Süddeutsche Zeitung

Autosalon in Genf:VW-Chef Müller beschwört Renaissance des Diesels

  • Zum Auftakt des Genfer Autosalons kritisiert VW-Chef Müller lieber die gesamte Branche als den eigenen Konzern.
  • Großes Thema ist neben der Zukunft des Diesels der chinesische Investor bei Daimler.
  • Doch die Stuttgarter reden am liebsten über ihre E-Autos.

Von Max Hägler und Stefan Mayr, Genf

Das Wort Diesel kommt genau einmal vor in dieser Rede von Volkswagen-Chef Matthias Müller. Dabei wäre es angemessen, könnte man meinen, diese Sache durchzudeklinieren in diesen Zeiten, in denen die Technik wegen nachhaltiger Schmutzigkeit von Gerichten eingebremst wurde, in denen der Konzern weiterhin mit der Aufarbeitung des Abgasskandals kämpft.

Aber Volkswagen geht den anderen Weg, den des Aussparens, wobei man Müller lassen muss: Er geht ordentlich ins Gericht an diesem Vorabend des Genfer Autosalons. Aber nicht mit Volkswagen allein, nicht mit den Diesel-Ingenieuren in Wolfsburg und Ingolstadt, sondern mit der gesamten Branche. Die stehe, sagt der Vorstandsvorsitzende, vor "gewaltigen Herausforderungen". Da seien die "zunehmende Luftverschmutzung" und die "Staus bis zum Verkehrsinfarkt". Von maroden Straßen und Brücken redet er. Um dann tatsächlich festzustellen: "Viele nehmen das Auto als wesentlichen Teil dieser Probleme wahr. Und ich verstehe das."

Willkommen auf dem 88. Genfer Autosalon, willkommen in der Realität. Das ist der neue Weg des größten Fahrzeugbauers der Welt: Keine Selbstkasteiung mehr, sondern das große Ganze in den Blick nehmen, einigermaßen realistisch. Nicht der Volkswagen ist im Fokus, sondern das Auto. Ganz falsch ist das auch nicht; an der schlechten Luft sind tatsächlich die meisten Hersteller schuld.

Und der Blick auf die ganze Industrie führt dazu, dass man sich besser fühlt. Jedenfalls ist diese Party im Palexpo, der Messe direkt neben dem Flughafen Genf, verhältnismäßig unangestrengt. Trotz all dieser Themen, die auf der Autoindustrie im Allgemeinen einprasseln und auf Volkswagen im Besonderen. Lange ist Müller an diesem Abend da, wechselt dort ein paar Takte mit japanischen Journalisten und dem VDA-Technikchef Joachim Damsky. Hält hier ein Schwätzchen mit Leslie Mandoki, dem Konzern-Barden.

Chinesischer Investor bei Daimler sorgt für Diskussionen

Gekommen ist auch Bernd Mattes, der oberste Lobbyist der deutschen Autoindustrie. In dieser Halle, in der Volkswagen Fahrzeuge seiner zwölf Marken ausgestellt, sinniert Mattes, ehemals Europachef von Ford, über seine neuen Aufgaben.

US-Präsident Trump und dessen Strafzölle? Wir müssen ihm in diesen Tagen noch einmal versuchen klarzumachen, wie die Zahlen sind, sagt er. Die deutschen Hersteller führen aus ihren US-Fabriken in etwa so viele Autos aus, wie sie von anderswo dorthin importieren: "Jemand muss sein Gehör finden." Die deutsche Autoindustrie will noch versuchen, die Abgaben abzuwenden, und hält auch eher wenig von den aufgezeigten Gegenmaßnahmen der EU-Kommission: Das würde Trump im Moment nur noch mehr reizen.

Und natürlich diskutiert er, wie viele hier bei der VW-Party, über den neuen Investor bei Daimler. Li Shufu, der chinesische Milliardär, der mit Unterstützung der chinesischen Regierung für 7,5 Milliarden Euro knapp zehn Prozent an dem Autokonzern aus Stuttgart erworben hat. Wenn das Ausdruck der freien Marktwirtschaft war, sagt Mattes, könne man dagegen nichts einwenden. Sollte es Ausfluss chinesischer Wirtschaftspolitik sein, also letztlich Regierungshandeln, dann müsse man das sehr genau beobachten und Antworten darauf finden.

Auch bei Daimler selbst ist der neue Aktionär natürlich Thema. Sie haben zu etwas ganz Ruhigem geladen, ein paar Kilometer weiter. Im Espace Hippomène gibt es keine Party mehr wie früher, kein Blingbling wie sonst mit Show von Chef Dieter Zetsche und Lichteffekten, sondern eine Art spätnachmittägliches Arbeitstreffen. Kalte Getränke, keine Musik. Ein ambitionierter Daimler-Mensch erklärt das neue interaktive Armaturenbrett der A-Klasse.

Die Wirklichkeit von morgen ist nicht planbar

Annette Winkler, die Chefin der Kleinwagen-Marke Smart, hält ein Referat über die Zukunft der Elektromobilität. Auch so etwas wie Realität, soweit das ins Konzept passt. "Smart ist jetzt EQ", sagt Winkler. Soll heißen: Künftig gibt es den Kleinwagen nur noch als Elektro-Auto. Wer den Zwei- oder Viersitzer in Deutschland bestellt, muss sich allerdings lange, lange gedulden. Winkler begründet die Wartezeit mit dem "großartigen" Zuspruch. Kritischere Stimmen sagen dagegen: Das Unternehmen hat zu wenig in die Produktion des E-Wägelchens investiert - und wird nun von der Nachfrage überrollt. Einer erklärt das an diesem Abend mit dem Ketchup-Flaschen-Syndrom, das man bei Daimler öfter als Vergleich heranzieht: Irgendwann flutscht das Ding plötzlich, aber man weiß halt nie, wann und wie stark.

Das Problem haben sie natürlich alle in der Industrie. Bei aller Planung und Erklärung: Die Wirklichkeit von morgen ist nicht genau planbar, trotz all der Milliarden, die sie aufwenden. Was ist denn nun etwa mit dem Diesel, Herr Müller? "Der wird in absehbarer Zeit eine Renaissance erleben", sagt der Volkswagen-Chef tatsächlich. Weil die neuen Motoren sauber sind. Und weil man diese vergleichsweise sparsamen Aggregate braucht, um die "so anspruchsvollen" EU-Spielregeln beim Spritverbrauch zu erfüllen. Aber zur Wirklichkeit gehört auch: Eine Hardware-Nachrüstung für alte Diesel soll es weiterhin nicht geben. Was etwa der ADAC dazu testweise vorgelegt habe, sei "keine Lösung".

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