Autor Berthold Huber:Sozialökologischer "New Deal"

Schonungslose Abrechnung mit dem Kapitalismus: IG-Metall-Chef Berthold Huber leidet an den Folgen der Krise - deswegen pocht er in seinem neuen Buch auf einen radikalen Systemwechsel.

Melanie Ahlemeier

Der Kapitän hat den Überblick: Er steht auf der Brücke und sagt, wohin die Reise geht. Wann welcher Kurs eingeschlagen wird und wann es Zeit ist für eine Korrektur. Berthold Huber steht bei der IG Metall auf der Brücke, und er will nicht hier und da ein wenig nachjustieren - er pocht auf einen Kurswechsel für Deutschland. Jetzt. Sofort. Das ist seine Lehre aus der Krise, wie auch dem Untertitel zu entnehmen ist.

5 Jahre Agenda 2010

Sieben Jahre nachdem sich die damalige rot-grüne Koalition auf die Agenda 2010 verständigt hat, geißelt IG-Metall-Chef Berthold Huber das Reformwerk. In Kurswechsel für Deutschland prangert er die fatalen Folgen des sozialstaatlichen Umbaus an.

(Foto: ag.ddp)

Der mächtigste Metaller der Republik leidet an den Folgen der Wirtschaftskrise - und der Schmerz ist auf vielen Seiten seines Buches spürbar.

Huber, der intellektuelle Gewerkschafter, gibt den Systemkritiker und widmet sich den ganz großen Fragen. Arbeit schaffen, Arbeitsplätze modernisieren, starke Solidarität, Lohn der Leistung, Strategie der guten Arbeit, faire Bezahlung und Weiterbildung - es geht ums große Ganze, um eine nachhaltige Industrie- und Strukturpolitik. "Neues lernen, Macht anders verteilen - die Demokratie wiederbeleben".

Konstruktive Kritik

Diese Aufgaben treiben den Chef-Metaller vom Dienst an. Von den Gewerkschaften und damit auch von sich selbst fordert der Autor nicht weniger, als sich einzumischen. Auch in die Politik und damit in die Demokratie. Hubers Mission: eine bessere, gerechtere, solidarische, ökologisch nachhaltige und demokratische Gesellschaft. Dafür rechnet er rigoros mit dem Kapitalismus ab.

Der IG-Metall-Chef übt sich in konstruktiver Kritik. Ein Beispiel: Das Aktienrecht könne geändert werden, "sodass Vorstand und Aufsichtsrat auch auf das Wohl der Beschäftigten und das der Allgemeinheit verpflichtet werden. Betriebsschließungen, Standortverlegungen oder Massenentlassungen können künftig nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat beschlossen werden."

Gewerkschaftsträumerei? Vielleicht, aber Huber pocht auf eine bessere Wirtschaftswelt und prangert die Probleme Arbeitslosigkeit, Niedriglohnsektor sowie die fatalen Folgen der Agenda 2010 an. Und er fertigt mit Bezug auf zahlreiche Studien zugleich eine kleine soziologische Bestandsaufnahme zwischen zwei Buchdeckeln.

Wie bei Tarifrunden

Doch was ist Hubers Ziel? Was treibt ihn an? Es geht ihm um eine soziale marktwirtschaftliche Demokratie, dafür fokussiert er einen "sozialökologischen New Deal". Das ist ein hehres, ja lobenswertes Ziel. Und wahrscheinlich liegt es in der Natur eines Gewerkschafters, deutlich mehr zu verlangen als realistisch ist, damit am Ende wenigstens das kalkulierte Minimum unterm Strich herauskommt. Das ist wie bei Tarifrunden.

Huber schreibt vieles, was lange bekannt ist. "Die USA haben seit Jahren weitaus mehr konsumiert als produziert, mehr importiert als exportiert" oder "Die Binnenkonjunktur muss in Gang gebracht werden, wollen wir nicht weiterhin vor allem von der Exportnachfrage leben", so fasst er die Misere zusammen. Neu ist das nicht, Teile des Buches bringen den Leser eher zum Gähnen.

Kurswechsel für Deutschland hat aber auch echte Stärken. Das sind vor allem die Texte weiterer Autoren wie beispielsweise Erhard Eppler und Martin Baethge. Letzterer kritisiert die gewerkschaftliche Bildungspolitik, Eppler geht es um die Demokratie.

Negative Stimmen sind erlaubt

Er erklärt, warum ein starker Staat nötig ist. Hubers Text ist, wenn man so will, der Grundsatzbeitrag einer Aufsatzsammlung. Der IG-Metall-Chef lässt negative Stimmen zu, denn er will eine Debatte anstoßen. Dafür ist er auch bereit, Kritik einzustecken. Das Buch ist wichtig, weil es um die Gesellschaft geht und darum, wie sie leben will. Huber wird genau beobachten, was aus seinen Vorschlägen wird - der Kapitän steht noch länger auf der Brücke.

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