Autoindustrie:Die große Macht der kleinen Zulieferer

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Volkswagen fühlt sich vom Zulieferbetrieb Prevent erpresst, setzt bislang aber auf eine Verhandlungslösung

(Foto: AFP)

Weil Sitzbezüge und Getriebegehäuse fehlen, wird in dieser Woche kein Golf vom Band rollen. Der Fall zeigt: VW und Co. dürfen sich nicht von einzelnen Lieferanten abhängig machen.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Volkswagen hat sich in die Hände eines recht eigenwilligen Zulieferers begeben, und man fragt sich: Wie kann das passieren? Wie kann es sein, dass ein so großer Konzern solch ein Risiko eingeht - und deshalb in den nächsten Tagen in immer mehr Werken die Bänder stillstehen? Der Konflikt zwischen VW und der Prevent-Gruppe, einem Geflecht aus Firmen und Holdings, dessen Ursprünge im ehemaligen Jugoslawien liegen, ist beispiellos: Der Konzern fühlt sich erpresst, weil zwei Firmen von Prevent nicht mehr liefern mögen; der Zulieferer wiederum fühlt sich erpresst, weil VW nicht zahlen mag, was vereinbart war.

Die wechselseitigen Vorwürfe sind immens, und es lässt sich bislang nicht sagen, wer hier wen zu Recht oder Unrecht beschuldigt. Klar sind nur die Folgen: In Wolfsburg wird, weil Sitzbezüge und Getriebegehäuse fehlen, in dieser Woche kein Golf vom Band rollen, auch in Zwickau und Emden wird die Produktion zurückgefahren. 100 Millionen Euro pro Woche könnte das den Konzern kosten; die Unternehmen der Prevent-Gruppe wiederum fordern 58 Millionen Euro, weil VW Verträge angeblich zu Unrecht gekündigt hat.

Der Zoff von Wolfsburg zeigt, wie komplex die Massenproduktion von Autos geworden ist. Ohne die Zulieferer geht heute nichts: Sie liefern oftmals nicht bloß die Produkte, die der Hersteller ordert; sondern sie entwickeln und erfinden die wesentlichen Bestandteile dessen, was hinterher als ganzes Auto an die Kunden verkauft wird. Schlösser, Schiebedächer, Sitzheizungen und vor allem die Elektronik: Das machen die Hersteller nicht selbst, sondern sie kaufen es ein - bei Spezialisten, die viel mehr davon verstehen als sie.

Die Bedeutung der Zulieferer wird gern unterschätzt

In Deutschland wird die Bedeutung der Zulieferer gern unterschätzt: Hierzulande ist man - wenn über die Bedeutung der Autoindustrie geredet wird - vor allem stolz auf die Hersteller, auf BMW und Daimler, Audi, Opel und VW. Dabei sind die Zulieferer ebenso wichtig, allen voran die großen Drei: Conti, Bosch und ZF Friedrichshafen. Dazu kommen zahllose Mittelständler wie die beiden Prevent-Firmen aus Sachsen sowie größere Unternehmen mit Milliardenumsatz, die außerhalb der Branche kaum jemand kennt, sie heißen Eberspächer, Hella, Getrag oder Mahle.

Die Zulieferer sind oft diejenigen, die Innovationen vorantreiben. Das gilt erst recht in einer Zeit, in der das Auto immer mehr vernetzt und digitalisiert wird. Umso wichtiger ist es, dass VW und Co. sich künftig nicht von einzelnen Lieferanten abhängig machen - erst recht nicht von Firmen, die vor allem Software liefern und im Gegenzug dafür gerne Zugriff auf die Daten hätten.

Deshalb war es zum Beispiel richtig, dass Audi, BMW und Daimler vor Kurzem über drei Milliarden Euro ausgegeben und gemeinsam von Nokia den Kartendienstleister Here gekauft haben, anstatt sich auf ähnliche Dienste von Google zu verlassen. Denn wer sich bedingungslos in die Hände großer Datenkonzerne begibt, könnte sonst am Ende noch ganz andere Probleme bekommen als jetzt VW.

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