollar auf. Als besonders problematisch gilt jenes komplizierte Konstrukt aus Kreditforderungen in Höhe von 14 Milliarden Dollar, die von Finanzinstituten verbrieft, also in Wertpapiere umgewandelt, wurden. Die Besitzer der Papiere kaufen aus den regelmäßigen Kapitalerträgen, die Hertz ihnen zahlt, Autos, die sie dann wiederum an den Pkw-Vermieter verleasen.

Auf Staatshilfe kann Hertz trotz Corona kaum hoffen, denn größter Einzelaktionär ist mit 39 Prozent der Investor Carl Icahn - ein Multi-Milliardär, der kaum für sich in Anspruch nehmen kann, bedürftig zu sein. Egal sein kann der Regierung das Schicksal des Konzerns allerdings auch nicht: Verlangten die Gläubiger etwa, die Hertz-Mietwagenflotte zu verkaufen und zu Geld zu machen, könnten die Neu- und Gebrauchtwagenpreise in den USA weiter abstürzen. Das brächte nicht nur private Pkw-Verkäufer in die Bredouille, sondern auch die großen US-Autobauer GM, Ford und Chrysler, die wegen Corona ohnehin unter großem Druck stehen.

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SZ vom 25.05.2020
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