Automobilindustrie:Die zweite Reihe fällt mit

Nicht nur die Autohersteller, auch ihre Zulieferer werden schwer getroffen. Trotz des allgemein harten Tons untereinander - die Krise schweißt zusammen.

D. Deckstein, M. Hesse und U. Ritzer

Wenn von "der" Automobilindustrie in Deutschland die Rede ist, fallen meist nur die Namen der bekannten Marken: Volkswagen und Mercedes, BMW und Audi, Porsche und Opel.

Automobilindustrie: Nicht nur die Autohersteller haben mit der Absatzkrise zu kämpfen, sondern auch Autozulieferer wie etwa der Reifenhersteller Continental.

Nicht nur die Autohersteller haben mit der Absatzkrise zu kämpfen, sondern auch Autozulieferer wie etwa der Reifenhersteller Continental.

(Foto: Foto: ddp)

In der Absatzkrise, die die Hersteller mit Wucht getroffen hat, büßten diese zwar einiges an Glanz ein. Aber dass hinter den bekannten Marken eine Vielzahl von weit weniger bekannten Namen steht, ist in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt: Namen wie Hella, Knorr-Bremse oder auch Kiekert, Brose oder Kolbenschmidt. Ganz zu schweigen vom künftigen Großkonglomerat Continental und Schaeffler, das vielen immerhin ein Begriff ist durch die Übernahmeschlacht, die sich das Herzogenauracher Familienunternehmen mit dem Hannoveraner Börsenkonzern lieferte.

Ebenso dürften die wenigsten Autofahrer wissen, dass der Löwenanteil der von ihnen gesteuerten Gefährte nicht vom Autobauer, sondern von seinen Zulieferern gebaut wurde. Schon heute kommen vier von fünf Teilen eines Autos nicht vom Hersteller selbst, sondern von dessen Partnern. Von diesen wiederum liefern viele nicht nur Teile, sondern übernehmen inzwischen auch die Entwicklung und Produktion ganzer Systeme. Ob Antriebsstränge, Lenk- und Bremssysteme, ob Stand- und Sitzheizungen, Airbags, Kugellager, Reifen, Beleuchtung, Fahrwerk, Elektronik, Turbolader oder Filter - alles wird zugeliefert.

Mit Karacho in die Flaute

Nicht von ungefähr stellt die deutsche, mittelständisch geprägte Zulieferindustrie mit 328.000 Beschäftigten fast die Hälfte aller Automobil-Arbeitsplätze und setzte im vergangenen Jahr 76 Milliarden Euro um. Zu den größten Zulieferern gehören Bosch, ZF Friedrichshafen, der Stuttgarter Kolbenspezialist Mahle und der Kühlerhersteller Behr ebendort, Knorr-Bremse in München, Brose in Coburg, Hella in Lippstadt und auch Kolbenschmidt Pierburg in Neckarsulm. Nur wenige sind börsennotiert, einige in Stiftungsbesitz, wie Bosch, ZF und Mahle - und bei der weitaus überwiegenden Vielzahl der 600 deutschen Zulieferer handelt es sich um Familienunternehmen.

Wenn aber die Autohersteller, die ohnehin seit Jahren weniger Autos verkaufen als sie bauen könnten, zusätzlich durch die Finanzkrise ausgebremst werden, spüren das auch ihre Zulieferer sehr schnell und unmittelbar. Auch sie steuern mit Karacho in die Flaute. Schon weitet Bosch, der Branchenprimus und derzeit größte Autozulieferer der Welt, die Kurzarbeit in seinen Werken aus. Nach 3500 Beschäftigten im Werk Bamberg haben nun auch 515 Mitarbeiter des Werkes in Rommelsbach weniger Arbeit. Und vergangene Woche wurde mit knapper Not die sofortige Insolvenz des Zulieferers Gimotive/Stankiewicz GmbH aus dem niedersächsischen Celle vorerst abgewendet: Die 1300 inländischen Arbeitsplätze des Herstellers für Schallisolationen und Gummibeläge scheinen zunächst gesichert - mit der Betonung auf "zunächst".

In einer Zeit, in der sich die Hiobsbotschaften aus der Autobranche massiv häufen, nützt es den Zulieferern nicht viel, dass allein ein Viertel der 100 weltweit Größten der Branche in Deutschland residiert. Die Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Herstellern und ihren Zulieferpartnern sowie zwischen den Zulieferern untereinander ist so groß, dass schon der Ausfall eines einzigen Gliedes in der Wertschöpfungskette weitreichende Folgen hat. Kann ein Lieferant zum Beispiel von heute auf morgen keine Rückspiegel mehr ans Fließband befördern, kann ein Auto auch nicht ausgeliefert werden. Wer kauft schon ein Auto ohne Rückspiegel?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso der Umgang der Hersteller mit ihren Zulieferern zunehmend härtere Formen annimmt.

Die zweite Reihe fällt mit

Dass Hersteller und ihre Zulieferer extrem aufeinander angewiesen sind, legt einen partnerschaftlichen Umgang miteinander nahe - doch kann davon kaum die Rede sein. Nach wie vor steht eine fragmentierte Zulieferer-Landschaft dem Nachfrage-Oligopol einiger weniger Hersteller gegenüber und ist ihrer Nachfragemacht ausgesetzt.

Automobilindustrie: Die größten deutschen Autozulieferer sehen Sie mit einem Klick auf dieses Bild.

Die größten deutschen Autozulieferer sehen Sie mit einem Klick auf dieses Bild.

(Foto: SZ-Graphik)

Stundenlang mürbe gemacht

In Zeiten von Überkapazitäten, Nachfrageschwäche und Margenverfall nimmt auch der Umgang der Hersteller mit ihren Zulieferern zunehmend härtere Formen an. So weiß zum Beispiel einer aus dieser Riege über rüde Praktiken eines seiner Hauptauftraggeber zu berichten: Die Zuliefer-Vertreter - selbst wenn sie etwa gerade mit Jetlag von einer Dienstreise nach Übersee eintreffen - warten erst einmal stundenlang in einem fensterlosen Raum, nicht mal Wasser oder Kaffee wird serviert; dann erst beginnen die Verhandlungen. So macht man Abhängige mürbe. Und die geben den Druck nach unten an ihre Sub-Zulieferer weiter und die wiederum ans letzte Glied der Kette. Im Branchenjargon spricht man von "Tier 1", "Tier 2" und "Tier 3". Den letzten beißen, wie so häufig, die Hunde.

Die Wachstums- und Ertragsprobleme der Autohersteller begannen ja nicht erst mit der Finanzmarktkrise, sondern belasten das Verhältnis von Herstellern und Zulieferern schon seit vielen Jahren. "Zwischen allen Wertschöpfungsstufen der Automobilindustrie herrscht offener Krieg", stellte bereits 2005 die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton in einer Studie fest. Jährliche Preissenkungen von drei bis fünf Prozent werden den Zulieferern in längerfristigen Lieferverträgen wie selbstverständlich festgeschrieben, und selbst während der laufenden Serie wird oft noch nachverhandelt, wenn es dem Hersteller nach eigenem Bekunden schlechter geht.

So verlangte etwa der Volkswagen-Konzern bei seinem Sparprogramm für die Marke VW vor dreieinhalb Jahren von seinen Zulieferern, allein drei Milliarden zur geplanten Einsparsumme von sieben Milliarden Euro beizusteuern. Das löste einen regelrechten Schub bei den Lieferanten aus, ihre Produktion gen Osten zu verlagern.

Krise schweißt zusammen

Heute, da der Krisensturm über alle gleichermaßen hinwegfegt, klingt der Ton gegenüber den Lieferanten schon weniger kriegerisch. Als VW-Chef Martin Winterkorn Anfang November auf einem Kongress gefragt wurde, ob die Autoindustrie angesichts der Krise nicht ihren enormen Preisdruck auf die Zulieferer lockern müsse, da ließ er sich nicht festnageln. Eines aber könne er mit Bestimmtheit sagen, antwortete Winterkorn: Das Unternehmen werde keinen seiner Zulieferer hängen lassen und tatenlos zusehen, wie er in Konkurs gehe. Mit VW könne man immer reden.

Mit sich reden lässt auch Europas zweitgrößter Zulieferer Continental, dessen Chef sich offenbar große Sorgen um die Branche macht. "Es gibt Anzeichen, dass 2009 noch einige Autozulieferer Probleme bekommen", sagte Vorstandschef Karl-Thomas Neumann am Dienstag. "Wir hängen an unseren Lieferanten, davon sind einige gefährdet. Wir überlegen deshalb sehr gezielt, welche Lieferanten für uns elementar wichtig sind und wie Wege aussehen könnten, sie zu stützen." In Branchenkreisen heißt es, auch die Autohersteller arbeiteten an Auffanglösungen für wichtige Zulieferer. Offenbar gebe es bereits Firmen, die auf die Hersteller zugehen und um Kredite bitten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Zulieferer versuchen, der Krise zu entkommen.

Die zweite Reihe fällt mit

Froh ums andere Standbein

Neumann hält eine Bereinigung in der Zulieferbranche zwar für notwendig. Zu viele seien noch Mittelständler. "Meine persönliche Sorge ist aber, dass dabei zu viel kaputt geht: Es dürfen keine Gesunden wegen mangelnder Kredite auf der Strecke bleiben." Der Conti-Chef sieht die Banken in der Pflicht: "Es ist wichtig, dass die Banken ihren Job machen und Liquidität bereitstellen." In der Branche wird jedoch auch über staatliche Lösungen nachgedacht. "Es könnte sinnvoll sein, für die gesamte Zulieferer-Branche Kredite staatlich abzusichern", sagt ein Top-Manager eines großen Zulieferers.

Ungeachtet aller Schreckensmeldungen über Absatzeinbrüche, Konsumzurückhaltung, entlassene Leiharbeiter und Zwangsurlaube bei Stammarbeitskräften: Die Automobil-Zulieferbranche wird keineswegs flächendeckend von der Automobilkrise gebeutelt. Bei Ingenieurs-Dienstleistern zum Beispiel hinterlässt sie bislang schlimmstenfalls ein paar Schrammen - etwa weil die Automobilmarken Aufträge strecken. Grundsätzlich hat jedoch gut zu tun, wer an der Konstruktion und Entwicklung künftiger Fahrzeuge beteiligt ist. "Das gilt umso mehr, wenn die Aufträge mit wichtigen Zukunftsthemen wie Spritsparen zu tun haben", sagt der Chef eines fränkischen Zulieferers. "Grundsätzlich gilt: Je mehr ein Zulieferer von der Serienproduktion einer Automobilmarke abhängig ist, desto kritischer ist momentan seine Lage."

Wohl dem, der da ein zweites Standbein hat. So versucht derzeit der Kugellagerhersteller Schaeffler, einen Teil der Einbrüche im Automobilgeschäft durch interne Umschichtungen aufzufangen. Denn die Geschäfte der Industriesparte laufen bestens und einige dieser Werke sind mehr als ausgelastet. Das gilt auch für den Mega-Zulieferer Bosch, dessen beide weiteren Geschäftssäulen Industrietechnik und Hausgeräte noch nicht von der Krise erfasst sind. Und es setzt zugleich ein Signal der Hoffnung: In Renningen bei Stuttgart will Bosch auf einem alten Bundeswehrgelände ein Forschungs- und Entwicklungszentrum bauen - für 1500 Mitarbeiter.

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