Ralf Kalmbach ist Leiter Automotive und Partner bei Roland Berger Strategy Consultants. Er berät seit mehr als 20 Jahren führende Automobilhersteller.
sueddeutsche.de: Herr Kalmbach, wann wird sich die Autobranche wieder erholen?
Ralf Kalmbach: Wir werden erst 2013/2014 wieder das Niveau von 2007, dem Jahr vor der Absatzkrise, erreichen. 2009 wird noch durch die Abwrackprämie und Konjunkturprogramme künstlich gestützt. 2010 geht es dann noch ein Stück runter. Mitte 2010 wird der Wendepunkt sein.
sueddeutsche.de: Worauf stützen Sie Ihre Prognose?
Kalmbach: Wir stützen uns auf Szenarien und Marktforschungen, die wir gemeinsam mit Herstellern und Zulieferern gemacht haben. Darüber hinaus sehen wir, dass China dieses Jahr schon deutlich wächst. Das ist aber zu Teilen das Resultat einer regierungsindizierten Kampagne. Die Fahrzeuge unter 1,6 Liter werden von den Verantwortlichen in Peking ganz massiv unterstützt.
sueddeutsche.de: Profitieren auch die europäischen Hersteller vom chinesischen Staatsprogramm?
Kalmbach: Ja, insbesondere VW und Audi. Der chinesische Markt wächst in diesem Jahr um 14 Prozent - verglichen mit dem Rest der Welt ist das erheblich. Auch Indien wächst wieder, allein in diesem Jahr um vier Prozent. Und Brasilien wird dank eines Regierungsprogramms zulegen. Die Märkte in den USA und Europa dagegen sind desolat.
sueddeutsche.de: Was passiert in Deutschland im Jahr 2010, wenn die Abwrackprämie nicht mehr greift?
Kalmbach: Das Jahr wird mühsam. Es wird noch einmal einen richtigen Schlag ins Kontor geben, weil die Industrie bisher mit Kurzarbeit versucht, alles abzufangen. Die Programme laufen aus, aber der Bedarf ist nicht wieder da. Wir werden einen radikalen Beschäftigungsabbau erleben. Das geht nicht mehr über einen Abbau von Leiharbeitern. Die Krise ist zu lang, als dass man sie aussitzen kann.
sueddeutsche.de: Fiat-Chef Sergio Marchionne hat gesagt, dass es bald nur noch sechs große Hersteller geben wird. Welche werden das sein?
Kalmbach: Ich kann als Berater dieser Unternehmen keine konkreten Aussagen machen. Aber das Thema beschäftigt mich in den 20 Jahren, die ich nun in dieser Branche unterwegs bin, ständig. Die Diskussion kommt immer wieder. Vor einem Jahrzehnt war von zehn Überlebenden die Rede, dann kam der Boom in China und Indien. Allein in diesen Märkten müssen wir mit einem Dutzend neuer Spieler rechnen - darunter Tata, Mahindra, Chery und eben auch einige in der westlichen Welt gänzlich unbekannte Namen. Eine weltweite Konsolidierung auf sechs Hersteller rückt also eher in weitere Ferne.
sueddeutsche.de: Welche europäischen Hersteller sind ernsthaft bedroht?
Kalmbach: Probleme haben die Hersteller, die im sogenannten Volumengeschäft tätig sind, die also viele Autos mit einer vergleichsweise geringen Gewinnmarge verkaufen müssen. Dazu zählen in Europa neben Opel und Vauxhall vor allem Renault, Peugeot und Citroën sowie Fiat und Seat. In dieser Ecke wird es nicht für alle reichen. Der europäische Markt wird ja auch der Hauptangriffspunkt der neuen Spieler aus China und Indien sein. Die Koreaner haben bereits vorgemacht, wie man sich hier Marktanteile erkämpft. Das ist auch der Grund für die Äußerungen und Aktivitäten von Fiat-Chef Marchionne.
sueddeutsche.de: Wie sieht es mit den deutschen Herstellern aus?
Kalmbach: Ich glaube nicht, dass die etablierten deutschen Hersteller vom Markt verschwinden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass zwischen Mercedes und BMW eine Annäherung stattfindet. Die anstehenden hohen Entwicklungskosten für leichtere, verbrauchsärmere Fahrzeuge können nur gemeinsam geschultert werden. Die Volkswagen-Gruppe halte ich hier schon für sehr gut aufgestellt. Ford ist ebenfalls gut vorbereitet, dass aus Europa die Technologieimpulse für den amerikanischen Markt kommen.
sueddeutsche.de: Wenn ohnehin eine Marktbereinigung ansteht, sollte der Staat dann Opel nicht die Hilfe verweigern?
Kalmbach: Bitte haben Sie Verständnis, dass wir für Opel arbeiten und uns deshalb hierzu nicht äußern können.
sueddeutsche.de: Gibt es überhaupt ein ökonomisches Argument für solch eine staatliche Rettungsaktion?
Kalmbach: Ja, wenn das Unternehmen dank der Stützung wieder eine stabile Position am Markt finden kann, eine dauerhaft hohe Auslastung der Produktion erreicht und schlicht attraktive Produkte zu vernünftigen Preisen verkauft.
Viele Hersteller haben aber genau das nicht: Die Produkte sind weder vom Design noch von der Technik auf dem neuesten Stand, sie können also nur mit erheblichen Nachlässen und viel Marketing überhaupt verkauft werden, Überkapazitäten verhageln zudem die Bilanz. Ein Unternehmen, dass keinen Gewinn macht, kann man langfristig nicht am Leben erhalten.
sueddeutsche.de: Wie soll Opel diese von Ihnen geforderte stabile Position finden?
Kalmbach: Opel hat in Westeuropa einen verlässlichen Käuferstamm aufgebaut und sollte diesen mit dem passenden Produktprogramm pflegen. Das wird aber nicht reichen, um die Zahl von Autos abzusetzen, die die Opel-Werke auslasten würden. Den Versuch, sich im echten Billigsegment zu etablieren, erscheint mir angesichts der Konkurrenz und des harten Preiswettbewerbs nicht sinnvoll. Es muss Opel also gelingen, neue Märkte wie Russland zu erschließen, sonst müssen die Kapazitäten angepasst werden.
sueddeutsche.de: Eine Expansion nach Russland kann alle Probleme lösen?
Kalmbach: Der russische Markt ist aufgrund seines Potentials hoch interessant, allerdings herrschen dort auch eigene Gesetze. Bisher ist der Markt so stark durch Zölle abgeschottet, dass sich ein Export nur bei sehr hochpreisigen Fahrzeugen lohnt. "Normale" Autos müssen also in Russland gebaut werden. Das wird das Problem der Opel-Werke in Europa aber noch nicht lösen.
sueddeutsche.de: Wie sicher ist es denn, dass Magna tatsächlich Opel übernimmt?
Kalmbach: Im Moment klingt alles sehr unverbindlich. Ein Grund dafür wird sein, dass General Motors versucht, eine bestmögliche Position in dem Deal zu erreichen. Bei allen Anforderungen von GM muss es Magna aber möglich sein, ein stabiles und profitables Geschäftsmodell für Opel zu erreichen.
sueddeutsche.de: Wie viele Jobs werden bei Opel wegfallen?
Kalmbach: Das müssen die neuen Eigentümer entscheiden.
sueddeutsche.de: Im Fall Opel hatten Sie einen echten Interessenkonflikt: Auf der einen Seite sollten Sie das Sanierungskonzept von Opel prüfen, auf der anderen Seite war Unternehmensgründer Roland Berger, der zudem im Aufsichtsrat von Fiat sitzt, Berater der Bundesregierung in Sachen Opel. Ist da eine unabhängige Beratung überhaupt noch möglich?
Kalmbach: Das ist kein Interessenkonflikt. Herr Berger hat sein Aufsichtsratsmandat bei Fiat ruhen lassen und als Privatmann die Bundesregierung beraten. Auf der anderen Seite haben wir als Roland Berger Strategy Consultants ein Mandat von General Motors Europe erfüllt. Das wurde strikt getrennt. In großen Beratungsunternehmen ist es üblich, für mehrere Auftraggeber derselben Branche aktiv zu sein. Wären unsere Teams nicht sauber voneinander abgegrenzt, würden wir sofort das Vertrauen und damit unsere Kunden verlieren.
sueddeutsche.de: War den Chefs von Schaeffler und Porsche langweilig oder machte es irgendeinen Sinn, die Übernahme eines Goliaths wie Conti oder VW anzugehen?
Kalmbach: Es gibt bei beiden Fällen eine strategische Logik. Schaeffler hat bei mechanischen Komponenten eine hervorragende Marktposition erreicht und konnte nur mit Elektronik-Kompetenz weiter wachsen. Porsche braucht den Zugang zu Technologien, um verbrauchsärmere und alternative Antriebe anbieten zu können. Aber es gibt in beiden Fällen auch ein hohes Risiko. Die Übernahme eines größere Unternehmens gelingt nur, wenn die Finanzierung billig und in fast beliebiger Höhe verfügbar ist. Das ist nun nicht mehr der Fall.
sueddeutsche.de: Viele "Hochzeiten im Himmel" - BMW und Rover, Daimler und Chrysler - sind grandios gescheitert. Haben die Manager nichts gelernt?
Kalmbach: Es ist immer wieder ein neuer Anlauf mit neuen Leuten, einem neuen Unternehmen. Es wird viel zu selten und viel zu wenig auf die Kultur der fusionierenden Unternehmen geachtet. Und dieser Begriff geht weit über die Zusammenarbeit von Mitarbeitern hinaus. Beispiel Daimler-Chrysler. Die Amerikaner haben vergleichsweise einfache Autos für den Massenmarkt gebaut, während Mercedes höchste Ansprüche an technische Rafinesse stellt. Da war zwischen Deutschland und den USA kaum ein gemeinsames Verständnis zu erreichen.
sueddeutsche.de: Wie muss sich Ihrer Meinung nach die Automobilindustrie wandeln?
Kalmbach: Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Erforderlich sind neue Antriebe. Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge werden nach unserer Einschätzung bis 2020 ein Fünftel des europäischen Marktes ausmachen. Außerdem erwarten wir, dass die Premium-Fahrzeuge unter Druck geraten, weil die Kunden Stück für Stück auf kleinere und leichtere Modelle umsteigen. Große Autos sind - selbst wenn sie hocheffiziente Motoren besitzen - in Zeiten des Klimaschutzes immer schwerer zu verkaufen. Die Industrie muss sich deshalb umstellen. Sie kann Technologie und Innovation nicht mehr über die großen, gewinnbringenden Modelle einführen und dann auf den Massenmarkt ausrollen. Die Innovationskosten müssen direkt im Massenmarkt eingespielt werden, was deutlich schwieriger ist.
sueddeutsche.de: Gibt es auch ein "zu billig" in der Autoproduktion?
Kalmbach: Ja und nein. In Europa kann man die hohen Sicherheitsstandards nicht einfach über Bord werfen und das hat seinen Preis. Hierzulande ein Auto für 7000 Euro profitabel zu verkaufen, ist nahezu unmöglich. Wenn das Auto nur mit 70 oder 80 km/h fährt, kauft das auch niemand. In Indien hingegen redet niemand über ABS oder Crashtest-Ergebnisse. Hier genügt es, wenn das Auto einfach und robust ist und das Grundbedürfnis Fahren erfüllt. Auf diesem Markt wird es einen gnadenlosen Preiswettbewerb geben, für den indische und chinesische Hersteller besser aufgestellt sind als Europäer und Amerikaner.
sueddeutsche.de: Sie mögen den Tata Nano?
Kalmbach: Ich bin fasziniert vom Tata Nano, nicht als Fahrzeug, sondern als Ergebnis eines Prozesses. Tata hat gezeigt, dass man - wenn man ohne Restriktionen denkt - Dinge bewegen kann, die keiner für möglich gehalten hat. Die ersten Fahrzeuge wurden jetzt per Losverfahren in den Markt gebracht. Der Rest wird allerdings deutlich teurer werden, weil auch Tata auf Dauer nicht vom Drauflegen leben kann.
sueddeutsche.de: Welches Auto fahren Sie?
Kalmbach: Ich habe einen Audi für den Alltag, einen Maserati und noch einen Triumph-Oldtimer. Ich konnte mir nicht verkneifen, beim Autofahren noch Spaß zu haben. Ein Auto ist ein emotionales Produkt, es fasziniert und begeistert.
sueddeutsche.de: Würden Sie mit dem Tata Nano durch München fahren?
Kalmbach: Wenn es die Sicherheitsstandards erfüllen würde: ja.
sueddeutsche.de: Mit Begeisterung?
Kalmbach: Nein. Es ist interessant gemacht, es ist neue Technik, die dazu führt, dass dieses Auto kostengünstig ist, aber es revolutioniert nicht die Art des Fahrens. Was mich faszinieren würde, ist ein entsprechendes Elektrofahrzeug. Da ist die Automobilindustrie gefordert, ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Ihre Fahrzeuge sollten ökologisch sinnvoll sein, aber auch Spaß machen.
sueddeutsche.de: "Freude am Fahren" ging bisher für viele doch erst bei Tempo 250 los.
Kalmbach: Der Umstieg in die Elektromobilität muss nicht Verzicht bedeuten. Elektrisch fahren ist sensationell. Die Beschleunigungswerte sind hervorragend, weil das Auto von null an den vollen Drehmoment hat. Das intelligent verpackt in Fahrzeuge ist für die Industrie durchaus eine Chance, attraktive Produkte anzubieten und gute Geschäfte zu machen. Die Deutschen sind da gut aufgestellt, weil sie eine hohe technologische Kompetenz haben. Außerdem haben wir mit die leistungsstärkste Zulieferindustrie.