Süddeutsche Zeitung

Auto und Klima:Entscheidend ist, was hinten rauskommt

Europa feiert das Klimaabkommen von Paris - und will die Autoindustrie durch milde Abgasregeln schützen. Das passt nicht zusammen.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Von Helmut Kohl stammt die Erkenntnis: "Entscheidend ist, was hinten rauskommt." Der Altkanzler hat damit das Wesen pragmatischer Politik erklärt; nicht den mühseligen, oft von Streit beladenen Entscheidungsprozess solle man bewerten - sondern das Ergebnis.

Entscheidend ist, was hinten rauskommt: Dies gilt erst recht in der Klimapolitik. Und speziell: im Fall Volkswagen. Hinten raus kommt bei elf Millionen VW-Dieselautos weit mehr, als offiziell angegeben wird; ein Umweltskandal erster Güte. Hinten raus kommt in diesem Skandal aber auch eine sehr unterschiedliche Reaktion von Behörden und Politik. Dort die Amerikaner, die mit aller Härte gegen Volkswagen vorgehen und dem Konzern mit einer Strafe von 18 Milliarden Dollar drohen, weil er die Abgaswerte seiner Dieselautos manipuliert hat; hier die EU-Staaten, die zwar schärfere Abgastests einführen wollen, aber diese Tests erstaunlich lax gestalten - und zwar laxer, als es die EU-Kommission gerne gehabt hätte. Dem Umweltausschuss des Europäischen Parlaments passt diese Nachsichtigkeit der Regierungen nicht, er fordert nun Nachbesserungen. Und war völlig zu Recht.

Merkel gefällt sich als Klimakanzlerin - und sie schützt die Autoindustrie

Wenn man verstehen will, warum die USA sehr viel härter als die Europäer reagieren, muss man nach Kalifornien schauen. Oder nach Paris. Nach Kalifornien deshalb, weil der Bundesstaat an der Westküste besonders rigide die Klima- und Umweltpolitik von Barack Obama umsetzt; und nach Paris deshalb, weil dort zwar am Wochenende mit dem Segen des US-Präsidenten ein historische Klimaabkommen vereinbart wurde - eben dieser Präsident setzt aber, weil ihm in Washington die politische Mehrheit fehlt, seit Jahren vor allem auf die Macht der amerikanischen Umweltbehörden, um seine Politik durchzusetzen; sie sollen Härte gegenüber Umweltverschmutzern zeigen, solange es in Washington nicht für härtere Gesetze reicht.

Wenn man verstehen will, warum die Europäer mehr Milde gegenüber der Autoindustrie walten lassen, muss man hingegen nach Wolfsburg blicken. Oder nach Berlin. Denn Volkswagen verfügt, zumal als Konzern, der sich zu einem Fünftel in staatlichem Besitz befindet, seit jeher über sehr viel politischen Einfluss, er macht diesen Einfluss in Brüssel geltend, mit einem opulent besetzen Lobby-Büro, und er macht ihn in Berlin geltend, wo die Kanzlerin sich einerseits als Klimakanzlerin gefällt, sie andererseits aber immer wieder für die Interessen der deutschen Autoindustrie kämpft.

Die VW-Affäre muss in Europa härtere Konsequenzen haben

Natürlich lobte Angela Merkel das Klimaabkommen von Paris in allerhöchsten Tönen; das aber passt nicht so recht dazu, dass ihre Bundesregierung in Brüssel seit Jahren sehr viel dafür tut, dass die Abgasvorschriften für die Autoindustrie - mithin: für den wichtigsten Wirtschaftszweig der Bundesrepublik - nicht allzu sehr verschärft werden. Trotz VW-Affäre hat nicht zuletzt die Bundesregierung vor wenigen Wochen darauf gedrungen, die härteren Abgastests zu entschärfen, die die EU-Kommission geplant hatte. Man kann das wendig nennen. Oder doppelzüngig.

Wenn also Merkels Regierung - und mit ihr die anderen EU-Regierungen - das Klimaabkommen von Paris wirklich ernst nehmen wollen, dann müssen sie aus der Dieselaffäre andere, entschiedenere Konsequenzen ziehen. Dann müssen die Abgastests und Abgaslimits entschlossener verschärft werden. Vor allem aber muss Merkels Regierung entschiedener den Ausbau der Elektromobilität in Deutschland vorantreiben. Die Förderung der Autoindustrie und die Klimapolitik stehen nämlich keineswegs in einem Widerspruch zueinander - jedenfalls dann nicht, wenn Konzerne und Politik auf die richtige Motorentechnik setzen: das E-Auto. Denn entscheidend ist, was hinten rauskommt.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2015/sry
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