Was da gerade auf dem Spiel steht? Die Dichte der Krisenschalten in Deutschlands größer Industrie liefert eine deutliche Antwort. Es ist schwer in diesen Tagen, führende Manager der Autoindustrie zu erreichen. Seit Russlands Präsident Wladimir Putin vergangene Woche angekündigt hat, für Energielieferungen nur noch Rubel anzunehmen, bereitet sich die Branche mit ihren gut 800 000 Jobs auf den schlimmsten Fall vor. Am Wochenende floss das Gas zwar weiter. Doch Experten geben keine Entwarnung. Die Bezahlung der im März bezogenen Lieferungen stehe oft erst Mitte April an. "Der Ernstfall kommt noch", sagt ein Insider.
Die Autoindustrie braucht zwar nur einen Bruchteil der Gasmenge, die etwa die Stahl- oder die Chemiebranche verfeuern. Doch die Sorgen sind groß. Denn auf die Schnelle, also bis Ende des Jahres, wäre wohl nur ein kleiner Teil des Verbrauchs durch andere Rohstoffe zu ersetzen. Andreas Rade, Geschäftsführer des Branchenverbands VDA in Berlin, weiß, was bei einem Gasmangel droht: "Unsere Lieferketten stehen unter dramatischem Stress", sagt Rade der Süddeutschen Zeitung. "Engpässe würden wir schnell spüren."
Die Ukraine-Krise hat bereits gezeigt, wie sehr die Branche von den minutiös geplanten Lieferungen in praktisch allen Bereichen abhängt. Weil etwa Kabelbäume aus der Ukraine fehlten, Bündel von Leitungen also, ohne die kein Auto vom Band laufen kann, stand die Produktion in Deutschland in mehreren Werken still.
Im Fall eines Gasstopps wären die Folgen noch größer. "Es wird dann zu erheblichen Beeinträchtigungen bei der Produktion von Fahrzeugen in Deutschland kommen. Für Autokäufer können längere Lieferzeiten die Folge sein", warnt Rade. "Aber es geht natürlich auch um Arbeitsplätze, die wir sichern müssen."
Die Unternehmen haben längst in den Krisenmodus umgeschaltet. Um etwa Ersatz für ausbleibende Kabelbäume aus ukrainischen Werken zu finden, hat der VW-Konzern einen Krisenstab eingerichtet, der im Wolfsburger Fußballstadion tagt. Drähte, Stecker und Kabel - das ist kompliziert, aber eine Lösung ist machbar. Die Teileproduktion in nordafrikanischen Werken kann hochgefahren werden. Und mutige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten in der Ukraine die Produktion aufrecht.
Beim Thema Gas wird es schwieriger. Manche Betriebe werden den Mangel mit anderen Energieträgern ausgleichen. Bei VW in Wolfsburg wollen sie ihr Kraftwerk entgegen der Planung auch dieses Jahr noch mit Kohle fahren und nicht auf klimafreundlicheres Gas umstellen. Doch nicht überall lässt sich Gas ersetzen. Ob der Schaumstoff in den Sitzen, E-Auto-Batterien oder Katalysatoren - etliches ist von Chemikalien abhängig, die auf Gas basieren. Die Verunsicherung sei immens in der Branche, heißt es. Die Bundesregierung informiere die Industrie zwar sehr gut, heißt es. Aber ganz genau lasse sich eben auch kaum vorhersagen, welcher Abnehmer bei einem Engpass noch Gas bekommt.
Die Branche muss nun sogar fürchten, dass nach Gas auch Engpässe bei anderen Rohstoffen drohen. Moskau diskutiert bereits über die Ausweitung der Rubelpraxis auf andere Bereiche. "Wir müssen uns auch auf Knappheiten und Preisanstiege bei anderen Rohmaterialien einstellen", sagt VDA-Mann Rade weiter. So kommt ein Fünftel des nach Deutschland importieren Palladiums aus Russland. Der Rohstoff wird für Katalysatoren gebraucht. Russland ist auch ein wichtiger Lieferant von Nickel, das zur Produktion von Batterien für E-Autos gebraucht wird. Man arbeite intensiv daran, verlässliche Lieferungen sicherzustellen. Immerhin helfe derzeit, dass die Branche eine gewisse Krisenroutine habe, ist sich VDA-Geschäftsführer Rade sicher. "Wir alle sind ja bedingt durch Corona nun auch schon das dritte Jahr im Krisenmodus."