Auswanderer:Der Abenteurer von La Gomera

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155.000 Deutsche verlassen pro Jahr ihr Land, nicht allen gelingt es, im Ausland eine Existenz aufzubauen - sie scheitern an sich selbst oder an den Einheimischen.

Reinhold Rühl

Gischt spritzt über die Piste. Wenige Meter neben der Brandung windet sich eine schmale Straße um die Vulkanfelsen. Hier im Norden der Kanarischen Insel La Gomera zeigt der Atlantik sein ungestümes Temperament.

Vorsichtig lenkt Thomas Müller den Geländewagen um Gesteinsbrocken und deutet auf das einsame Gemäuer am Ende der aufgewühlten Bucht von Vallehermoso. "Das Castillo del Mar", sagt der 55-Jährige. "Mein Abenteuerspielplatz."

Platz für 300 Menschen

Seit nunmehr fünf Jahren werkelt der in Darmstadt geborene Unternehmer an dem Gebäude, das wie ein Dornröschenschloss auf einer Felsklippe thront. Hinter der Burgmauer öffnet sich ein Freilicht-Café, rustikal bestuhlt mit wetterfesten Möbeln aus Indonesien. Es bietet Platz für über 300 Menschen.

Moderne Bühnentechnik umrahmt eine Plattform. Dahinter der Ozean. Und der schneebedeckte Gipfel des Teide auf der Nachbarinsel Teneriffa - ein Bühnenbild, das manchen Besucher in Euphorie versetzt.

Müller ist Chef der wohl exotischsten Spielstätte in Europa. Mehrmals pro Monat finden hier Freiluft-Konzerte statt. Meist spielen einheimische Musiker, manchmal auch Künstler und Kabarettisten aus Deutschland.

Abseits der Touristenzentren

Müller zeigt im bühnentechnisch voll ausgestatteten Untergeschoss Bilder und Filme, die auch von den vergessenen Orten dieser zweitkleinsten Kanarischen Insel handeln. Einer dieser Orte ist sein Castillo. Es liegt abseits der Touristenzentren. Und das ist sein größtes Problem.

Bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden hier Bananen in Schiffe verladen. Und Menschen. Zuerst waren es verarmte Gomeros, später Flüchtlinge der Franco-Diktatur. Anlegen konnten die Dampfschiffe in der gewaltigen Dünung nicht. Mangels geschützter Häfen wurden die Auswanderer über einen hölzernen Ausleger in Körben auf die Schiffe abgeseilt.

Von der Geschichte des Auslegers, den Anfang der fünfziger Jahre eine Tsunami-Welle zerstörte, wusste der Stadt- und Sozialplaner noch nichts, als er vor 28 Jahren erstmals mit einer Fähre auf die Insel kam.

Jenseits von Leistungsdruck und Konsumzwängen

Müller suchte wie viele junge Menschen seiner Generation auf La Gomera nach einem anderen Leben - jenseits von Leistungsdruck und Konsumzwängen. Die zweitkleinste Insel der Kanaren galt Ende der siebziger Jahre als das Aussteigerparadies. Ibiza war out, Kreta vermüllt und Goa zu weit weg.

Spaniens Sonne lockte schon immer Menschen aus dem kühlen Norden. Knapp 12.000 Zuzüge von Deutschen registrierte das Statistische Bundesamt 1980. Heute sind es mehr als 16.000 pro Jahr, die einen Wohnsitz in Spanien anmelden, Tendenz steigend.

Deutschland muss ein furchtbares Land sein - glaubt man TV-Serien wie "Mein neues Leben" (Kabel 1) oder "Goodbye Deutschland" (Vox), die zur besten Sendezeit Menschen vorführen, die für immer Abschied nehmen wollen. 155.390 Deutsche verließen 2006 das Land - ein Rekord seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Weder Makler noch Fotogeschäft

Nicht alle haben so viel Glück wie Thomas Müller, der "zur richtigen Zeit am richtigen Ort" seine neue Existenz startete. 1980 gab es auf La Gomera weder Immobilienmakler noch ein Fotogeschäft.

Müller, der bereits in Deutschland mit Diavorträgen über seine Reisen Geld verdiente, entscheidet sich für Letzteres, mietet einen Laden im Valle Gran Rey, Treffpunkt der überwiegend deutschen Rucksackreisenden.

Seine auf Postkarten gedruckte Bilder füllen eine Marktlücke. Müller vermarktet die Schönheit der subtropischen Insel millionenfach. Vor allem Touristen kaufen seine Karten von der "Aussteigerinsel".

Müller kann expandieren, kauft günstig ein heruntergekommenes Anwesen, das er mit geborgtem Geld zu einer Apartmentanlage umbaut. Während in der legendären Schweinebucht im Valle Gran Rey Späthippies den Sonnenuntergang betrommeln, baut der schlaksige Blondschopf aus Hessen ein kleines Imperium auf.

"Alles Müller, oder was", spottete das deutschsprachige Gomera-Magazin Der Valle Bote. Anfang 2000 ist der Fotograf der erfolgreichste deutsche Auswanderer auf La Gomera.

Die Ruine in der einsamen Bucht

Auf dem Höhepunkt seines geschäftlichen Ruhmes erinnerte sich Müller an die Ruine in der einsamen Bucht von Vallehermoso. Die hatte er schon 1980 einem Bananenbauern abgekauft - für umgerechnet 3000 Euro.

Burgherr ohne ZuschüsseSo richtig anzufangen wusste "El Fotógrafó", wie ihn die Einheimischen nennen, zunächst nichts mit dem Gemäuer. Ein Erdrutsch hatte die einzige Zufahrtstraße zugeschüttet, der Zahn der Zeit nagte an dem Gebäude.

Doch dann flossen aus EU-Kassen plötzlich Millionen auf die abseits gelegene Insel - mit fragwürdigem Ergebnis. Ein mondäner Flughafen wurde ins Vulkangebirge gesprengt, leider mit einer kurzer Landebahn. Kein Charterjet fliegt den Platz bis heute an.

Gigantischer Fährhafen

Im Valle Gran Rey entstand ein gigantischer Fährhafen. Das Terminal ist immer noch nicht Betrieb - irgendwo sollen einige der EU-Millionen versunken sein.

Besonders viel Geld investierte die Inselregierung in den Straßenbau. Davon profitiert schließlich auch Müller, wenn auch nur mittelbar: Der Zugang zur ehemaligen Verladestation wurde frei geräumt. 2001 startet der Unternehmer die Sanierung des denkmalwürdigen Gebäudes - ohne einen Cent Zuschuss aus öffentlichen Mitteln.

Immerhin erhält Müller "freundliches Schulterklopfen" und lobende Worte von den Behörden. Allerdings nur eine Nutzungsberechtigung für 30 Jahre. Dann soll die Immobilie im sensiblen Küstenbereich Eigentum der Insel werden.

Erfahrener Baufachwerker

Müller beauftragt eine einheimische Baufirma mit den Betonarbeiten, holte sich bald aus Polen einen erfahrenen Baufachwerker. Der arbeitet zuverlässiger als die Baufirma in der Nachbargemeinde. Die Kosten summieren sich bereits auf mehr als eine Million Euro.

Müller steckt schließlich seine gesamten Ersparnisse in das aufwendige Projekt, investiert zusätzlich eine Erbschaft, beleiht einen Großteil seiner Immobilien.

Sommer 2003 ist es soweit: Der frisch-gebackene Burgherr lädt Inselbevölkerung und Touristen zur Eröffnung. Bis 80 Veranstaltungen organisiert Müller seitdem mit seiner zehnköpfigen Crew pro Jahr. Darunter Vollmondpartys und Kunstgewerbemärkte.

Umsätze einer Strandbude

Doch die Erlöse decken längst nicht die immensen Kosten. "Wir betreiben ein Kulturzentrum und haben abends die Umsätze einer Strandbude in der Kasse", rechnet ihm eine Mitarbeiterin vor.

Müller muss den Strom teuer mit einem Dieselgenerator erzeugen. Bis heute verweigert der Energieversorger den Anschluss ans Stromnetz. Die Folge: Stromausfälle besonders bei vielen Abendveranstaltungen.

Vergangenes Jahr wollte Müller alles hinwerfen. Missgünstige einheimische Gastronomen hatten ihn angezeigt. Der Vorwurf: Er betreibe Schwarzgastronomie in dem Gebäude. "Lächerlich", sagt er. "Selbst der Bürgermeister kommt schon mal zu einem Drink an die Theke." Müller hat noch nicht aufgegeben.

© SZ vom 16.02.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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