Automesse in Shanghai:Die neuen E-Auto-Pioniere kommen aus China

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Das Elektroauto EVE von Hersteller Nio. Die Volkswagen-Bosse besuchten dessen Stand auf Automesse in Shanghai. (Foto: REUTERS)
  • Viele junge Firmen aus China bauen nun, unterstützt von der Regierung, eigene Elektroautos.
  • Es geht einerseits darum, durch mehr E-Autos die Luft in chinesischen Städten zu verbessern - andererseits aber auch um viel Geld und viel Stolz.
  • Der deutsche Autobauer Volkswagen will sich davon bislang nicht beeindrucken lassen - besuchte in Shanghai aber sehr interessiert die Messestände der neuen Konkurrenz.

Von Christoph Giesen und Max Hägler, Shanghai

Die Männer aus Deutschland in ihren dunklen Anzügen sagen jetzt nichts, es könnte ja als Schwäche ausgelegt werden. Aber allein der Besuch zeigt: Neugier ist da, und, man darf das unterstellen, auch Respekt. Die Volkswagen-Manager haben sich vor dem Alu-Fahrwerk versammelt, das eine chinesische Firma namens Nio aufgebaut hat, samt des integrierten Elektroantriebs. Der oberste VW-Chef Matthias Müller schaut ein wenig zweifelnd, die Arme hält er verschränkt, ganz der deutsche Ingenieur. Audi-Lenker Rupert Stadler ist gekommen, und auch sein VW-Kollege Herbert Diess. Die Visite der Manager des größten Autobauers der Welt bei einem Start-up hier auf der Automesse in Shanghai - das hat Symbolkraft.

Dabei geht es um mehr als um die Gussqualität des Aluminiums. Hier in China entscheidet sich viel für die deutsche Autoindustrie. Das Land ist mittlerweile der größte Automarkt der Welt, "Leadmarket" sagen die deutschen Auto-Manager dazu. Im Jahr 2016 verkauften sich hier vier von zehn Fahrzeugen aus dem Volkswagen-Konzern. "An China hängt's, nach China drängt's", formuliert es Müller entsprechend in diesen Tagen.

Doch immer stärker drängen auch die Chinesen selbst auf ihren eigenen Markt. Und setzen auf die Marktführung bei dem anstehenden Wechsel in der Antriebstechnik: China will beim E-Auto an die Weltspitze. Koste es, was es wolle. Die Deutschen könnten damit ihre Branchenführung verlieren. Die Profiteure dabei: E-Start-ups, die die Gunst der Stunde nutzen wollen, um die großen, etablierten Konzerne aus dem Westen anzugreifen: Sie heißen - ernsthaft - Weltmeister, Lesee, Next EV oder eben Nio.

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Nun gibt es bereits etliche chinesische Fahrzeugfirmen, deren Autos aber anderswo völlig unbekannt sind, was auch daran liegen kann, dass sich die oft als Logo verwendeten Schriftzeichen schwer entziffern lassen. Mitunter sind die Fahrzeuge westlichen Wagen auch zum Verwechseln ähnlich: Gegenüber des Mercedes-Standes findet sich etwa ein Auto, das nach G-Klasse aussieht - aber doch nur abgekupfert ist. Auch VW kennt das. Diese unverblümte Nachahmerei schmerzt die deutschen Manager, aber nur ein bisschen. Denn die potenziellen Kunden deutscher Autos geben gerne das Drei- oder Vierfache für das Original aus. Und klagen hülfe sowieso nichts, da die Nachahmer mitunter vom chinesischen Staat verordnete Geschäftspartner sind, die auch das Original zusammenschrauben.

Herausfordernder ist indes, was Müller und seine Kollegen bei ihrem Messe-Rundgang besichtigen: Autos mit neuen elektrischen Antrieben. Kaum irgendwo auf der Welt wird diese Technik derart gefördert wie in China, umgerechnet bis zu 15 000 Euro bekommt ein E-Auto-Käufer und dazu noch ein Nummernschild, das ihm freie Fahrt in den Städten gewährt, selbst bei Fahrverboten wegen Smog. Bereits jetzt ist China mit Abstand der größte Elektroautomarkt der Welt, der "Leadmarket" eben: Im vergangenen Jahr wurden in der Volksrepublik 507 000 strombetriebene Fahrzeuge gekauft. Und es sollen schnell viel mehr werden, per Quote. Spätestens im Jahr 2019 müssen mindestens vier von 100 verkauften Autos auch mit Batterie fahren können; der Zwangsanteil wird weiter steigen.

Offiziell will die Regierung durch einen hohen E-Auto-Anteil vor allem die Qualität der Luft in den Städten verbessern - wegen der extremen Smogbelastung tragen inzwischen viele Menschen Masken vor dem Gesicht. Doch es geht auch ums Geldverdienen und um den Stolz: Wer Autos produziert, der gilt etwas in der Welt. Bei Verbrennungs-Motoren kam man nie auf das Niveau westlicher Ingenieure, die E-Mobilität bietet nun die Chance zum Aufholen und vielleicht zum Überholen. Finanziert mit Geld chinesischer Internetkonzerne entwickeln junge chinesische Unternehmen nun neue Autos; die Ingenieure, die in China, im Silicon Valley oder im Falle von Nio auch in München arbeiten, wurden teilweise für Millionen-Gehälter bei der Konkurrenz abgeworben. Ganz normaler Kapitalismus im kommunistischen China - zu diesem Bild passen auch die schwarz gewandeten Sicherheitsleute, die über die Autoshow laufen, mit Schlagstock in der Hand. Geschäfte gern - aber nach chinesischen Regeln.

Bei der Entwicklung mit am weitesten ist wohl Nio, deren Messestand der Anlaufpunkt von VW-Chef Müller ist. Das Unternehmen hat vor den Toren Shanghais, in Anting, ein Testzentrum aufgebaut. Zhang Hui, Managing Director München, streift sich blaue Füßlinge über und führt durch die Anlage. In der Montagehalle steht ein verkabelter Geländewagen, der Motor ist ausgebaut, dafür wurde ein gewaltiger Akku unter das Auto geschraubt, 550 Kilogramm schwer. Die Batterien werden in der Hitze Australiens und in der Kälte der Inneren Mongolei getestet. Naive Bastelei? Eher nicht. "Schauen Sie einmal, diese Anlage ist von AVC", sagt Zhang und zeigt auf einen Teststand. "Das ist aus Österreich, das Beste vom Besten. Wie die großen Hersteller." Früher hat er selbst für einen Autozulieferer gearbeitet, für Leoni aus Nürnberg. "Und hier Bosch", sagt Zhang, wieder zeigt er auf eine Maschine, die irgendetwas testet. Viel Geld ist in diese Firma geflossen, deren Gründer sich quasi von der Stube kennen: aus der gemeinsamen Zeit beim Militär. Im vergangenen Jahr haben sie bereits sechs bemerkenswerte Autos gebaut: Jeder Investor der ersten Stunde bekam einen Nio, der 313 Kilometer pro Stunde fährt. Weltrekord.

Die Manager aus Deutschland schwanken zwischen Spott und Respekt. Die Neuen seien meist sehr regsam in der Kommunikation, aber langsam beim Umsetzen, sagt BMW-Vorstand Ian Robertson, dessen Messestand in Shanghai weit schlichter ist als der von Nio nebenan. VW-Chef Müller sagt: Man habe ja noch wenig gesehen. Keine Sorge also? "Der einzige Hersteller, der seine Versprechen wahr macht, ist letztendlich Tesla."

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VW hat einen chinesischen Professor für Automobilwirtschaft zur Messe eingeladen. 50 Prozent der heutigen E-Auto-Firmen würden wieder eingehen, sagt der Mann. Man kann sich schon vorstellen, dass da "Singulato" dazu gehört, dessen Konzeptfahrzeug zwar an der Heckklappe per LED animierte Herzchen zeigt, aber an dessen Türen noch Klebstoffreste pappen. Andererseits hat Singulato gerade erst 600 Millionen US-Dollar von Investoren eingeworben. Und so könnte die Firma vielleicht doch zu den 50 Prozent der Firmen gehören, die sich durchsetzen - und den Deutschen das Leben schwer machen. VW will sich davon nicht beeindrucken lassen. Man habe einen Plan für die kommenden zehn Jahre entwickelt, sagt Konzern-Chef Müller. "Den ziehen wir durch und dann werden wir sehen wer am Ende die Nase vorne hat."

Zu dem Plan gehört es "chinesischer" zu werden. Man könne ja auch nicht alles aus Wolfsburg heraus machen. Also: Mehr Ingenieure nach China. Und einfachere, standardisierte Batteriesysteme bauen. Es geht voran, und so schwärmen die zuständigen VW-Ingenieure in China bereits von "Smartphones auf Rädern". Ab dem Jahr 2020 könnten die im großen Stil auf die Straßen kommen. Im Blick als Kunden dabei weiterhin bei Volkswagen: die anspruchsvolle Mittelschicht.

Bei Nio sind sie indes schon weiter. Im Herbst wollen sie ihren ES 8 in Serie bringen. Die Aufträge werden gerade vergeben, die Auswahl ist groß. Seitdem Volkswagen vor über 30 Jahren nach Anting gezogen ist, hat sich die Zulieferindustrie für den größten Automarkt der Welt ganz in der Nähe angesiedelt. Direkter Nachbar von Nio ist der fränkische Schaeffler-Konzern. Anting ist Chinas Wolfsburg. Ist die Autostadt. Und davon profitieren nun immer öfter auch die Einheimischen.

© SZ vom 22.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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