Autobranche:250 000 Arbeitsplätze in Gefahr

Auto-Weltmarkt zieht 2010 an

Die Gewerkschaft IG Metall fürchtet, dass von den 880 000 Arbeitsplätzen bei den deutschen Autoherstellern und ihren Zulieferern jene 250 000 besonders betroffen sind, die in der Antriebstechnik beschäftigt sind.

(Foto: dpa)
  • Keine Industrie wird von technologischen Neuerungen gerade so verändert wie die Autobranche.
  • Die großen Hersteller wollen in Zukunft verstärkt auf das E-Auto setzen. Für die Mitarbeiter könnte das gravierende Konsequenzen haben.
  • Die Produktion von E-Autos braucht wesentlich weniger Arbeitskräfte, weil es keinen komplizierten Motor und aufwändige Antriebstechnologie braucht.

Von Karl-Heinz Büschemann und Thomas Fromm

Der mächtige Betriebsratsvorsitzende zeigte sich zufrieden. Gerade hatte der Krisenkonzern Volkswagen bekannt gegeben, er werde 30 000 Arbeitsplätze streichen, weil er sparen müsse. Bernd Osterloh, der stets jovial auftrumpfende Vertreter von weltweit 600 000 VW-Beschäftigten, verkaufte die Nachricht als Erfolg. Er habe Beschäftigungsgarantien bis 2025 durchgesetzt, erklärte er zufrieden. Nach langem Ringen habe man "einen tragbaren Kompromiss gefunden", das Sparprogramm sei ja auch ein "Zukunftspakt". Es werde neue Jobs bei VW geben, wenn demnächst das Elektroauto von Niedersachsen aus in die Welt ziehen soll. Für die Beschäftigten sei das eine gute Sache, sie hätten jetzt "neun Jahre ohne Angst um den Arbeitsplatz" vor sich. Neun Jahre ohne Angst - und dann?

Kaum eine Industrie wird von technologischen Neuerungen gerade so verändert wie die Autobranche. In den Fabriken übernehmen zunehmend Roboter die Arbeiten der Menschen, die Fabriken werden immer mehr über das Internet vernetzt, was die Abläufe beschleunigt und Kosten spart. Dazu kommt: Nach dem Dieselskandal in Wolfsburg bekommt das Stromauto einen neuen Schub. Nach einigem Zögern wollen alle - von Daimler bis Volkswagen - jetzt Ernst machen mit dem Fahren ohne Benzin oder Diesel. VW will in zehn Jahren eine Million Elektroautos bauen, das wäre etwa ein Zehntel der heutigen Produktion.

Doch die Ballung von Neuem bringt die Branche in Aufruhr, die Belegschaften sind beunruhigt. Sie fürchten einen drastischen Verlust von Arbeitsplätzen in der deutschen Schlüsselindustrie schlechthin. Verunsicherte Betriebsräte fordern Strategien von den Chefs, um einen drohenden Verlust von Arbeitsplätzen zu vermeiden.

"Größter technologischer Umbruch in der Geschichte dieser Industrie"

Rationalisierung hat es in der Autoindustrie immer gegeben. Doch was jetzt kommt, bringt einen technologischen Bruch, der die Branche vor nie da gewesene Anforderungen stellt und riskant ist. Andreas Tschiesner von der Unternehmensberatung McKinsey spricht vom "größten technologischen Umbruch in der Geschichte dieser Industrie".

Das Elektroauto braucht wesentlich weniger Arbeitskräfte als ein konventionelles Fahrzeug. "Im Extremfall - also wenn irgendwann ausschließlich batterieelektrische Fahrzeuge produziert würden", so befürchtet der Betriebsratsvorsitzende von Daimler, Michael Brecht, "blieben nur noch ein Sechstel der Jobs, die es heute in der Motorenfertigung gibt, übrig".

Die Motorenfertigung ist das Herz der Autoindustrie. Hartmut Geisel, Vize-Betriebsratschef bei Bosch, dem größten deutschen Autozulieferer, zweifelt daran, dass der Trend weg vom Verbrennungsmotor ohne Aderlass in den Fabriken vor sich gehen wird. "Wir werden da ein enormes Problem bekommen."

Die Gewerkschaft IG Metall fürchtet, dass von den 880 000 Arbeitsplätzen bei den deutschen Autoherstellern und ihren Zulieferern jene 250 000 besonders betroffen sind, die in der Antriebstechnik beschäftigt sind. "Wir brauchen zur Elektrostrategie auch eine Personal- und Qualifizierungsstrategie", fordert Daimler-Betriebsratschef Brecht.

Technisch einfacher zu bauen

Das Elektroauto ist technisch einfacher zu bauen als ein konventionelles Fahrzeug, das einen komplizierten Motor braucht, ein Getriebe, und eine schmiedeeiserne Kraftübertragung. Und weil gleichzeitig parallel auch noch die Digitalisierung und Roboterisierung der Fertigung abläuft, bekommt die Branche einen Doppelschlag.

"Diese Effekte stellen sich alle in den nächsten zehn bis 15 Jahren ein", erwartet Frank Iwer, bei der IG Metall für die Automobilindustrie zuständig. "Die Zeit muss für die Anpassung genutzt werden." Das fordert auch der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung: "Die IG Metall und die Arbeitgeber sollten nicht untätig sein", sagt er. "Es wird Einschnitte geben in den typischen Fertigungsberufen."

Damit sind nicht mehr nur die Unternehmen und Vorstände in der Pflicht, nach Gegenmaßnahmen zu suchen. Verstärkt sind auch die Politiker gefordert. Die Unternehmensberatung McKinsey hat für Bayern festgestellt, dass sich nicht einmal das erfolgsverwöhnte Bundesland sicher fühlen kann. "Das bayerische Erfolgsmodell ist in Gefahr", so die Experten von McKinsey. "Von der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung werden 40 Prozent der Arbeitsplätze in Bayern betroffen sein und damit bedroht." Das wären an die zwei Millionen Arbeitsplätze, viele davon bei BMW und Audi, wo allein 50 000 Menschen arbeiten. Die McKinsey-Experten rufen daher nach einem "durchdachten und mitreißenden Zukunftsentwurf" von der Politik.

Neue Jobs entstehen - aber womöglich für andere Menschen

Man kann die Dinge auch entspannter sehen. Enzo Weber vom Nürnberger IAB weiß aus seinen Forschungen, dass in Deutschland bis 2025 etwa 1,5 Millionen alte Arbeitsplätze verloren gehen. Doch die Digitalisierung habe auch einen gegenläufigen Effekt: Gleichzeitig werde es im selben Umfang neue Jobs geben. Die verlangen aber ganz andere Qualifikationen; unter dem Strich könnte das Beschäftigungsniveau also gleich bleiben. Die Frage ist eben nur, ob es die gleichen Menschen sein werden, die Arbeit finden. Klar ist nur: Das produzierende Gewerbe werde "an Bedeutung verlieren", betont Weber. Die Branchen "Information und Kommunikation" sowie "Erziehung und Unterricht" würden an Bedeutung zulegen.

Das alles bedeutet, dass die Autoindustrie eine neue Art von Fachkräften braucht. Sie müssen die Elektronik beherrschen, den komplizierten Bau von Batterien für die künftigen Autos, und sie müssen die Elektronik kennen, die das Stromauto künftig in Bewegung hält. Doch selbst wenn die Autokonzerne künftig statt Verbrennungsmotoren Batterien herstellen, können sie damit die Zahl der wegfallenden Jobs wohl kaum ausgleichen.

Wo statt Motoren demnächst Batterien gefertigt werden, sind Menschen in der Fertigung kaum notwendig. "Die Produktion von Batteriezellen ist fast menschenleer", gibt der McKinsey-Experte Andreas Tschiesner zu bedenken.

Ein wachsender Teil der Autofertigung von morgen könnte ins Ausland wandern. Tschiesner: "Ein Teil der Wertschöpfung wird nicht mehr in Deutschland stattfinden." Der Vorteil sei, so der McKinsey-Mann, dass die Umstellung von Benzin- auf Stromautos und von normalen auf selbstfahrende Fahrzeuge nicht von heute auf morgen geschehe und noch Zeit bleibe für den Übergang: "Für die nächsten zehn bis 15 Jahre wird es noch genügend Wachstum geben."

Daimler-Betriebsratschef Brecht schlägt dennoch Alarm. Nicht für die nahe Zukunft, aber für später: "Für die nächsten zehn bis 12 Jahre mache ich mir keine Sorgen", sagt er. Das werde eine Zeit des Übergangs sein. "Das kann sich aber dramatisch ändern, wenn wir in 15 oder 20 Jahren vorwiegend batteriebetriebene Autos auf der Straße haben." Es gehe nun darum, möglichst viele der neuen Jobs ins eigene Haus zu holen. "Wenn man bei dieser Entwicklung nicht dabei ist, ist man weg vom Fenster." Vieles hänge davon ab, wie viel die Autohersteller von den neuen Technologien selbst machen werden. "Wir wollen, dass es diese Jobs in unseren Fabriken und Büros gibt und nicht bei Dritten."

Wenn die Prognosen stimmen, wird es etwa 2025 mit dem Elektroauto auf breiter Front losgehen. Das ist das Jahr, in dem die gerade vereinbarten Arbeitsplatzgarantien bei VW auslaufen werden. Vielleicht muss der Wolfsburger Betriebsrat Bernd Osterloh oder sein Nachfolger dann gegen noch größere Ängste seiner Kollegen ankämpfen als heute. Denn dann geht die Sorge um den Job erst richtig los.

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