Süddeutsche Zeitung

Autokartell:Brisanter Besuch in Münchner BMW-Zentrale

  • Die EU-Kommission durchsucht wegen Kartellvorwürfen BMW-Zentrale.
  • Hintergrund sind die Absprachen, die die deutschen Autobauer bei der Entwicklung ihrer Modelle getroffen haben sollen.
  • Daimler möchte in dem Verfahren in Brüssel als Kronzeuge auftreten.

Von Thomas Fromm, Max Hägler, Stefan Mayr, Alexander Mühlauer und Klaus Ott

Dass an diesem Freitag alles gleichzeitig passiert, ist das Besondere an dieser Geschichte über Autos, Kartellvorwürfe und angebliche Mauscheleien. Zuerst Daimler: Drei Monate lang hatte der Autokonzern aus Stuttgart das Thema Pkw-Kartell beharrlich totgeschwiegen. Bis zu diesem Freitag um kurz nach acht Uhr, als Finanzvorstand Bodo Uebber in einer Telefonkonferenz mit der Presse den Maulkorb löste. "Wir haben bei der EU-Kommission den Antrag auf eine Kronzeugen-Regelung gestellt", sagte Uebber. Damit hat das Management des Autokonzerns erstmals offiziell bestätigt, dass man bei der EU-Kommission eine Art Selbstanzeige wegen eventueller Wettbewerbsverstöße gestellt hat.

Daimler und der Kronzeugenstatus - es hatte lange gedauert, bis die Stuttgarter das eingeräumt hatten. Dann sickerte am Nachmittag Folgendes aus Kreisen der EU-Kommission durch: BMW hatte in dieser Woche unangenehmen Besuch bekommen. Keine Polizisten und keine Staatsanwälte zwar, aber Beamte der EU-Kommission und der deutschen Kartellbehörde begehrten Einlass. In der Hand: Ein Beschluss der Europäischen Kommission. Man müsse einige Fragen stellen wegen möglicher Wettbewerbsverletzungen.

Also in dieser Sache, die Daimler angezeigt hat. Einige deutsche Autobauer, darunter eben BMW und Daimler, könnten illegale Absprachen getroffen haben, womöglich zu Ungunsten von Zulieferern oder Kunden. Am Vierzylinder, der BMW-Zentrale, und im Forschungs- und Innovationszentrum, kurz FIZ, befragten die Kontrolleure deshalb BMW-Mitarbeiter und sammelten Daten ein. Es ist die nächste Stufe in einem Fall, der im Sommer bereits für Aufsehen gesorgt hatte. Im BMW-Konzern sprach man von einer "Nachprüfung vor Ort". Und hielt fest: "Die BMW Group unterstützt die Europäische Kommission bei ihrer Arbeit."

Ein formelles Verfahren sei nicht eingeleitet worden, betonte das Unternehmen. Auch seien dem Hersteller keine Abgasmanipulationen vorgeworfen worden. Niemand habe "Büros gestürmt". Aber: Unterlagen sind eingesehen und kopiert worden, Mitarbeiter befragt worden. Nachprüfungen, das ist ein verwirrender Begriff, verständlicher ist die englische Variante: Inspections. Laut EU-Kommission ist es eine Art erster Schritt bei den Ermittlungen wegen des Verdachts auf kartellrechtliche Verstöße. Es bedeutet nicht, dass ein Unternehmen illegal gearbeitet hat.

So oder so: Die Vorwürfe, die seit einem Spiegel-Artikel im Sommer im Raum stehen, haben es in sich. Volkswagen mit seinen Töchtern Audi und Porsche und die Rivalen Daimler und BMW sollen sich jahrelang bei technischen Themen abgesprochen haben, in der sogenannten Fünferrunde, geführt von den Entwicklungschefs. Es ging um Abgasnachbehandlung, um Cabriodächer, um Tankgrößen. Und irgendwie kamen Daimler und Volkswagen wohl zum Schluss: Das Reden könnte womöglich illegal sein. Nachdem alle jahrelang getagt hatten, erstatteten die beiden unabhängig von einander eine Art Selbstanzeige - ohne offiziell darüber zu sprechen: Über solche Verfahren darf niemand reden, um andere nicht zu warnen.

Das Eingeständnis des Daimler-Finanzchefs Uebber an diesem Freitag kam ungefragt - noch bevor er in der Telefonkonferenz zum dritten Quartal des Geschäftsjahres auch nur eine einzige Zahl genannt hatte. Weitere Details zum Pkw-Kartell nannte Uebber nicht. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung war der Stuttgarter Konzern den Wolfsburgern bei dieser Selbstanzeige zuvorgekommen - und kann deshalb als erster Kronzeuge darauf hoffen, bei einem Verfahren ohne Geldbuße davonzukommen.

Nach Angaben von Uebber prüft die Kommission nach wie vor, ob sie solch ein formelles Verfahren einleiten wird. Das Daimler-Management hat Uebber zufolge prüfen lassen, ob es Rückstellungen bilden soll, aber dafür gebe es "keine Notwendigkeit". Der VW-Konzern hat sich offiziell noch nicht zu dem Thema geäußert. Es habe jedoch keine Durchsuchungen durch Kartellwächter gegeben. Ob es überhaupt zu Strafen kommt, ist wohl noch länger ungewiss: Die EU-Kommission ließ sich auch in vergangenen Verfahren viel Zeit. So wurde etwa beim sogenannten Lastwagenkartell erstmals im September 2010 ein Verdacht an die Beamten gemeldet.

Erst sechs Jahre danach gab es ein Urteil. Der Vorwurf damals: Die Lastwagenhersteller Iveco, DAF, Volvo/Renault, MAN und Daimler hätten sich bei den Preisen ihrer Laster abgesprochen. Insgesamt mussten die Konzerne eine Rekordstrafe von etwa 2,93 Milliarden Euro zahlen. Das ist die aktuelle Messlatte, wenn es um ein mögliches Strafmaß bei Wettbewerbsverstößen geht. In der Autoindustrie rechnet man damit, dass man im aktuellen Fall nicht gänzlich ungeschoren davonkommt, irgendwas lasse sich schon finden, was als illegale Absprache ausgelegt werden könnte. Jedoch gehen die meisten nicht von gravierenden Verstößen aus. Im Hintergrund ist die Rede von möglichen Strafen im niedrigen dreistelligen Millionenbereich. Milliardenforderungen erwarte man eher nicht.

In der Branche war in diesem Sommer, als der Verdacht öffentlich wurde, oft von "Grauzone" gesprochen worden. Tatsächlich sind Kartellvorwürfe selten klar zu belegen: Wann ist ein Gespräch mit einem Konkurrenten schon unlauter? Wenn es um grundlegende Technik geht? Wenn es um Preise geht? Wenn es um Standards zum Wohle der Kunden geht? Die Arbeitskreise der Fünferrunde bewegten sich dazwischen. Und es ist Sache der Wettbewerbshüter, das zu beurteilen.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2017/been/lkr
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