Süddeutsche Zeitung

Automobilindustrie:Schaeffler steht vor schmerzhaftem Umbau

4400 Stellen fallen weg, aber es wird auch viel investiert. Die Gewerkschaft IG Metall kündigt Widerstand gegen die Pläne an.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Nach dem ersten Schock begann das große Reden. Am Donnerstag erläuterte Schaeffler-Vorstandschef Klaus Rosenfeld, 54, Investoren und Börsenanalysten seine Pläne; zudem stehen Betriebsversammlungen an. In Herzogenaurach, Wuppertal, Clausthal-Zellerfeld, Luckenwalde und Eltmann dürfte der Gesprächsbedarf am größten sein, denn dort drohen die massivsten Einschnitte. 4400 Stellen will der Automobil- und Industriezulieferer Schaeffler bis Ende 2022 in Deutschland streichen. Die IG Metall formiert sich bereits zum Widerstand.

Am Mittwoch plant sie einen bundesweiten Aktionstag. Führende Gewerkschafter bringen sich bereits in Stellung. "Standortschließungen und Verlagerungen an Billigstandorte sind kein Zukunftskonzept", sagte Johann Horn, Chef der bayerischen IG Metall. Er wirft Schaeffler vor, die Corona-Krise auszunutzen, "um Kosten zu sparen und Profite zu steigern. Wir erwarten, dass Schaeffler stattdessen Verantwortung übernimmt und Beschäftigung sichert." Bayern trifft der Abbau am stärksten, allein am Konzernsitz in Herzogenaurach fallen nach SZ-Informationen 1200 Jobs und damit etwa jede zehnte Stelle weg. Das Werk in Clausthal-Zellerfeld (Landkreis Goslar) soll geschlossen werden, ebenso jenes in Wuppertal samt 650 Arbeitsplätzen. "Jahrelang mussten wir uns vom Schaeffler-Management anhören, der Standort Wuppertal müsse gesundschrumpfen um zukunftsfähig zu sein", kommentiert Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen. "Heute zeigt sich, dass die Entscheidung, strategische Produkte und Kapazitäten abzuziehen, eine große Fehlentscheidung war und dazu geführt hat, dass der Standort jetzt möglicherweise geschlossen werden soll."

Auch die Fabrik im unterfränkischen Eltmann steht vor dem Aus, wobei die Arbeitsplätze aber ins nahegelegene Schweinfurt verlagert werden sollen. Der Standort Luckenwalde soll verkauft werden. Insgesamt sind zwölf deutsche Schaeffler-Standorte von Kappungen betroffen.

Die Frage ist nun, wie friedlich der Abbau ablaufen wird. Metallgewerkschafter Jürgen Wechsler, zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Schaeffler, zieht eine rote Linie. "Das Verhältnis zwischen dem Unternehmen und der IG Metall wäre massiv belastet, wenn das Management Tabula rasa machen würde", sagte er. "Ich habe allerdings den Eindruck, dass man die gute Mitbestimmungskultur, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat, nicht aufs Spiel setzen wird." Dafür spricht auch Rosenfelds Ankündigung, die Stellen nach den Spielregeln einer Zukunftsvereinbarung abzubauen, die Schaeffler 2018 mit den Arbeitnehmervertretern geschlossen hat. Drei Dinge sind dabei aus Wechslers Sicht entscheidend: "Erstens, es darf keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Zweitens: Keine Standortschließungen. Und drittens wehren wir uns gegen Verlagerungen von Arbeitsplätzen und Produktion nach Osteuropa."

Womöglich geht am Ende alles mit weit weniger Krawall ab als es den Anschein hat. Denn auch Arbeitnehmervertreter erkennen an, dass der drastische Rückgang der Automobilproduktion in Folge von Corona bei Herstellern und Zulieferern unübersehbare Spuren hinterlässt. Und wenn Schaeffler nun 14 Prozent seiner Stellen in Deutschland streicht, ist das im Verhältnis deutlich weniger als etwa bei Continental, wo 13 000 von 33 000 Arbeitsplätzen wegfallen. Dem Branchenverband VDA zufolge wollen 60 Prozent der Zulieferer ihren Personalstand verkleinern, wobei ein Drittel der Firmen jeweils mehr als zehn Prozent der Jobs abbauen will.

Schaeffler hat seit Ende 2018 weltweit 8250 Stellen gestrichen; aktuell arbeiten 84 200 Menschen für den börsennotierten Familienkonzern. Das Unternehmen will aber nicht nur einsparen, sondern auch in Zukunftstechnologien investieren. So soll Herzogenaurach ein Zentrallabor für Wasserstofftechnologie (Brennstoffzelle) erhalten. Am Sitz der Autosparte in Bühl sind 500 zusätzliche Stellen für Elektromobilität und die Serienfertigung von E-Motoren geplant, die eigentlich in Ungarn entstehen sollten. Am Sitz der Industriesparte in Schweinfurt wird das Thema Robotik konzentriert.

Zwei Milliarden Euro stehen angeblich für Investitionen in die Neuausrichtung hin zur E-Mobilität bereit. Am Dienstag soll eine außerordentliche Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung beschließen, von der sich Schaeffler mehrere hundert Millionen Euro zusätzlich für den Umbau erhofft.

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SZ vom 11.09.2020
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