Konjunkturprogramm:Die Regierung emanzipiert sich von der Autoindustrie

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Schröders und Merkels persönliches Verhältnis zum Auto könnte unterschiedlicher kaum sein. (Foto: Getty Images)

Der Verzicht auf die Autokaufprämie ist fast schon eine historische Zäsur im Verhältnis von Politik und Auto-Lobby. Sie ist gut für die Demokratie - und stärkt das Vertrauen der Bürger.

Kommentar von Nico Fried

Einige Monate nachdem sie Gerhard Schröder 2005 das Kanzleramt abgejagt hatte, wurde Angela Merkel gefragt, wann sie ihrem Vorgänger auch den Titel Autokanzler nehmen werde. "Kann er behalten", antwortete sie trocken. Doch Autokanzler zu sein, ist keine Frage des Wollens - man wird es automatisch. Zu wichtig ist die Industrie für das wirtschaftliche Wohlergehen, als dass eine Regierung ihr nicht besondere Aufmerksamkeit widmen müsste.

Schröders und Merkels persönliches Verhältnis zum Auto könnte unterschiedlicher kaum sein. Der Kanzler hatte Spaß daran, Limousinen wie zu Werbezwecken vorzuführen und auf Fotos hinterm Lenkrad Führungsstärke zu demonstrieren; die Kanzlerin fragt bei Besichtigungen eher nach Technologien, danach, wie viele Frauen in einem Werk arbeiten oder ob sie auf der Ladefläche eines VW Caddy auch Baumstämme aus ihrem Garten transportieren kann. Trotzdem hatten Schröder wie Merkel stets ein gleichermaßen offenes Ohr für die Bedürfnisse der Autoindustrie - sowohl in wirtschaftlicher Not, als auch wenn es darum ging, sie vor Belastungen zu schützen.

Mit dem Konjunkturprogramm für die Corona-Krise hat die große Koalition nun endlich einmal gezeigt, dass die Bedeutung einer Branche nicht damit gleichzusetzen ist, sich von ihr alles gefallen zu lassen. Der Verzicht auf eine Verkaufsprämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor beschreibt eine fast historische Zäsur im Verhältnis von Politik und Autoindustrie. Ob Merkel diese Entscheidung aktiv betrieben hat oder sich nur dem Druck in der Koalition beugte, ist zweitrangig. Jedenfalls hat die Kanzlerin ihr politisches Gewicht letztlich nicht mehr zugunsten der Autoindustrie geltend gemacht, wie diese es aus der Vergangenheit gewohnt war und vermutlich auch diesmal wieder erwartet hat. Und das ist gut so.

Schadenfreude verbietet sich trotzdem - zumal sich der Schaden in Grenzen hält: Immerhin gibt es ja noch Forschungsmilliarden und jede Menge Geld zugunsten der E-Mobilität. Auch von der Mehrwertsteuersenkung kann die Autoindustrie profitieren. Ihren Arbeitnehmern aber wäre zu wünschen, dass sie in der Krise nach außen besser vertreten würden als durch einzelne Konzernbosse wie VW-Chef Herbert Diess oder Funktionäre wie die Autoverbands-Präsidentin Hildegard Müller, die beide mit überzogenen Forderungen und selbstgerechten Auftritten ihrer Sache mehr schadeten als nutzten.

Der Verzicht auf die Kaufprämie stärkt das Vertrauen in die Politik

Die Autoindustrie hat ein Imageproblem. Die Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher Bedeutung und öffentlichem Ansehen ist seit dem Abgasskandal extrem ausgeprägt. Wohl noch nie gab es in der Politik eine kritische Front, die wie jetzt beim Konjunkturprogramm so konträre Persönlichkeiten wie die SPD-Chefin Saskia Esken und den CDU-Mittelständler Carsten Linnemann vereinte.

Auch die enge Verbindung von Politik und Autolobby, für die Hildegard Müller als Ex-Staatsministerin im Kanzleramt nicht alleine, aber herausgehoben steht, schürt stets den Verdacht intransparenter Kungelei. Der Verzicht auf die Kaufprämie hat deshalb auch einen demokratiehygienischen Aspekt: Es stärkt einfach das Vertrauen in die Politik, wenn sich mal gerade nicht die lauteste und am besten vernetzte Branche durchsetzt.

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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