Süddeutsche Zeitung

Automobilindustrie in China:Weniger Staus, mehr Schmiergeld

Peking lässt weniger neue Autos zu. Müssen deutsche Hersteller nun ein Ende des Absatzboomes in China befürchten? Eher nicht - unter anderem wegen korrupten Beamten.

Marcel Grzanna

Die Behörden der chinesischen Hauptstadt Peking haben den Aktionären deutscher Autobauer die Weihnachtsstimmung vermiest. Am ersten Handelstag nach dem Fest verloren die Papiere von Volkswagen, BMW und Daimler in Frankfurt deutlich, weil in Peking neue Maßnahmen im Kampf gegen das Verkehrschaos verordnet wurden.

Die Anleger plagt die Angst, dass der Boom deutscher Hersteller in der Volksrepublik ein jähes Ende finden könnte. Anlass für die Sorge ist die Regelung, dass von Januar an nicht mehr als 240.000 Autos pro Jahr in Peking zugelassen werden. Das sind im Vergleich zu 2010 zwei Drittel weniger. Die Kauflust der Chinesen auf deutsche Autos könnte vom Staat förmlich ausgebremst werden, so die Sorge.

Für Autohersteller ist die Regel tatsächlich ein Hindernis. Doch Grund zur Panik besteht nicht. Kaum ist nämlich die Regelung verkündet, wird schon über die diversen Schlupflöcher spekuliert, die sich die Bürger graben werden, um ihren Behörden ein Schnippchen zu schlagen.

Dass künftig nur noch der zulassen darf, auf dessen Namen noch kein Fahrzeug registriert ist, wird wohl wirkungslos bleiben. Denn ab sofort werden die Autos einfach auf ein Familienmitglied angemeldet. Nicht zu vermeiden sein wird zudem ein blühender Schwarzmarkt für die Bewilligungsscheine, die im Losverfahren an die Bevölkerung verteilt werden.

Auch die Korruption in der Pekinger Verkehrsbehörde wird vermutlich erheblich zunehmen. Zusätzliches Handgeld, das nötig ist, um ein Auto überhaupt zulassen zu dürfen, können sich vor allem diejenigen leisten, die sich die vergleichsweise teuren deutschen Autos zulegen. Wenn jemand die Anschaffung eines neuen Mercedes oder BMW plant, wird er das nicht an 1000 Euro scheitern lassen, die er vielleicht zusätzlich in Schmiergeld investieren muss.

Außerdem sieht die Regelung vor, dass alle, die in Peking leben, aber dort nicht gemeldet sind, von vorneherein keine Zulassung erhalten. Die Zahl der Betroffenen beläuft sich je nach Schätzung auf bis zu zehn Millionen Menschen. Das sind in der Regel diejenigen, die aus ländlichen Regionen stammen und in Peking vom wachsenden Wohlstand des Landes profitieren wollen. Deren finanzielle Mittel sind begrenzt. Wenn diese Menschen ein Auto wollen, dann aus dem Billig- oder Nutzfahrzeugsegment. Deutsche Hersteller werden davon also kaum betroffen sein. Das gleiche gilt für jene 16 weiteren Städte in China, in denen ebenfalls überlegt wird, die Pekinger Maßnahme einzuführen.

Ihr Einfallsreichtum wird die Pekinger außerdem in die nur wenige Kilometer entfernte Nachbarprovinz Hebei führen, wo eine Schwemme an Neuzulassungen erwartet wird, die dann Pekings Verkehr belasten. Die Behörden der Hauptstadt bereiten sich darauf allerdings vor: Wer das Stadtgebiet mit einem Kennzeichen aus Hebei befahren will, braucht eine besondere Plakette. Ein generelles Fahrverbot soll für die auswärtigen Fahrzeuge zur Rush-Hour gelten. Auch das wird die Korruption wachsen lassen.

Deutsche Hersteller sind entspannt

Die drastischen Eingriffe der Behörden sind weltweit wohl beispiellos. Es ist die Reaktion auf ein gewaltiges Problem, das sich offenbar nur noch mit radikalen Mitteln in den Griff bekommen lässt. Denn die Verstopfung der Straßen hat längst unerträgliche Ausmaße angenommen. Die Nutzungsbeschränkung für Privatfahrzeuge auf sechs Wochentage, die verbilligten Fahrscheine für das öffentliche Nahverkehrssystem und die Einführung erhöhter Parkgebühren in der Innenstadt haben die Situation nicht erleichtern können.

Doch selbst eine derart radikale Regulierung wie die Grenze bei den Zulassungen kann höchstens ein erster Schritt sein, weil trotz der Maßnahme im Laufe des kommenden Jahres eine weitere Viertelmillion Fahrzeuge auf die Straßen drängen wird. Die Gesamtzahl wird so auf fünf Millionen steigen. Von einer Verbesserung kann also keineswegs die Rede sein, lediglich von einer verlangsamten Verschlechterung.

Die deutschen Hersteller geben sich entspannt, was die neue Regelung angeht: Bei BMW hieß es, die Entscheidung der Chinesen sei nicht überraschend. Es habe auch bisher schon Einschränkungen des Straßenverkehrs in China gegeben. Das gelte vor allem für Peking, wo ja an bestimmten Tagen nicht alle Fahrzeuge unterwegs sein dürften. "Wir warten in Ruhe ab", sagte eine Sprecherin. "Man muss sich die weitere Entwicklung anschauen." Ein Daimler-Sprecher teilte mit, der Stuttgarter Konzern erwarte "weiter eine positive Entwicklung auf dem chinesischen Markt für Luxusautos".

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Quelle:
SZ vom 28.12.2010/aum
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