Autonomes Fahren:Der "Apollo"-Moment

Nach dem tödlichen Unfall steht die Autoindustrie an einem ähnlich entscheidenden Punkt wie die Raumfahrt 1967 nach einem Raketen-Brand.

Von Johanna Bruckner, Thomas Fromm, Max Hägler, Kathrin Werner, New York/München

Automated And Networked Electric Vehicle Technology At Robert Bosch GmbH Mobility Experience

Die Hände vom Lenkrad genommen: Ein Fahrer – hier in einem Tesla Model S – auf der Teststrecke des Automobilzulieferers Bosch im baden-württembergischen Boxberg.

(Foto: Andreas Arnold/Bloomberg)

Befürworter von Roboterautos erzählen die Geschichte so: Der Mensch sei das Risiko, denn wo der Mensch fahre, passierten Unfälle - und das schon seit weit mehr als 100 Jahren. Wenn man den Menschen aber zum passiven Beifahrer mache und das Auto autonom fahre, gebe es weniger Unfälle. Denn die Computer und Sensoren im Auto seien nie übermüdet, sie tränken nie Alkohol, und sie hätten, anders als der Fahrer vielleicht, auch keinen Beziehungsstress. Der Mensch dagegen sei, anders als Maschinen und ihre Algorithmen, nur schwer kalkulierbar. Tausende Tote gebe es jedes Jahr im US-Straßenverkehr, sagt Elon Musk, der Chef des Elektroautobauers Tesla. Und Roboterautos seien die Lösung.

Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis auch ein autonom fahrendes Fahrzeug in einen tödlichen Unfall mit einem Fußgänger verwickelt sein würde, bis also solch ein Auto, allen Versprechen der Hersteller zum Trotz, nicht rechtzeitig stoppt. Am Montag war es so weit. In Tempe im US-Bundesstaat Arizona hat ein autonomer Testwagen des Taxi-Vermittlers Uber eine 49-jährige Fußgängerin, die gerade die Straße überquerte, tödlich verletzt. Einerseits, so die Polizei, habe der umgebaute Volvo XC90 nicht abgebremst. Andererseits soll die Frau direkt aus dem Dunkel heraus auf die Fahrbahn gelaufen sein. Man sieht dem umgerüsteten Wagen deutlich an, dass er etwas Besonderes ist, auf dem Dach ist eine klobige Vorrichtung mit Kamera installiert. Der Unfallwagen hat eine Beule an der rechten Vorderseite, sonst sieht er unbeschädigt aus.

Über die alltäglichen Unfälle spricht kaum jemand. Über diesen diskutiert die ganze Welt

Die Frage ist nun: Waren die Kameras und Sensoren des Testwagens möglicherweise überfordert? Oder wäre es unter diesen Umständen nicht auch jeder Fahrer gewesen? Über den ganz normalen, fast alltäglichen Unfall auf dem Mittleren Ring in München diskutiert jedenfalls kaum ein Mensch. Ist dagegen ein autonomes Fahrzeug, das gerade noch in der Testphase fährt, in einen tödlichen Unfall verwickelt, diskutiert darüber die ganze Welt.

Für Uber, den ehrgeizigen Fahrdienstleister aus San Francisco, der seit einiger Zeit auch mit autonom fahrenden Autos experimentiert, ist der Unfall ein herber Rückschlag. Uber-Chef Dara Khosrowshahi sprach bei Twitter von "unglaublich traurigen Nachrichten".

Noch vor einigen Wochen saß der Mann, der erst seit August das Unternehmen führt, auf einer Bühne beim Weltwirtschaftsforum in Davos und wollte der Welt erklären, dass jetzt alles besser werden soll bei Uber, diesem Unternehmen, das einerseits mehr als 70 Milliarden Dollar wert ist und andererseits ständig von Skandalen geschüttelt wurde. Sein Vorgänger hieß Travis Kalanick, war Unternehmensgründer und schickte private Fahrer auf die Straße, um den traditionellen Taxlern den Garaus zu machen. Legendär ist Kalanicks Spruch vom "Arschloch namens Taxi". Dann kam Khosrowshahi, und seine Botschaft war: Schluss mit den markigen Sprüchen, den sexuellen Belästigungen in der Firma, der Frauenfeindlichkeit - ab jetzt gibt es eine neue Unternehmenskultur.

Der neue Chef setzte zudem auf neue Taxi-Dienste mit elektrischen, autonom fahrenden Autos. Uber will selbstfahrende Taxis nicht selber bauen, aber das Start-up will die Technik dafür haben, um sie am Ende vielleicht an große Hersteller wie Toyota verkaufen zu können. Jetzt aber, nach dem Unfall, stoppte Khosrowshahi erst einmal alle Testfahrten mit selbstfahrenden Autos.

Der Unfall hat aber Folgen für die ganze Branche. Die Technik für das autonome Fahren ist erst gut zehn Jahre alt, und noch fehlen Beweise dafür, was sie wirklich in komplizierten Situationen im Straßenverkehr kann, wenn zum Beispiel das Verhalten von Fußgängern und Fahrradfahrern oder spielenden Kindern nicht vorhersehbar ist. Solange nicht alle Autos automatisch fahren, müssen sich die selbstfahrenden Autos zudem mit Fahrern auseinandersetzen, die nicht immer das Richtige tun.

Beobachter nennen den Unfall in Tempe deshalb schon den Apollo 1-Moment des autonomen Fahrens - in Anlehnung an den Unfall des Raketenprogramms der Nasa, bei dem im Januar 1967 drei Astronauten starben. Wie es damals weiterging, ist bekannt: Die Optimisten setzten sich durch, zweieinhalb Jahre später, im Juli 1969, flogen die USA zum Mond.

Wird es auch diesmal so sein?

Noch in der vergangenen Woche trat John Krafcik bei der Tech-Messe "South by Southwest" in Austin auf. Der Chef von Waymo, einer Tochtergesellschaft der Google-Mutter Alphabet, bei der es ums autonome Fahren geht, zeigte ein Werbefilmchen, in dem Menschen auf der Rückbank eines selbstfahrenden Waymo-Autos zu sehen waren: eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter, eine junge Frau, konzentriert über ihr Smartphone gebeugt, ein schlafender Mann. Die Botschaft war klar: Alles sei ganz ungefährlich, sämtliche Ängste gegen autonome Autos seien unbegründet.

"Wer hat in so einem Fall jetzt eigentlich die Verantwortung?"

Trotzdem seien die Leute besessen von der Frage, wann ein Roboter einen Menschen töten werde, meinte der Moderator. Hintergrund war eine ernst gemeinte Zuschauerfrage, angelehnt an das "Weichensteller-Dilemma", ein moralisches Gedanken-Experiment: Wenn ein Unfall mit Toten unvermeidbar ist, wie entscheidet die künstliche Intelligenz, in welche Richtung das Auto steuert, welche Menschen also getötet und welche verschont werden? Krafcik meinte, bei Waymo stelle sich die Frage nicht. Die in den Autos eingebauten Sensoren antizipierten genau solche Gefahren: "Unser Auto kommt vorher zum Stehen. Wir haben Vertrauen in die Technologie."

Jetzt aber ist die Debatte in vollem Gang. "Dieser tragische Vorfall zeigt, dass autonome Wagentechnik noch einen langen Weg vor sich hat, bevor sie wirklich sicher für die Passagiere, Fußgänger und Fahrer ist, die Amerikas Straßen miteinander teilen", sagte der demokratische Senator Richard Blumenthal. "Trotz unserer Hast, Innovationen zu ermöglichen, dürfen wir nicht die grundlegende Sicherheit vergessen." In Deutschland verteidigte die Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU), selbstfahrende Autos.

In den USA unterscheidet sich die Regulierung von Bundesstaat zu Bundesstaat. In Arizona ist fast alles erlaubt, dort dürfen die Roboterwagen zum Beispiel auf öffentlichen Straßen ganz ohne Menschen an Bord Probe fahren. Auch in Deutschland planen die Hersteller autonomes Fahren. Ganz ohne Fahrer aber geht es nach ihren Plänen in den nächsten Jahren noch nicht. Volkswagen-Chef Matthias Müller mahnte am Dienstag zur Ruhe. "Ich habe immer dafür geworben, dem Hype ums autonome Auto nicht nachzugeben, sondern zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich um eine der größten Herausforderungen der Autoindustrie handelt", sagte er. Eine der Fragen laute nun: "Wer hat in so einem Fall jetzt eigentlich die Verantwortung? Ist es Uber, ist es Volvo? Ist es derjenige, der die Software geschrieben hat?" Es werde noch "viele Jahre" dauern, bis diese Fragen geklärt seien.

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