Automatisiertes Fahren:Einfach mal laufen lassen

Automatisiertes Fahren: Noch ist nicht geklärt, was ein Fahrer im Auto darf und was nicht - außer der Benutzung von Mobiltelefonen ist wenig untersagt. Aber kann ein Auto wirklich selbst verantwortlich sein?

Noch ist nicht geklärt, was ein Fahrer im Auto darf und was nicht - außer der Benutzung von Mobiltelefonen ist wenig untersagt. Aber kann ein Auto wirklich selbst verantwortlich sein?

(Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Bald steuern nicht nur Menschen, sondern auch Computer Autos. Doch was ist, wenn die Roboter Unfälle bauen? Die Bundesregierung will dies nun per Gesetz regeln.

Von Markus Balser und Max Hägler

Besonders schön ist das Gefährt nicht, das Matthias Müller da per Knopfdruck auf die Bühne holt: Ein Kleinbus mit knuffigem Gesicht, aber ohne Lenkrad und Pedale. Sedric nennt der VW-Konzernchef den fahrenden Roboter bei der Eröffnung des Genfer Autosalons in dieser Woche. "In absehbarer Zukunft" würden solch selbstfahrende Autos zum normalen Straßenbild gehören, ist sich Müller sicher. Harry, hol schon mal den Wagen, dieser geflügelte Spruch aus der TV-Serie Derrick wird abgelöst durch digitale Technik. Sie soll die Sicherheit auf den Straßen verbessern, weil sie angeblich weniger Fehler macht als der Mensch. In der Branche allerdings schafft sie Unsicherheit. Schließlich mischen plötzlich auch Technologiekonzerne wie Google mit und könnten den Markt verändern. Weil die Konkurrenz größer wird, haben Politik und Wirtschaft hierzulande ein Ziel: Deutschland, das Autoland, soll die Revolution anführen.

Das Problem: Die rechtliche Lage ist bislang völlig unklar. Zur entscheidenden Frage wird: Wer haftet eigentlich bei einem Unfall? Der Fahrer? Der Autohersteller? Die Softwarefirma, die den Computer programmiert hat? Und wer trägt die Beweislast für einen Fehler? Denn ein Fahrer wird schwer beweisen können, dass die Technik versagt hat, wenn vom Auto bei einem Unfall nur ein Totalschaden bleibt. Müller bringt es in Genf auf den Nenner: "Algorithmen haben keinen moralischen Kompass." Aber: Keine Regierung in der Welt hat darauf bislang eine abschließende Antwort.

Nun wollen die Deutschen die ersten sein, koste es was es wolle. Ende Januar segnete die Bundesregierung einen Gesetzentwurf von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes ab. Damit soll Deutschland das erste Land werden, auf dessen Straßen das sogenannte "vollautomatisierte" Fahren ohne Sondergenehmigung zulässig ist, die letzte Stufe bevor Roboter wie Sedric das Cockpit vollständig übernehmen und autonom fahren.

Diese "Lex Dobrindt", deren Entwurf am Freitag erstmals im Bundestag diskutiert wird, würde in die Geschichte eingehen. "Deutschland ist seit mehreren Jahren Vorreiter bei der Schaffung von Rahmenbedingungen für das automatisierte und vernetzte Fahren", lobt sich das Ministerium selbst. Doch die Zweifel wachsen, ob das Gesetz der Technik wirklich zum Durchbruch verhilft - oder sie am Ende vielleicht sogar daran hindert.

Die Liste der Kritiker ist lang - und prominent. Der Vorwurf im Kern: viel Verantwortung wird beim Nutzer abgeladen. "Beim jetzigen Stand würden wir unseren Mitgliedern eher zur Vorsicht raten, ob sie hier ein Haftungsrisiko eingehen möchten", sagt Alexander Möller, Geschäftsführer des Autoverbands ADAC. Also: Kein Auto mit Selbstfahrfunktionen kaufen, sollte das Gesetz kommen. Die erforderliche Rechtssicherheit sieht der ADAC "noch nicht gegeben". Insbesondere mit Blick auf die Verantwortung der Hersteller oder Datenschutzaspekte gebe es offene Fragen.

Es müsse dringend nachgebessert werden, fordern ADAC und Verkehrssicherheitsrat

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) fürchtet gar, dass unausgereifte Technik bei den Autofahrern ankommt. Dabei gehe es "um ein brennendes Thema, das in Zukunft Millionen Menschen betreffen wird", sagt Marion Jungbluth, Leiterin Team Mobilität beim VZBV. Offen ist, ob sich der Traum vom sorglosen Herumchauffiert-werden wirklich erfüllt. Denn den Plänen Dobrindts zufolge muss der Fahrer den Verkehr weiter beobachten, auch wenn der Computer fährt. Er muss jederzeit manuell eingreifen können. "Da muss nachgebessert werden", fordert Marion Jungbluth. Ein Fahrer müsse sich vom Geschehen auch mal abwenden können.

Experten warnen vor Unsicherheiten wie in den USA. Nachdem ein automatisiert fahrender Tesla in einen Anhänger gerast war, prüften Behörden die Schuld. Sie lag ihrer Meinung nach beim Fahrer, der sich nicht auf den digitalen Helfer hätte verlassen dürfen. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat begrüße, dass nun in Deutschland Rechtssicherheit geschaffen werden soll, sagt der Referatsleiter Kraftfahrzeugtechnik, Welf Stankowitz. "Allerdings gibt es einige Punkte, die klarer formuliert werden sollten." In welchem Zustand etwa muss sich der Fahrer halten? Die Rede ist von dem Fahrer, der besondere Situationen "auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss", um "unverzüglich" wieder die Fahrzeugführung zu übernehmen. Doch was bedeutet das? Letztlich müssten künftig Richter anhand konkreter Einzelfälle entscheiden wie das Gesetz zu interpretieren ist. Beim Tesla-Unfall hätte der verstorbene Fahrer übrigens sieben Sekunden Zeit zum Reagieren gehabt - er schaute aber wohl einen Harry-Potter-Film an.

Es geht vor allem um Haftungsfragen und damit auch um viel Geld. Dass ein Fahrer auch eine Maschine sein kann, ist bereits entschieden. Denn das viele Jahrzehnte alte Wiener Übereinkommen, das den Straßenverkehr in der Welt grundlegend ordnet, ist seit einem Jahr angepasst. Nun darf ein Auto selbst fahren, sofern ein menschlicher Fahrer im Fahrzeug sitzt, der das System jederzeit "übersteuern" und etwa ins Lenkrad greifen oder bremsen kann. Manch teurer Wagen fährt deshalb schon jetzt weitgehend allein über die Autobahnen oder im Stau.

Was der Fahrer im Auto tun und lassen darf, ist indes offen. Außer der Benutzung von Mobiltelefonen ist wenig untersagt. Nach Meinung der Verbraucherschützer regle auch das neue Gesetz nicht klar und deutlich, ob man am Steuer den Laptop rausnehmen und Emails lesen darf. Und es stelle sich die Frage: Kann ein Auto wirklich selbst verantwortlich sein? Wer bekommt einen Bußgeldbescheid, wenn dem Fahrer explizit ein Abwenden erlaubt ist?

Die Regierung will nicht warten. In wenigen Wochen soll die Revolution starten

Es geht um die Verantwortung hinterm Steuer, für die die Regierung eine Ethikkommission berufen hat. Unter dem Vorsitz des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio soll das Gremium aus Technikern, Juristen und Philosophen Maschinen menschliche Leitlinien geben. Zwei Grundsätze gibt es dabei laut Dobrindt: Sachschaden gehe immer vor Personenschaden. Und es soll keine Wertung von Menschen geben, etwa nach Größe oder Alter.

Das Problem: in anderen Kulturen könnten die Prioritäten anders sein. Und: für das Gesetz könnten die ersten Ergebnisse der Kommission zu spät kommen. Einen Bericht soll sie erst im Sommer vorlegen. Dobrindt will aber nicht warten. Denn die Industrie drängt, will Geld verdienen mit der neuen Technik. Es sei ein enormer Druck zu spüren in der Branche, in den Gremien, damit Regeln geschaffen werden, die einen Serienbetrieb zulassen, sagt Stankowitz vom Verkehrssicherheitsrat.

Der Druck wächst auch, weil viele Länder die Technik als großes Geschäftsfeld erkannt haben. Aus dem Verkehrsministerium in Washington heißt es nun, die Regierung Trump wolle "ein Katalysator für sichere, effiziente Technologie sein", nicht ein Hindernis. Tatsächlich ist aber selbst im vermeintlich progressiven Amerika viele noch ungeregelt. Völlige Abkehr vom Steuer und ein Nickerchen auf der Rückbank ist auch hier keinem Fahrer erlaubt. Selbst der Technikvorreiter Kalifornien hat Gesetze erlassen, die das Roboterauto-Testen einschränken: Stets muss ein Mensch an Bord sein und es braucht ein Lenkrad. In Kalifornien zeigt sich auch auf kuriose Weise, wie sehr die Industrie mit ihrer Technik dennoch auf die Straße drängt. Die Verkehrsbehörde hat im Dezember Kennzeichen von autonomen Uber-Testfahrzeugen für ungültig erklärt, weil das Unternehmen seine Roboterautos ohne offizielle Genehmigung fahren ließ.

Mit am weitesten ist Florida, wo bei Tests kein Mensch mehr an Bord sein muss. In Illinois, Michigan oder Tennessee tobt indes ein Streit zwischen den etablierten Autoherstellern und IT-Firmen wie Google oder eben Uber: Denn es liegen Gesetzentwürfe vor, denen zufolge nur echte Autohersteller Roboter auf Straßen testen dürfen. In Europa tut sich dagegen noch wenig. Großbritannien arbeiteten an Roboterautoregeln, aber noch liegt nichts vor.

Eigentlich also Gelegenheit für die Bundesregierung, sich noch ein wenig Zeit zu lassen? In Berlin sieht man das anders. Wenige Tage vor Weihnachten bekamen die Verbände einen Gesetzentwurf zugesandt mit der Bitte um rasche Rückmeldung. Denn schon am 5. Januar, kurz nach Weihnachten also, wurden die Verbände gehört. Zwischen den Jahren mal rasch Gedanken machen zur Zukunft des autonomen Fahrens - die Zweifel daran, dass die Politik ernsthaft an kritischer Begutachtung interessiert war, wuchsen bei den Fachleuten.

Die Industrie gab bald den Takt vor: "Der Gesetzentwurf sollte noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden", forderte Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche beim Neujahrsempfang seines Unternehmens in Berlin. Die Politik scheint sich daran zu halten. In den kommenden Wochen soll das Gesetz vom Parlament verabschiedet werden - trotz aller Zweifel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: