Autokonzern:VW-Affäre: Update für die Betrugssoftware

Michael Horn

"Wir haben es total versaut": Es kam gut an, dass Michael Horn als US-Chef drei Tage, nachdem die Dieselaffäre bekannt wurde, die Dinge beim Namen nannte.

(Foto: Kevin Hagen/AP)
  • VW hat schon reichlich Ärger in den Vereinigten Staaten, doch nun steht ein neuer Verdacht im Raum.
  • Techniker von Volkswagen sollen die Schadstoff-Messungen bei Diesel-Fahrzeugen in den USA Ende 2014, Anfang 2015 mit einem Trick zusätzlich manipuliert haben.

Von Thomas Fromm, Klaus Ott und Claus Hulverscheidt

Die Woche begann für VW in den USA mit einer schlechten Nachricht: Neue Ermittlungen in der Abgas-Affäre, diesmal wegen Bankbetrug und Steuervergehen. Neue Ermittlungen bedeuten auch: neue Milliardenrisiken.

Es ging weiter mit den Hiobsbotschaften: In der Nacht auf Donnerstag folgte der Rücktritt von Michael Horn, seit 2014 USA-Chef und gerade in den vergangenen Monaten der große Rückhalt von VW in Amerika. Er hielt seinen Kopf hin. Sein Rücktritt könnte dramatische Folgen haben: Die mehr als 600 Händler in den USA mochten Horn und vertrauten ihm, doch jetzt ist die Stimmung dahin. Die USA, wo die Dieselaffäre am 18. September 2015 mit einer Veröffentlichung der Umweltbehörde EPA über manipulierte Abgas-Werte bei rund 500 000 Fahrzeugen begonnen hatte, werden damit immer mehr zum Schicksals-Land für den deutschen Konzern.

Betrug auf die Spitze getrieben?

VW hat nichts als Ärger in den USA, und nun kommt auch noch die Sache mit dem Lenkradwinkel hinzu. Lenkradwinkel, das klingt ganz harmlos, könnte den Autokonzern aber sehr viel Geld kosten. Dann nämlich, wenn sich herausstellen sollte, dass der neueste Verdacht in der nun schon ein halbes Jahr währenden Affäre begründet ist.

Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR sollen Techniker von Volkswagen die Schadstoff-Messungen bei Diesel-Fahrzeugen in den USA Ende 2014, Anfang 2015 zusätzlich manipuliert haben, obwohl VW wegen hoher Emissionswerte zu diesem Zeitpunkt bereits Ärger mit der kalifornischen Umweltbehörde CARB hatte. Offenbar wurde eine Software so programmiert, dass die Fahrzeuge nach vorangegangenen, jahrelangen Manipulationen noch genauer erkennen konnten, ob sie sich auf dem Prüfstand oder auf der Straße befanden. Der Konzernvorstand soll davon aber nichts gewusst haben.

Hat VW damals den Betrug auf die Spitze getrieben? Der Konzern äußert sich dazu nicht. Neu an der Software war, dass auch der Lenkradwinkel erfasst wurde. Zu diesem Schluss sind mehrere Informatik-Experten gekommen, die auf Bitten des NDR die Steuerungs-Software des Fahrzeugtyps VW-Passat vor und nach der Überarbeitung Ende 2014 untersucht haben. Die Software sei entsprechend "verfeinert" worden, sagt Thorsten Holz, Professor für Systemsicherheit an der Ruhr-Universität Bochum. Anhand des Lenkradwinkels werde überprüft, ob sich das Steuer "gerade bewegt". Ein starres Lenkrad bedeutet: Das Auto steht auf dem Prüfstand, fährt auf Rollen geradeaus und nicht nach links oder rechts, und schaltet die Abgasreinigung ein. Damit die Behörden glauben, es sei alles in Ordnung. Ein bewegtes Lenkrad bedeutet: Straßenverkehr, keine Behörde weit und breit, keine Messungen.

Billiger als Schutz der Umwelt

Die für Mensch und Natur schädlichen Stickoxide sollen 2015, wegen der Erfassung des Lenkradwinkels noch häufiger ungefiltert hinausgeblasen worden sein. VW kam das billiger als der Schutz der Umwelt. Begonnen hatten die Manipulationen nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse bereits im November 2006.

Damals sollen Techniker verschiedener Abteilungen, unter anderem der Diesel-Motorenentwicklung, die Software entsprechend verändert haben. Doch das Betrugs-Programm wies Lücken auf. Diesel-Fahrzeuge sollen im Straßenverkehr immer wieder mal die Abgasreinigung eingeschaltet haben. Weil die Software, die sich etwa an der Geschwindigkeit und Fahrdauer orientierte, fälschlicherweise signalisierte: Achtung, Prüfstand! Das soll zu einem höheren Verschleiß an Dieselpartikelfiltern geführt haben. Weniger Stickoxide bedeuteten mehr Dieselpartikel. Der Austausch von Partikelfiltern war nicht gerade billig.

Was Volkswagen zum Verhängnis wurde

Offenbar musste eine Lösung her für dieses Problem. Offenbar geschah das ausgerechnet dann, als der kalifornischen Umweltbehörde CARB schon überhöhte Stickoxidwerte aufgefallen waren und VW in den USA Ende 2014 eine Rückrufaktion startete, um das Problem angeblich zu beheben. Der Schadstoffausstoß lag danach aber immer noch deutlich über den Grenzwerten. Die US-Behörden forschten weiter nach und entdeckten schließlich die illegale Software. Ausgerechnet die Sache mit dem Lenkradwinkel soll dazu beigetragen haben. Die VW-Techniker, die verantwortlich waren für den Betrug, hätten sich sozusagen selbst ausgetrickst.

In der Autobranche wird allerdings auch eine andere, harmlose Erklärung für möglich gehalten, warum die Software erweitert worden sei. Wegen der zunehmenden Zahl von Fahrzeugen mit Allrad-Antrieb sei das notwendig gewesen, damit solch ein Auto "nicht aus Versehen vom Prüfstand" hüpfe. Die Ermittlungen werden zeigen, was von dieser Version zu halten ist. Und vor Abschluss der Untersuchungen, die noch länger dauern, will VW sich zu diesem Komplex nicht äußern.

Ohnehin hat der Konzern genug Probleme in den USA: Mit Landeschef Horn tritt nun nicht irgendeiner zurück. Er war der erste, der sich in den USA öffentlich entschuldigte; auf großer Bühne in New York, wo es eigentlich darum ging, den neuen Passat zu präsentieren. Horn stand nun da und sagte: "We totally screwed up." "Wir haben's total versaut."

Für solche Einsichten mochten ihn die Amerikaner. Im Januar, am Vorabend der Automesse von Detroit, stand er in einer Hamburger-Bar und sprach mit Journalisten. An die 650 VW-Händler zählt das Netz in den USA, und Horn, der 54-jährige VW-Manager aus Hamburg, hatte etwas geschafft, was wohl keiner aus dem Wolfsburger Reich vor ihm geschafft hatte: Er galt als einer von ihnen. Das US-Geschäft, von dem VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh einmal als einer "Katastrophenveranstaltung" sprach, lag jahrelang brach. Dann kam Anfang 2014 Horn. Er sah, dass VW in dem Land einen neuen sportlichen Geländewagen brauchte, und er war es auch, der den Händlern half, wieder profitabler zu werden.

Es geht los

VW will wegen der Dieselaffäre kräftig sparen und daher jeden zehnten Bürojob in der Verwaltung streichen. Aus Konzernkreisen hieß es, es könne dabei um an die 3000 Stellen gehen, die bis Ende nächsten Jahres wegfallen. Allerdings werde es keine Kündigungen geben; niemand werde arbeitslos. Der Jobabbau werde über Maßnahmen wie Altersteilzeit, natürliche Fluktuation und Versetzungen erreicht. Auch werde man sparsamer sein, wenn es um Neueinstellungen und die Wiederbesetzung freier Stellen gehe, hieß es aus Wolfsburg. Schon vor der Dieselaffäre hatte man in Wolfsburg nach Möglichkeiten gesucht, die schwache Stammmarke VW durch Einsparungen wieder profitabler zu machen.

Thomas Fromm

Nun steht der Konzern vor einem neuen Debakel in den USA - die Händler sind sauer, und wenn Autohändler sauer sind, dann haben Konzerne ein Riesenproblem. "Wenn die VW-Führung in Wolfsburg nicht umgehend bestätigt, dass alle Zusagen, die sie uns während der Amtszeit Horns gemacht hat, eingehalten werden, dann kann ich für nichts mehr garantieren", sagt Alan Brown, Chef der VW-Händlervereinigung in den USA, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Dann wird Volkswagen die Kontrolle über das Händlernetz verlieren." Was der Verbandschef, der in Texas selbst zwei Autohäuser betreibt, meint, ist klar: Die selbständigen Händler könnten sich gegen den Konzern wenden und ihrerseits auf Schadenersatz klagen - es wäre für VW das endgültige und vollständige Desaster in den USA.

Brown hat nach eigenem Bekunden bereits mit VW-Markenvorstand Herbert Diess gesprochen, am Sonntagabend wird er in ein Flugzeug nach Deutschland steigen, um seine Forderungen zu Wochenbeginn persönlich zu überbringen. "Wir brauchen bis zum nächsten Händlertreffen am 2. April die klare Zusage aus Wolfsburg, dass VW die Arbeit von Michael Horn nicht wieder zunichtemachen wird", so Brown. Und er droht: "Wenn wir diese Zusage nicht bekommen, dann herrscht Chaos".

Juristischer Ärger? Rausschmiss? Weder noch

Der Abgang Horns sorgt daher nicht nur in Deutschland für Spekulationen. Hat die Dieselaffäre jetzt auch Horn erreicht? Zuletzt war sein Name in einer vor einem Distriktgericht in San Francisco eingereichten Sammelklage aufgetaucht - neben anderen illustren VWlern wie Ex-Chef Martin Winterkorn, dessen Nachfolger Matthias Müller und Audi-Boss Rupert Stadler.

Oder aber: Hat sich der Konzern von seinem US-Statthalter getrennt? Trotz monatelanger Diskussionen hat das Unternehmen bislang keine Lösung für seine Dieselmodelle in den USA gefunden; zuletzt hatten die Behörden ein Ultimatum gestellt: Bis zum 24. März muss VW eine Lösung angeboten haben, die jenseits des Atlantik auf Zustimmung stößt - und die Amerikaner wollen, dass VW die mit der Diesel-Software verseuchten Autos zurückkauft.

Rausschmiss? Juristischer Ärger? In Konzernkreisen heißt es: weder noch. Man hätte Horn sogar "gerne länger gehalten". sagt ein Insider. Auch seien Horn andere Tätigkeiten im Konzern angeboten worden - doch dieser sei fest entschlossen gewesen, VW zu verlassen. Aus dem Umfeld des Konzerns heißt es selbstkritisch: "So viele gute Kommunikatoren, die USA können, gibt es nicht".

Das alles klingt so, als habe Horn die Nase voll gehabt. Angeblich soll er wenig begeistert davon gewesen sein, dass man ihm mit dem ehemaligen BMW-Mann Hinrich Woebcken einen neuen Chef vor die Nase gestellt hat. Woebcken soll am 1. April die Gesamtleitung für die VW-Region USA, Mexiko, Kanada übernehmen, nun wird er erstmal auch Horns Nachfolger. Dass die Händler nun schriftliche Garantien von VW verlangen, zeigt: Sie vertrauen Horn. Aber noch nicht unbedingt dem Neuen.

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