Süddeutsche Zeitung

Automobilindustrie:Opel soll sein Herz verlieren

Lesezeit: 4 min

Von Thomas Fromm, Max Hägler, München, und Leo Klimm, Paris, München/Paris

Tag und Nacht hatten sie über die Zukunft von Opel verhandelt im Herbst 2009. Die damalige US-Mutter General Motors (GM) und der österreichisch-kanadische Zulieferer Magna. Und eigentlich war die Sache klar: GM wollte den schwer angeschlagenen Autohersteller verkaufen, Magna wollte ihn haben. Die Bundesregierung und der Opel-Betriebsrat favorisierten Magna als Käufer. Sogar Milliardenhilfen hatte Berlin den Österreichern schon in Aussicht gestellt.

Alles schien besser als GM zu sein.

Hauptsache, weg von den Amerikanern. Doch dann kam es zu einer dramatischen Volte: GM sagte den Verkauf von Opel über Nacht ab. In der GM-Zentrale in Detroit hatte man am Ende doch verstanden, dass zu Opel auch das Rüsselsheimer Entwicklungszentrum gehörte. Und dass genau dort nicht nur Opel-Modelle, sondern auch sämtliche GM-Mittelklassewagen entwickelt werden, etwa der Elektrowagen Chevy Volt. Das Entwicklungszentrum mit seinen fast 8000 Mitarbeitern war also nicht nur das Herz von Opel. Es war auch ein wichtiger Teil von GM.

"Das ist der Beleg, dass PSA-Chef Carlos Tavares nur noch den Markennamen will"

2017 dann verkaufte GM Opel plötzlich doch - schnell und schmerzlos. Für 1,3 Milliarden Euro ging der deutsche Hersteller an den französischen Autobauer PSA (Peugeot, Citroën) - Entwicklungszentrum inklusive. Und jetzt, 2018, soll das Herz von Opel weg: Teile des Internationalen Forschungs- und Entwicklungszentrums (ITEZ) könnten an einen externen Dienstleister weitergereicht werden, berichtete zuerst das französische Blatt Le Monde. Wie aus geheimen Papieren hervorgeht, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, gelten die Ingenieurfirmen Altran, Akka und Segula aus Frankreich und Bertrandt aus Deutschland als Interessenten. Hat Opel, der ewige Krisenkonzern, der seit vielen Jahren Milliarden verloren hat, bald keine eigene Antriebsentwicklung und kein Testzentrum mehr? Was bleibt dann noch, wenn das Herz weg ist?

"Das ist der Beleg, dass PSA-Chef Carlos Tavares nur noch den Markennamen will", sagt ein Opel-Insider. Nach dieser Restrukturierung werde Opel "kein eigenständiger Autobauer mehr sein". Ende eines Autobauers? "Opel entwickelt sich zur einer PSA-Verkaufsabteilung", urteilt auch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut an der Universität Duisburg-Essen. Die Franzosen hätten "von Anfang an mit verdeckten Karten taktiert".

Die jüngere Geschichte von Opel ist eine Geschichte von Jobstreichungen und Werksschließungen, durchgestochenen Gerüchten, abrupten Managerwechseln, großen Ankündigungen mit beschränkter Halbwertzeit, noch größeren Misserfolgen - und eine Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen.

So wohl auch diesmal. Man habe mit IG Metall und Betriebsrat "regelmäßig und bereits seit Dezember 2017" besprochen, dass strategische Partnerschaften in Forschung und Entwicklung sondiert würden, sagt Opel-Chef Michael Lohscheller trotzig. Doch der Gesamtbetriebsrat reagiert am Mittwoch nicht so, als sei mit ihm vieles besprochen worden. Man werde einen Verkauf und damit einen "Angriff auf das Herz der Marke Opel und die Beschäftigung im ITEZ nicht kampflos hinnehmen". Konkrete Verkaufsabsichten für Teile des Entwicklungszentrums? Davon sei nie die Rede gewesen. Haben PSA und Opel also "wissentlich die Unwahrheit gesagt"?

Erst vor Kurzem kündigte das Unternehmen an, das Forschungs- und Entwicklungszentrum auszubauen. Sitze oder manuelle Schaltsysteme sollten für den Gesamtkonzern PSA aus Rüsselsheim kommen. Opel werde "eine noch wichtigere Rolle in der globalen Forschungs- und Entwicklungsarbeit der Groupe PSA spielen", versprach Lohscheller. Auch am Mittwoch hieß es: Das Rüsselsheimer Zentrum werde "alle Opel-Modelle entwickeln"; allerdings würden die Aufträge der Ex-Mutter GM zurückgehen.

Aber muss man dann gleich das Entwicklungszentrum zerlegen und verscherbeln? Das Herz, an dem selbst die wenig sentimentalen GM-Manager hingen?

Das Herz soll raus - und wie stark es noch schlägt, dazu kursieren mittlerweile schon Präsentationen bei den Deal-Machern der Investmentbanken. Eines der Papiere zeigt: Bereits im September vergangenen Jahres - also kurz nachdem PSA Opel gekauft hat - begannen die Sondierungen bei Ingenieurdienstleistern. Als mögliches Datum einer Vertragsunterzeichnung wird hier Dezember 2018 genannt. Es geht um Teile mit knapp 4000 Mitarbeitern und einem Umsatzpotenzial zwischen 750 Millionen und einer Milliarde Euro. Hintergrund der Operation: Die Abteilung hat Überkapazitäten von etwa 40 Prozent. Der ideale Partner, so heißt es, habe eine langfristige Vision und "ein überzeugendes Konzept für die Mitarbeiter". Also das, was PSA und Opel offenbar fehlt - sonst würde man ja keinen Käufer suchen. Das Problem, heißt es weiter: Die Opel-Ingenieure seien auf den ersten Blick nicht wettbewerbsfähig. Sie seien "alt", geschützt durch Tarifverträge und "teuer".

Der ideale Partner, so heißt es, habe eine langfristige Vision und "ein überzeugendes Konzept für die Mitarbeiter"

Die Herz-OP entspräche dem Stil von PSA-Chef Tavares. Schon in seiner Zeit als Vorstand beim französischen Erzrivalen Renault trieb er die Auslagerung nicht nur industrieller Bauteile voran, sondern auch die von Entwicklungstätigkeiten: Vom Konzept eines neuen Modells bis hin zur Betreuung seiner Fertigung vertraute Tavares die Dinge externen Dienstleistern an. Bei PSA, wo Tavares seit 2014 Chef ist, definiert der Kostenkiller die Kerntätigkeiten, die im eigenen Haus erledigt werden müssten, ebenfalls eng. Auslagern, verkaufen, Geld sparen. Das Outsourcing gab etwa den Anstoß für ein Entwicklungszentrum mit etwa 1 500 Mitarbeitern, das der Dienstleister Altran in Marokko betreibt. Hunderte PSA-Informatiker mussten zum IT-Berater Capgemini wechseln. Ganze PSA-Teststrecken gingen samt Personal an die Firma Segula über.

"Die Lage in Rüsselsheim ist aber dramatischer", sagt ein PSA-Sprecher. "Hier geht es darum, Ersatz zu finden für Aufträge, die einfach verschwinden."

Nicht zufällig tauchen neben dem schwäbischen Dienstleister Bertrandt nun wiederum die beiden französischen Unternehmen Altran und Segula als mögliche Interessenten auf, wenn es um das Opel-Entwicklungszentrum in Rüsselsheim geht. Frankreich, das ist so etwas wie das Kernland ausgelagerter Ingenieurdienstleistungen - nirgendwo hat man sich so sehr darauf spezialisiert.

Aber noch ist nichts entschieden. "Verglichen mit den Franzosen waren die Amerikaner Gentlemen", heißt es aus Arbeitnehmerkreisen bei Opel. Und das will schon etwas heißen.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2018
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