Süddeutsche Zeitung

Autoindustrie:Das Erbe des Carlos Ghosn

Renault, Nissan und Mitsubishi bekennen sich zu ihrer Allianz. Zumindest offiziell. Aber hinter den Kulissen wird nach einer besseren Balance gesucht.

Von Thomas Fromm und Christoph Neidhart, München/Tokio

Es ist nun schon anderthalb Wochen her, dass der frühere Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn aus seinem Privatjet heraus verhaftet wurde. Die Liste der Vorwürfe gegen den Strippenzieher einer Auto-Allianz, zu der auch Mitsubishi gehört, hatte es in sich: Steuerhinterziehung, Finanzmanipulation und die Abzweigung von Firmengeldern für private Zwecke. In den Tagen danach wurde klar, dass es hier um mehr geht als einen Manager, der zu sehr am Geld hängt: Hinter den Kulissen findet ein japanisch-französischer Machtkampf statt.

Renault hält 43 Prozent an Nissan, die Japaner halten nur 15 Prozent an dem französischen Autokonzern. Anders als der französische Staat, der ebenfalls 15 Prozent an Renault hält, haben die Japaner keine Stimmrechte. Allerdings ist Nissan das größere und erfolgreichere Unternehmen. Genug Stoff also für Zoff.

Die japanische Seite drängt auf eine schnelle Lösung, die Franzosen spielen auf Zeit

In dieser Gemengelage nun kommt Carlos Ghosn ins Spiel. Er soll auf Betreiben der französischen Regierung auf eine intensivere Kooperation bis hin zur Fusion hingearbeitet haben. Der Verdacht liegt nahe: Es geht hier weniger um die Zukunft des brasilianisch-libanesisch-französischen Managers als die Frage nach der Zukunft dieses fragilen Konzernkonstrukts. An diesem Donnerstag nun sprachen die Spitzen von Renault, Nissan und Mitsubishi. Diskret tauschte man sich per Videokonferenz aus; am Ende dann veröffentlichten die Beteiligten einen Dreizeiler: Einstimmig und "mit Überzeugung" bekräftige man das Bündnis und bleibe diesem "uneingeschränkt verbunden". Alles in bester Ordnung also? Keineswegs. Die Beteuerungen vom Donnerstag haben wohl vor allem ein Ziel: Die Lage erst einmal entspannen, um die Produktion nicht zu gefährden.

Bei den Japanern soll es ein starkes Lager geben, das eine Vertiefung der Beziehungen um jeden Preis verhindern will. In Japan spricht man von "Re-japanization", den Bruch mit und die Unabhängigkeit von Renault. Zuletzt war es Nissan-Vorstandschef Hiroto Saikawa selbst , der nach der Affäre Ghosn eine Neuordnung der Machtverhältnisse in dem Dreier-Bündnis gefordert hatte. Es habe eine zu große "Konzentration an Macht" mit Ghosn gegeben.

In Paris hingegen sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire: "Ich wünsche nicht, dass es Änderungen gibt bei den Macht-Gleichgewichten zwischen Renault und Nissan." Hier die Japaner, die auf eine schnelle Lösung drängen, auf der anderen Seite die Franzosen, die auf Zeit spielen. Wie es nun weiter geht? Drei Szenarien: Nach wie vor steht eine umfassende Fusion im Raum, wie sie von Ghosn verfolgt wurde. Mit den Japanern wird das allerdings nicht zu machen sein. Zweitens: Renault könnte seine Kapitalbeteiligung an Nissan zurückfahren; gleichzeitig könnten die Anteile von Nissan an Renault aufgestockt und mit Stimmrechten ausgestattet werden. Wenn dann auch noch der französische Staat seine Anteile und seinen Einfluss zurückfahren würde, wären die Japaner womöglich wunschlos glücklich.

Die dritte und radikalste Option: eine totale Trennung der Unternehmen. Dies allerdings ist nur wenig realistisch, denn dann müssten die Hersteller künftige Milliardeninvestitionen in elektrische und autonom fahrende Autos jeder für sich und allein stemmen. Und Carlos Ghosn? Ist bis auf Weiteres in japanischer Untersuchungshaft.

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SZ vom 30.11.2018
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