Süddeutsche Zeitung

Autoindustrie:Carsharing-Kooperation zwischen Daimler und BMW steht bevor

BMW kauft Sixt dessen Anteile am gemeinsamen Carsharing-Anbieter DriveNow ab. Ein entscheidender Schritt für eine Zusammenarbeit mit Konkurrent Daimler.

Von Max Hägler

Wer in Schwabing, St. Pauli oder am Prenzlauer Berg wohnt und kein eigenes Auto mehr hat, kennt das meist: Schnell die Carsharing-App am Handy aufrufen, um mit einem Kurzzeitmietwagen den Großeinkauf nach Hause zu schaffen. Aber just in dem Moment ist das nächste Gefährt einen langen Kilometer weit entfernt. Ein paar mehr Mietautos, dann würde das richtig gut funktionieren, dachte sich wohl jeder Carsharing-Nutzer schon einmal. Und bald könnte es so weit sein. Die beiden großen Anbieter Car2go und DriveNow scheinen ihre Verhandlungen voranzubringen, ist aus Industriekreisen zu vernehmen.

Vor über einem Jahr haben die Gespräche der bislang konkurrierenden Anbieter begonnen, hinter denen die Fahrzeugkonzerne Daimler (Car2Go mit 14 000 Autos und einer Million Kunden) und BMW (DriveNow mit 6000 Autos und einer Million Kunden) stehen. Nun ist zu hören: "Es gibt Grund zu Optimismus." An diesem Montag ist dabei eine große Hürde aus dem Weg geräumt worden: BMW hat sämtliche Anteile an dem Fahrdienstleister erworben - bislang hielt der Autovermieter Sixt die Hälfte und bremste den geplanten Zusammenschluss bislang aus. Der Münchener Dax-Konzern zahlt für dafür rund 209 Millionen Euro, wie das Unternehmen am Montag mitteilten. Die Aufsichtsbehörden müssen der Transaktion zustimmen, die Freigabe wird im zweiten Quartal erwartet. In einem zweiten Schritt, so wird erwartet, könnte auch die geplante Gemeinschaftsfirma, die in Berlin ansässig sein soll, offiziellbei den Wettbewerbshütern vorstellig werden; informelle Sondierungen beim Kartellamt laufen bereits. Kommt von dort grünes Licht, dann werden die Carsharing-Kunden bald viel mehr Wagen nutzen können.

Es ist bedeutsam, weil sich da zwei deutsche Wettbewerber zusammentun in einem immer noch jungen Feld der Mobilität, zum eigenen Wohl und wahrscheinlich zum Vorteil der Kunden. Und es ist besonders bedeutsam, weil es sich dabei um BMW und Daimler handelt. Zwei Firmen, die zuletzt ein schlechtes Verhältnis hatten, man kann sagen: Es gab eine Eiszeit. Doch kehre man nun zur "Normalität" zurück, hört man aus Schwaben und auch aus Bayern. Denn die restliche Welt ist so herausfordernd, dass es einer gut funktionierenden Südschiene bedarf. "Zur Unternehmensführung der Zukunft gehören gezielte Kooperationen und Allianzen", sagt BMW-Vorstandschef Harald Krüger im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung - und im Blick ist da auch das Verhältnis mit Stuttgart.

Die Normalität war und ist dabei eine auf den ersten Blick widersprüchliche: Man ist einander harte Konkurrenz bei teuren und sehr teuren Wagen: BMW 5er gegen Mercedes E-Klasse, so etwa gehen die Kämpfe. In Managementsitzungen ist der jeweils andere (und auch Audi) das Maß aller Dinge: Wer hat den längeren Balken, also die meisten Verkäufe, das bereden die von Männer geprägten Runden. Es sind bei allen gut zwei Millionen. Der genaue Zwischenstand: Mercedes-Benz liegt knapp vor der Marke BMW, die das wiederum bis zum Jahr 2020 drehen will. Der heiße Atem des anderen spornt an, zu neuen Ideen, zu besseren Autos. Davon profitieren beide.

Im Juli 2017 begann die Eiszeit

Dennoch gehört zur Normalität auch eine Zusammenarbeit. BMW und Daimler entwickelten gemeinsam Bediensysteme und kauften Standardteile ein, Autositze etwa oder Gurtstraffer, um dadurch Geld zu sparen. Denn Dinge, die unter der Haube stecken oder im Hintergrund auf einem Computerprozessor ablaufen, sind kein Alleinstellungsmerkmal.

Im Juli 2017 endete diese stille, aber durchaus umfangreiche Kooperation ganz abrupt. Es kam heraus, dass das Daimler-Management eine Selbstanzeige gestellt hatte wegen eines möglicherweise zu engen Zusammenwirkens deutscher Autobauer. Im Blick war dabei die sogenannte Fünfer-Runde der deutschen Hersteller, in denen die "E"s, also die Entwicklungsvorstände, allerlei beredeten zu Standards, Abgasnormen und womöglich auch zum Einkauf; die Konzerne könnten auch die Stahlpreise abgesprochen haben, wie Der Spiegel nun berichtet. Jedenfalls hatte Daimler bereits im Jahr 2014 ein ungutes Gefühl und den Kartellbehörden damals angezeigt, dass dieses Gremium vielleicht zu viel bespricht, vielleicht ein illegales Kartell gebildet habe. Die Motivation in Stuttgart: Wenn man so etwas meldet, kann man sich gegebenenfalls einen Kronzeugenstatus sichern. In München wiederum, wo man Teil des Fünferkreises war, und darüber hinaus stark im Zweierbund mit Daimler zusammenwirkte, fühlte man sich völlig vor den Kopf gestoßen, als die Anzeige im vergangenen Sommer öffentlich wurde; nicht zuletzt weil letztlich Wettbewerbshüter auch das BMW-Hauptquartier durchsuchten. Von "Vertrauensbruch" war in München die Rede. Im Juli 2017 begann so etwas wie eine Eiszeit.

Deutlich wie selten zeigte sich: Hinter all den Umsätzen, Verkaufszahlen und glänzenden Messeauftritten der Premiumhersteller stehen eben doch Menschen - die sich auch einmal hintergangen fühlen. Bei BMW der eher stille Dirigent Harald Krüger, bei Daimler der bühnenerfahrene Dieter Zetsche. Nun scheint das Eis wieder ein wenig zu tauen, wie in einer On-Off-Beziehung: "Wir sprechen und gehen professionell miteinander um", sagt Krüger über seinen Kollegen Zetsche. Und wenn man den dieser Tage zum Befinden der automobilen Südschiene fragte und dem Verhältnis zu BMW, da gesteht Zetsche ein, dass die vergangenen Monate "nicht völlig frei von Irritationen" gewesen seien. Aber als ganz so schlimm habe er das auch nicht empfunden und im Übrigen blicke er "sehr zuversichtlich" in die Zukunft. Soll heißen: In eine Zukunft, die mitunter auch wieder eine gemeinsame ist. Notwendigerweise.

Carsharing ist ein Draufzahl-Geschäft

Die gemeinsame Entwicklung und der Einkauf sind zwar noch gestoppt. Denn seit Daimler die Kartellbehörden alarmierte, ist alles kompliziert geworden. Beinahe jedes Gespräch mit der anderen Firma ist genehmigungspflichtig, umfangreiche juristische Leitfäden geben nun vor, worüber nicht geredet werden darf. Doch von beide Konzernen heißt es, man wolle möglichst bald wieder gemeinsam kaufen und entwickeln, spart man doch jeweils deutlich dreistellige Millionenbeträge im Jahr. Auf einzelnen Felder gebe es Partner, die in anderen Bereichen gleichzeitig Gegner seien, so erklärt es BMW-Mann Krüger. "Situative Win-win-Situationen" seien das. Bei Roboterautos arbeitet BMW mit dem Chiphersteller Intel und dem Autokonzern Fiat-Chrysler zusammen; Daimler hingegen mit Bosch. Bei Brennstoffzellen, einem möglichen Energiespeicher für E-Autos, entwickelt BMW mit Toyota. Beim Schnellladenetz Ionity haben sich BMW und Daimler mit den weiteren Konkurrenten Audi und Porsche zusammengetan. Ähnlich beim Kartendienst Here, der Google Maps und Tomtom aus Deutschland heraus Konkurrenz machen soll.

"Bei digitalen Karten wie auch dem Schnellladenetz gilt: BMW alleine wäre nicht schnell genug und zu klein", sagt Krüger. Für Daimler gilt das genauso. Und beide werden bedrängt von Konkurrenten etwa aus China und den USA. 1969 wären die damals darbenden Bayerischen Motoren-Werke beinahe von Daimler übernommen worden - der Angriff oder die Rettung, je nach Sicht, kam nicht zustande. Aber die Nähe, die ähnliche Ausrichtung, die ähnlichen Probleme führen immer wieder zu einem Miteinander: Dazu kommt, dass beide Unternehmen bei aller Bedeutung nicht die größten sind. In Deutschland gibt der doppelt so mächtige Volkswagen-Konzern mit den Tochtermarken Audi und Porsche den Ton an. Und bei Fahrdienstleistungen, Roboterfähigkeiten oder E-Mobilen drohen nicht nur herkömmliche Autokonzerne, sondern neue Konkurrenten wie Uber, Apple, Google, Facebook, Baidu oder Tesla.

Das Carsharing ist zwar meist noch ein Draufzahlgeschäft. Aber mehr Autos, mehr Kunden - mit entsprechenden Skaleneffekten lässt sich damit Geld verdienen. Deswegen wollen BMW und Daimler schnell zum Abschluss kommen. Gesandte treffen sich oft in Ulm, auf jeweils halben Weg zwischen Stuttgart und München; auch die Vorstandschefs Krüger und Zetsche telefonieren dazu. Dass es dennoch so lange dauerte, liegt nicht nur an der zwischenzeitlichen Entfremdung: Zwei Autovermieter reden noch mit, Sixt bei DriveNow und Europcar bei Car2go, die 50 beziehungsweise 25 Prozent an den Firmen halten. Würden nur wir beide miteinander sprechen, hieß es bislang aus den Autokonzernzentralen, wären wir schon weiter. Denn man wisse ja, trotz allem, was man am anderen habe: Den größten Wettbewerber, aber auch einen wichtigen Partner. Mit der Übernahme aller Anteile von BMW ist ein entscheidender Schritt getan.

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Quelle:
SZ vom 27.01.2018/been
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