Süddeutsche Zeitung

Autowirtschaft:Autobranche will EU-Klimapläne bremsen

  • Vertreter der Autobranche fordern angesichts der Corona-Krise Pläne für schärfere EU-Klimavorgaben zu kippen oder zeitlich zu strecken. Auch der Verband der Automobilindustrie hält eine weitere Verschärfung derzeit für kaum machbar
  • Die EU-Kommission hält jedoch weiter an schärferen Grenzwerten fest, da diese dringend nötig seien, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin, und Karoline Meta Beisel, Brüssel

In Europa bahnt sich wegen der schweren Krise der Autoindustrie ein harter Streit um den Klimaschutz an. Verbände und Konzerne fordern von der Europäischen Kommission infolge der Corona-Pandemie, Pläne für härtere Grenzwerte zu kippen. Bei einem Krisengespräch mit Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU), Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und führenden Branchen- und Gewerkschaftsvertretern forderte die Industrie am Mittwochabend Rückendeckung der Regierung. "Das ist jetzt nicht die Zeit, über weitere Verschärfungen bei der CO₂-Regulierung nachzudenken", sagte am Donnerstag auch Hildegard Müller, Präsidentin des Branchenverbands VDA.

Doch in der EU-Kommission gibt es derzeit offenbar keine Pläne, von der Agenda für den "Green Deal" abzurücken, oder die Umsetzung bestehender Gesetze auf später zu verschieben. So hatte die EU bereits 2019 strengere Auto-Grenzwerte bis 2030 beschlossen. Man kenne die Wünsche der Autoindustrie, sagte ein Sprecher der Behörde. Die Staats- und Regierungschefs der EU hätten aber erst in der vorigen Woche bei ihrer Videokonferenz bestätigt, dass sie den Green Deal und die Digitalisierung als Kern der Wachstumsstrategie für die Zeit nach der Krise sehen.

Auch hinter den Kulissen gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass die Kommission bei der Klimapolitik lockerlassen will. Im Gegenteil: Der neue Entwurf für den künftigen EU-Haushalt, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt hat, soll den Mitgliedstaaten zwar zuvorderst helfen, mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise klarzukommen. Gleichzeitig könnten über den Haushalt Zahlungen aber auch so gelenkt werden, dass sie tatsächlich zukunftsfähigen Industrien zugute kommen, heißt es aus der Behörde - anstatt den Mitgliedstaaten das Geld ohne weitere Vorgaben zur Verfügung zu stellen und zu riskieren, dass damit altmodische Industrien gepäppelt werden, die auch ohne Coronakrise nicht mehr überlebensfähig gewesen seien.

Verzögerungen bei der Umsetzung des Green Deal könne man trotzdem nicht ausschließen - die Kommission hat nur wenig Einfluss darauf, wie schnell Gesetze im EU-Parlament und im Rat der Mitgliedstaaten verhandelt werden.

Schärfere Grenzwerte sind laut EU-Kommission dringend nötig, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Der VDA betont, es gehe der Branche um künftige, nicht um die bestehenden Regeln. Letztere stelle man nicht in Frage. Allerdings haben Hersteller auch Mühe, die zu erreichen. In diesem Jahr müssen sie den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO₂) in ihren Flotten im Schnitt auf 95 Gramm drücken, andernfalls riskieren sie Strafzahlungen. Zuletzt klaffte noch eine große Lücke in den Umweltbilanzen der Konzerne. Viele Firmen liegen noch weit darüber. "Wir müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise erst seriös bewerten, bevor wir über zusätzliche Belastungen sprechen", warnt VDA-Chefin Müller eindringlich. Die FDP verlangt gar, die Flottengrenzwerte komplett zu überdenken. Für den Klimaschutz seien sie ungeeignet, sagte FDP-Klimapolitiker Lukas Köhler. Folglich lasse sich auch "eine weitere Verschärfung nicht rechtfertigen".

Die größte deutsche Industrie mit rund 800 000 Beschäftigten leidet derzeit massiv unter der Pandemie. In Deutschland stehen die meisten Werke still. Autohäuser sind geschlossen. Schon jetzt ist klar: Weil das Geschäft nur langsam anlaufen wird und Werke über Monate nicht ausgelastet sein werden, müssen die Konzerne in diesem Jahr mit Milliardenausfällen klarkommen. Weil auch die Börsenkurse eingebrochen sind, wächst zudem die Gefahr feindlicher Übernahmen. Eine Allianz europäischer Autoverbände, darunter der größte Industrieverband ACEA, mahnt in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unmissverständlich Fristverschiebungen von EU-Regularien an.

Doch auch in Deutschland gibt es Widerstand gegen laxere Vorgaben. "Die CO₂-Vorgaben für Fahrzeuge infolge der Coronakrise aufzuweichen, kommt für das Bundesumweltministerium nicht in Betracht", sagt Staatssekretär Jochen Flasbarth. Für die Flottengrenzwerte sei die Zusammensetzung der Flotte entscheidend, nicht die Zahl der verkauften Fahrzeuge. Viele Unternehmen der Automobilindustrie hätten zudem bereits große Summen in die Einhaltung der Flottengrenzwerte investiert. Eine kurzfristige Aufweichung der gesetzlichen Vorgaben würde diese fortschrittlichen Unternehmen benachteiligen. Die Gesundheitskrise dürfe nicht zu einer Verschärfung der Umweltkrise führen, warnte die Brüsseler Umweltorganisation T&E.

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Das Verkehrsministerium äußerte sich nicht zu den Forderungen der Branche. Verkehrsminister Andreas Scheuer geht davon aus, dass die Krise Auswirkungen auf die Mobilität der Zukunft haben wird - und dies auch die Klimabilanz entlastet. "Business-Trips werden nach der Krise nicht mehr so häufig gemacht werden, andere, digitale Geschäftsmodelle werden schneller kommen", sagte Scheuer.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schwor das Land am Donnerstag auf einen heftigen Einbruch ein. Es werde einzelne Monate geben, in denen die Wirtschaft um bis zu acht Prozent einbreche. Es bestehe aber die Chance, dass die globale und die deutsche Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte "wieder Tritt fasst".

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SZ vom 03.04.2020/mxh
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