Süddeutsche Zeitung

Autarkes Dorf Feldheim:Mit eigener Energie

Der Stromanbieter wollte ihnen sein Netz nicht verkaufen, also bauten sie ihr eigenes: Im brandenburgischen Feldheim leben die Bürger energieautark - und zahlen für ihren Strom viel weniger als der Rest der Republik.

Von Pia Ratzesberger, Treuenbrietzen

Ein leises Rauschen, mehr ist es für ihn nicht. Der Wind kommt heute von Nordwesten, die drei weißen Rotorenblätter kreisen durch die Luft, zehn Meter pro Sekunde zählt die Anzeige. Siegfried Kappert steht vor der Windkraftanlage, die hoch über ihm emporragt und sagt: "Für mich ist das kein Lärm." Zufrieden sieht er aus, als würde er das Surren der 43 Windanlagen um ihn herum genießen.

Mit seinen dunklen Klettsandalen stapft er über die Wiese, Hände in den Hosentaschen, goldene Uhr am Handgelenk. Vom Windpark aus kann man zu den Häusern Feldheims hinübersehen, dem eingemeindeten Ortsteil der Stadt Treuenbrietzen im Südwesten Brandenburgs, in dem Kappert aufgewachsen ist. Wenn der 74-Jährige von den "jungen Leuten" redet, die in die Stadt ziehen, schwingt Unverständnis in seiner Stimme mit. Denn seit vier Jahren ist Kappert besonders stolz, aus Feldheim zu kommen - aus dem ersten energieautarken Dorf der Bundesrepublik.

Zwar entscheiden sich immer mehr Kommunen, die Energiewende alleine zu bestreiten und beziehen ihren Strom, ihre Wärme, oder beides aus erneuerbaren Energien, aus eigener Produktion. Wer mehr ins Stromnetz einspeist als er selbst benötigt, gilt dann als bilanziell unabhängig. Im vergangenen Jahr waren das in Deutschland dem Marktforschungsunternehmen Trendresearch zufolge bereits mehr als 200 Kommunen. Feldheim allerdings ist mehr als das: Hier sind die Bürger nicht nur auf dem Papier autark. Sie haben ihr eigenes Stromnetz aufgebaut.

Die Feldheimer zahlen weniger als andere für ihren Strom

Was nach Idealimus und Revolution klingt, hat vor allem pragmatische Gründe. Der Strom ist seitdem billiger. 16,6 Cent zahlen die Bürger mittlerweile pro Kilowattstunde, weit weniger als der Bundesdurchschnitt, der nach dem Verivox-Verbrauchsindex momentan bei 28,30 Cent pro Kilowattstunde liegt. Für die Feldheimer entfallen außerdem unter anderem die Stromsteuer und die EEG-Umlage. "Wer sein eigenes Netz nutzt, muss natürlich keine Gebühren an einen Betreiber zahlen", sagt Werner Frohwitter, Sprecher der Energiequelle GmbH. Die Firma betreibt den Windpark, momentan plant sie gemeinsam mit anderen Partnern den Bau einer großen Batterie, um überschüssige Energie in Zukunft speichern zu können. Die 43 Anlagen haben eine Leistung von etwa 74 Megawatt - Feldheim brauche für seinen Energiebedarf nicht einmal ein Prozent davon, sagt Frohwitter.

Wer in den Ortsteil von Treuenbrietzen fährt, der mag kaum glauben, dass ausgerechnet dieses kleine Dorf zwei Stromnetze - ein neues und ein altes - besitzt. Denn ganz Feldheim, das ist kaum mehr als eine breite Straße, gesäumt von Einfamilienhäusern mit kurzgeschorenem Rasen. Ein Gasthaus, einen Kiosk oder einen Bäcker sucht man hier vergeblich. Nur eine Bushaltestelle, die einen wieder aus dem Dorf hinausführt, steht am Rand der Lindenstraße.

Aus der ganzen Welt reisen Delegationen in das kleine Dorf

Schräg gegenüber liegt ein kleiner Container, das provisorische Projektzentrum des energieautarken Dorfes. Dutzende Gastgeschenke stapeln sich in den Regalen: Holländische Kochbücher, schwere Kugelschreiber in edlen Etuis, japanische Fächer. Von überall her kommen Delegationen aus Wirtschaft und Politik, um sich das Energiemodell des Ortes anzusehen. Dass die vielen Gäste behelfsmäßig in einem Container empfangen werden, zeigt: Gerechnet hat mit dem Ansturm hier niemand.

Die Feldheimer hatten nicht vor, mit ihrem Dorf zum Vorreiter der Energiewende zu werden - es ergab sich, nach und nach. Die Energiequelle GmbH hatte in dem Dorf bereits in den neunziger Jahren die ersten Windräder in Betrieb genommen, weil die Bedingungen hier besonders günstig waren: Feldheim liegt auf einer Hochfläche des Flämings, die Bürger sperrten sich nicht gegen die Baupläne. "Das Ganze war zu dieser Zeit einfach ein ganz normales Windprojekt", sagt der Bürgermeister von Treuenbrietzen, Michael Knape, der seit mehr als zehn Jahren im Amt ist.

Von 1995 an drehten sich die Räder und produzierten Energie, direkt daneben bezogen die Feldheimer ihren Strom weiter aus dem allgemeinen Netz. Bis die Energiequelle plante, eine Fabrik für Ständersysteme von Solaranlagen in Feldheim zu errichten - und diese Fabrik mit dem Strom der Windkraftanlagen zu versorgen. Im kleinen Feldheim gingen die Pläne schnell von Tür zu Tür, die Bürger begannen sich für die Energie von nebenan zu interessieren: Wenn das neue Werk an den Windpark angeschlossen wird, warum dann nicht auch wir?

Hinzu kam, dass die Fabrik mit Wärme versorgt werden musste. Schon früher hatte die örtliche Agrargenossenschaft immer wieder über ein eigenes Nahwärmenetz nachgedacht, es aber wegen mangelnder Rentabilität verworfen. Jetzt änderte sich das, denn es gab plötzlich einen großen und sicheren Abnehmer - das ganze Jahr über. Gemeinsam mit der Energiequelle stellte die Agrargenossenschaft schließlich ein Gesamtkonzept auf: Die Wärme wird in Zukunft von einer Biogasanlage kommen. Schweine- und Rindergülle, Mais und Getreideschot gab es durch die Landwirtschaft in Feldheim schließlich genügend. Der Windpark sollte die Bürger mit ausreichend Strom versorgen und an besonders kalten Tagen ein Holzhackschnitzel-Heizwerk zusätzliche Wärme produzieren.

"Alle haben an einem Strang gezogen"

"Es war klar, dass der gesamte Ort für die Verlegung des Nahwärmenetzes umgebuddelt werden muss, also warum nicht gleich noch Stromleitungen verlegen", begründet Bürgermeister Knape die Entscheidung. Die Feldheimer hatten sich zuvor durchaus bemüht, dem örtlichen Netzbetreiber Eon seine Leitungen abzukaufen - der sah allerdings keinen Grund dazu. Was hat ein großer Konzern schon davon, ein paar Bürgern winzige Teile seines Netzes zu verkaufen? Für ihn würde das nur den Verlust von Kunden bedeuten, den Verlust von Geld - erst recht wenn andere Kommunen nachziehen würden.

Siegfried Kappert steht vor dem Projektzentrum in der Lindenstraße und lächelt breit, wenn er daran denkt, was dann folgte. Er beginnt zu erzählen und reckt den Kopf dabei leicht nach oben - fast so, als wolle er damit zeigen, wie überlegen die Feldheimer sich den Großkonzernen damals fühlten. Denn schon nach drei Bürgerversammlungen stand 2008 fest: Wenn wir das alte Netz nicht kriegen, bauen wir eben unser eigenes. Die Feldheimer gründeten dafür gemeinsam mit der Stadt eine GmbH & Co. KG, sozusagen ihr eigenes kleines Stadtwerk.

Feldheim rühmt sich mit Vollbeschäftigung

Jeder der Kommanditisten zahlte 3000 Euro für Strom und Wärme. Die Hälfte, wer nur eines von beidem beziehen wollte. "Streit oder Zwist gab es da keinen. Alle haben an einem Strang gezogen, alle wollten das. Gerade einmal zwei Haushalte haben sich nicht an das neue Netz anschließen lassen, der Rest war sofort dabei", sagt Kappert und deutet auf die umliegenden Häuser. Ihm persönlich ging es bei dem Projekt nicht nur um den niedrigen Preis, sondern auch um Nachhaltigkeit: weg vom hohen CO₂-Ausstoß, weg von der Atomkraft.

Dass außer ihm so viele Feldheimer bereit waren, zu investieren, war auch der Aussicht auf Gewinn geschuldet: Das neue Energiekonzept hält das Geld im Dorf, die Anlagen schaffen neue Arbeitsplätze. Pro Jahr verbleiben nach Berechnungen der Stadt jetzt etwa 300.000 Euro, die sonst an große Konzerne abgeflossen wären, im eigenen Ort. Mehr als 20 neue Stellen sind durch das Projekt hinzugekommen. Die Energiequelle beschäftigt Mitarbeiter, um den Windpark zu warten, die Agrargenossenschaft wiederum, um die Biogasanlage zu betreiben. Heute rühmt sich Feldheim mit bilanzieller Vollbeschäftigung - bei 130 Einwohnern, von denen einige bereits das erwerbsfähige Alter überschritten haben, ist das natürlich auch einfacher zu erreichen als anderswo.

"Wären Strom und Wärme teurer geworden, hätte man das Projekt niemandem vermitteln können", sagt Bürgermeister Knape. Er erhoffte sich damals, dass der billigere Preis für Energie den Standort Feldheim aufwerten und neue Familien anziehen würde. Seinen Aussagen zufolge hat das funktioniert, tatsächlich habe es in den vergangenen Jahren Zuzüge gegeben.

Denn nicht nur der Strom ist heute günstiger, auch der Preis für Wärme liegt etwa zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt - und ein grünes Image macht attraktiv.

"Prestige ist einer der Gründe, warum so viele Kommunen heute Energieautarkie anstreben", sagt Dirk Briese, Chef des Marktforschungsunternehmens Trendresearch, das sich in einer Studie ausführlich mit energieautarken Kommunen und deren Motiven beschäftigt hat. Neben Image und Umweltbewusstsein wollen die Kommunen demnach auch von der staatlichen Förderung der erneuerbaren Energien proftieren.

Strompreis könnte noch weiter sinken

Genau das wird Feldheim zuweilen vorgeworfen: Dass die Autarkie doch nur ein schöner Schein sei, dass für die vermeintliche Unabhängigkeit am Ende der Steuerzahler aufkomme. Bürgermeister Knape hält von solchen Vorwürfen nicht viel. Das Stromnetz würden die Feldheimer ausschließlich über den Strompreis und Kredite finanzieren, betont er - wenn die 450.000 Euro 2020 abbezahlt seien, könnte der derzeitige Strompreis für die Feldheimer sogar noch weiter sinken. Zwar gab es Fördermittel aus dem Land, dem Bund und der EU für das Nahwärmenetz, aber einen großen Teil der Kosten hätten die Bürger auch hier selbst getragen, so Knape.

Momentan prüft die Stadt, ob es möglich ist, die autarke Versorgung auf weitere Teile Treuenbrietzens auszuweiten. Dass das Modell nicht einfach auf andere Regionen in Deutschland übertragen werden kann, ist klar. Doch in Feldheim hat sich in den vergangenen Jahr so viel bewegt, Stillstand will jetzt keiner. Vor allem nicht Siegried Kappert: "Ich hab so 'ne Zuversicht", sagt er und blickt zum Windpark hinüber. "Ich hab so 'ne Zuversicht, dass irgendwann auch ganze Städte sich so versorgen können wie wir das tun."

Feldheim hat sich mit seiner neuen Rolle als verwirklichtes Musterbeispiel, als Vorzeigedorf der Energiewende ziemlich gut angefreundet. Der Container in der Lindenstraße, das provisorische Projektzentrum, wird deshalb nicht mehr lange stehen: Vor dem ehemaligen Dorfgasthof parken bereits die Bagger, das Haus wird zum neuen, prestigeträchtigeren Projektzentrum renoviert und umgebaut. Zu den 43 Windrädern kann man von hier aus gut hinübersehen. Siegfried Kappert lauscht. Nein, kein Lärm zu hören.

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