Die Frage ist doch: Wem gehört das ganze Zeug eigentlich? In der Ecke der Jetski, die drei großen Computer-Schränke mit dem einzelnen Server, der wie herausgefallen auf dem Boden liegt. Wem gehören die 15.000-Euro-Armbanduhr in dem Glaskasten, wem das große Kunstwerk, die Plastik eines Frauenkopfs? Sieht alles aus, als wäre ein Teenager mit einer schwarzen American Express einkaufen gewesen.
Wien, Museum moderner Kunst, Untergeschoss. Hier hat der Künstler Simon Denny, 31, 110 Objekte aufgestellt. Alles Dinge, die die neuseeländische Polizei in Kooperation mit dem amerikanischen FBI beim Internetunternehmer Kim Dotcom auf seinem Anwesen in Neuseeland beschlagnahmt hat. Wobei, so ganz stimmt das nicht. Dotcom ließ zwar ausrichten, die Idee von Denny sei cooler Scheiß, aber die echten Objekte hat er für die Ausstellung nicht herausgerückt.
Viele liegen wohl auch nach wie vor bei der Polizei. Deshalb musste Denny auf Originale verzichten. Deshalb, und weil für die Ausstellung nur ein Budget von 40 000 Euro zur Verfügung stand, eine Summe für die der echte Dotcom sich wohl kaum von einem seiner handgefertigten Betten bequemen würde (Marke Hästens, bis zu 50 000 Euro, in Wien ebenfalls zu sehen).
Ungeklärte Besitzverhältnisse - aus Sicht des Besuchers
Die Besitzverhältnisse der Ausstellungsobjekte sind also aus der Sicht des Ausstellungsbesuchers ungeklärt. Und genau da wird es interessant. Man kann mit Denny durch den Raum schlendern, und er erklärt dann, dass zum Beispiel der große Frauenkopf vom Künstler Christian Colin zur Verfügung gestellt wurde, von dem wiederum Dotcom eine sehr ähnliches Plastik besitzt, eine Variante also, aber ein Original.
Man erfährt dann auch, dass die lebensgroße Predator-Statue von einem Filmverrückten aus Kiel stammt, ebenfalls ein Original also, aber höchstens das gleiche, das Kim Dotcom besitzt, keinesfalls aber dasselbe. Trotzdem passt die Figur irgendwie in die Ausstellung, weil Kim Dotcom, der früher mal Schmitz hieß und ein sehr mittelmäßiger Hacker in Deutschland war, bevor er ein sehr großer Internet-Star in Neuseeland wurde, ebenfalls aus Kiel kommt.
Das kleine Modellauto auf dem Boden, eine geländegängige M-Klasse von Mercedes-Benz, wiederum symbolisiert gleich zehn reale Benz', ein paar Autoreifen stehen für die BMW Minis aus Dotcoms Fuhrpark, in dem auch ein Lamborghini, ein Rolls-Royce und ein Maserati bereit standen, jedenfalls bis die Polizei die ganzen Mega-Karren beschlagnahmte. Das Modellauto ist also nur ein sehr hilfloser Versuch, das Millionärsleben abzubilden. Und die 175 Millionen US-Dollar, die die Polizei bei Dotcom mitnahm, liegen in Wien zwar auf Europaletten gestapelt. Aber nur die oberste Schicht sind tatsächlich 100 Dollar-Scheine. Darunter wartet das Altpapier.
So wird schnell klar, was Dennys Ausstellung wirklich zeigt: Varianten, Versionen, Kopien, Substitute aller Art. Das funktioniert nicht, wenn man eine Show über die Person Kim Dotcom erwartet. Der setzt immer auf Masse, von allem viel, immer Vollgas. Die Ausstellung aber ist eine zu stark komprimierte Version von Dotcoms Leben, komprimiert wie ein raubkopierter Film, dessen Bilder verschwommen und dessen Untertitel mangelhaft sind.
Kim Dotcom hat aber der Welt ein paar Fragen gestellt, wahrscheinlich ohne es zu wollen. Und genau die werden in der Wiener Ausstellung behandelt. Dotcom stellte die Fragen, indem er mit seinem jetzt geschlossenen Unternehmen Megaupload die Möglichkeit schuf, im Netz weltweit unkompliziert und sehr schnell auch große Dateien zwischen verschiedenen Menschen auszutauschen.
Was ist ein Original? Was ist Besitz?
Auf den Servern von Megavideo befand sich ein Großteil der Kultur im Netz: Filme, Videos, Musik, Texte aus allen Zeiten, aus allen Sparten, aus allen Teilen der Welt waren dort gespeichert. Sehr oft verletzten die Nutzer von Megavideo Rechte, vielfach verwendeten sie den Dienst, um zum Beispiel Hollywood-Filme gratis im Netz zu verteilen. Die waren dann oft zu stark komprimiert und mit mangelhaften Untertiteln versehen.
Die Fragen, die Dotcom so aufgeworfen hat, sind dieselben, die Simon Denny jetzt im Wiener Museumsquartier stellt: Was ist ein Original? Was ist Besitz? Kann ein Kopie bedeutender sein als das Original? Kann ein Original noch bedeutend sein, wenn es nicht kopiert wird? Längst gibt es Statements von Schauspielern und Produzenten, die die Wertschätzung des Publikums auch an der Anzahl der Raubkopien ihrer Werke erkennen. Das sind die großen urheberrechtlichen Fragen des 21. Jahrhunderts, sie stellen sich Unternehmern, Ökonomen, Politikern, Künstlern und Konsumenten. Die Antwort, die die Exekutive formulierte, war eine Hausdurchsuchung in Kim Dotcom gigantischer Villa, mit schwer bewaffneten Polizisten und Hubschraubern. Es war, so viel ist heute klar, die falsche Antwort, und zwar für alle Beteiligten.
Neuseelands Premier musste sich öffentlich entschuldigen, ein Verfahren gegen Dotcom ist noch immer nicht eröffnet. Im Netz feixt dagegen seine wachsende Anhängerschaft mit gewissem Recht darüber, dass ihm, der mit dem unrechtmäßigem Besitz seiner Nutzer Geld gemacht haben soll, unrechtmäßig Besitz von der Polizei entwendet worden sein könnte. Dass diese Wendung nicht frei von Ironie ist, dämmert auch Denny.
Karriere auf Dotcoms Rücken
Doch Antworten auf die Fragen, die seine Ausstellung stellt, hat der Künstler nicht gesucht. Im Grunde habe er wenig Ahnung von alldem, sagt er selbst, zwischen dem Jetski und der Predator-Statue. Er ist nur auf ein Thema aufgesprungen, das in seiner Heimat, aber auch weltweit viel Aufmerksamkeit erfährt. Denny macht Karriere auf Dotcoms Rücken und dieser Rücken ist bekanntlich breit. Was sagte der Künstler, der Neuseeländer ist und in Deutschland lebt, gleich über Kim Dotcom, den Deutschen, der in Neuseeland lebt? "Er ist vor allem ein guter Geschichtenerzähler." Könnte sein, dass das für beide gilt.
Dotcoms neue Firma Mega, übrigens, floriert längst, mit dem alten Geschäftsmodell. Der Exil-Deutsche stilisiert sich selbst vor allem auf Twitter geschickt zum zweiten Edward Snowden. Nebenbei tut er alles, um Teil der Popkultur zu werden, die er liebt. Ein fanatischer Videospieler als Videospielheld, ein Fan von Hollywood-Filmen und Feind der Hollywood-Industrie in einem Hollywood-Film, das scheint das Ziel zu sein. In die Kunst ist sein Leben bereits eingangen. Ganz langsam verschwimmt die Grenze zwischen Original und Kopie, zwischen Realität und Fiktion, wie in den kleinen Luftspieglungen, die man in der brütenden Mittagshitze über geteerten Straßen beobachten kann, oft auch über den Boulevards von Hollywood.