Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Die Politik darf der Autoindustrie keine Wünsche mehr erfüllen

Weder Kaufprämien, noch Lockerungen von Klimazusagen: Die Regierung muss der Branche gegenüber hart bleiben. Und deutlich machen: Der Verbrenner hat keine Zukunft.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Kanzlerin Angela Merkel hat kürzlich die paradoxen Antworten auf die Corona-Pandemie auf eine schöne Formel gebracht: Seinen Nächsten erweise man in diesen Zeiten den größten Dienst, wenn man Abstand von ihnen halte. Genau das gilt auch für das Verhältnis zwischen Politik und Autokonzernen. Den größten Gefallen tut die Bundesregierung der Industrie, indem sie Abstand von ihr hält und ihr keinen Wunsch erfüllt: keine weiteren Kaufprämien, keine Lockerung von Klimaauflagen.

Zumindest beim Autogipfel am Dienstag hat sie der Versuchung widerstanden. Der Druck wird aber wachsen. Wenn bald Konjunkturpakete verteilt werden, um die Wirtschaft aus dem Tal zu holen, werden Autohersteller in der ersten Reihe stehen. Dafür sorgen schon die Ministerpräsidenten der Autoländer: Deutschlands größte Industrie steht bei ihnen für Tausende Arbeitsplätze. An Gewinn und Verlust dieser Konzerne hängen Steuereinnahmen und, im Falle des VW-Aktionärs Niedersachsen, milliardenschwere Dividenden. Was als Prämie an Autokäufer flösse, käme über den Konzerngewinn zum Teil wieder in den Länderhaushalten an. Sollten die Länder damit durchkommen, und dafür spricht leider vieles, dann wäre das ein Pyrrhussieg.

Denn die Pandemie trifft auch im Fall der deutschen Autoindustrie auf einen Patienten mit Vorerkrankung. Die Konzerne leiden unter chronischem Vertrauensschwund, seit einige von ihnen in großem Stil bei den Abgaswerten ihrer Autos tricksten. Auch stecken sie in einer akuten Technologiekrise: Ihre Verbrenner, so effizient sie auch sein mögen, sind Auslaufmodelle. Eine für Großserien taugliche Antwort auf die Klimakrise fehlt den Herstellern. Und schließlich zeigen sich erste Symptome einer Absatzkrise. Gerade in den entwickelten Volkswirtschaften lassen sich Städte und Straßen nicht beliebig mit weiteren Fahrzeugen fluten. Auch der Heimatmarkt Deutschland mit seinen 48 Millionen Pkw stößt an Grenzen.

Die Therapie wird nicht einfach. Diese Industrie muss sich neu erfinden und, ja, vermutlich auch schrumpfen; Arbeitsplätze werden verloren gehen. Elektroautos sind weniger komplex als Verbrenner, sie lassen sich einfacher konstruieren und warten. Dafür wird das Drumherum wichtiger, die Speicher, die Ladeinfrastruktur. Es wird mehr Geld mit Diensten verdient werden und weniger mit der Herstellung. Aber: Es wird weiter verdient. Auch braucht es weiterhin die Kunst der Ingenieure, keine Frage. Etwa bei der Konstruktion von Brennstoffzellen, die in Zukunft den Dieselmotor ersetzen können - das allerdings vor allem im Schwerlastverkehr, weniger bei Autos. Pläne dafür hat auch die deutsche Industrie. Doch auch hier gilt: Solange die alten Motoren sich noch gut verkaufen, unterstützt sogar durch Steuerrabatte für Diesel, müssen die neuen eben noch warten.

Aus dem gebotenen Abstand tut die Bundesregierung der Industrie den größten Gefallen, wenn sie endlich Klarheit schafft. Sie kann deutlich machen, dass sie im Verbrenner keine Zukunft sieht, so schöne Gewinne und Steuereinnahmen er auch produziert hat. Sie kann sich noch mehr beim Ausbau der Infrastruktur engagieren, sei es für Strom oder Wasserstoff. Sie kann, vor allem in den Städten, Alternativen zum Auto stärken statt das Auto selbst. Nähren Bund und Länder dagegen das alte Geschäftsmodell, dann gefährden sie ihre liebste Industrie.

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SZ vom 06.05.2020/vit
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