Ausstehende Bußgeldzahlungen:Regierung attackiert Kartellsünder Thyssen-Krupp

Um Hunderte Millionen Euro haben Stahlproduzenten die Deutsche Bahn mit ihrem Schienenkartell geprellt. Erst zwei Jahre später hat der erste Konzern sein Bußgeld gezahlt. Nun greift CDU-Staatssekretär Odenwald Hauptsünder Thyssen-Krupp öffentlich an. Das ist ungewöhnlich - und zeigt, wie ernst der Bundesregierung die Sache ist.

Von Klaus Ott

Die Bahn wartet und wartet. Die Regierung wartet und wartet. Und noch immer ist der horrende Schaden nicht mal halbwegs beglichen. Vor zwei Jahren ist das so genannte Schienenkartell aufgeflogen, mit dem Stahlproduzenten die Deutsche Bahn um Hunderte Millionen Euro geprellt hatten. Hauptsünder: Thyssen-Krupp aus Essen. Vor knapp einem Jahr verhängte das Bundeskartellamt 124,5 Millionen Euro Bußgeld, davon allein 103 Millionen gegen den Essener Industriekonzern. Der aber mag bislang die überhöhten Preise für Gleise und Weichen nicht zurückzahlen. Jetzt reißt den Betrogenen in Berlin der Geduldsfaden. "Die Kartell-Mitglieder müssen zu ihren Verfehlungen stehen und die Schäden begleichen", verlangt Staatssekretär Michael Odenwald (CDU) aus dem Bundesverkehrsministerium.

Der Bund gibt seiner Bahn fast vier Milliarden Euro im Jahr für das Schienennetz. Die viel zu teuren Gleise, die das Kartell der Lieferanten nach Erkenntnissen der Ermittler mindestens ein Jahrzehnt lang berechnete, gingen letztlich also auch zu Lasten der deutschen Steuerzahler. Das Staatsunternehmen Deutsche Bahn (DB) will nun mit einer Klage beim Landgericht Frankfurt von Thyssen-Krupp und anderen Firmen insgesamt 850 Millionen Euro eintreiben, inklusive Zinsen.

Ein großer Teil davon würde an den Bund zurückfließen. Und der will laut Staatssekretär Odenwald diese Mittel gleich wieder in die Schiene investieren. "Wir könnten bundesweit fünf bis zehn Projekte anpacken oder beschleunigen, vom Ausbau von Strecken bis zur Modernisierung von Bahnhöfen. Das käme direkt den Fahrgästen zugute." Ein schneller Schadensersatz sei also auch im Interesse der Steuerzahler und Bahnfahrer, erklärt Odenwald.

Odenwald ist der Feuerwehrmann im Verkehrsministerium

Gezahlt hat bislang aber nur der österreichische Konzern Voestalpine, der das Kartell auffliegen ließ, zum Kronzeugen der Ermittler wurde, und vor einigen Wochen knapp 50 Millionen Euro an die Bahn überwies. "Voestalpine hat gezeigt, wie man schnell zu einer vernünftigen Lösung kommen kann", sagt Staatssekretär Odenwald.

Er fordert Thyssen-Krupp und die anderen Kartellsünder auf, diesem Beispiel zu folgen. Der Bußgeldbescheid des Kartellamtes sei schließlich "eindeutig". Odenwald ist eine Art Feuerwehrmann im Verkehrsministerium. Er greift ein, wo es brennt. Beim neuen Berliner Großflughafen, dessen Eröffnung sich um Jahre verschiebt. Beim Streit zwischen Bahn und Industrie um neue Züge, die nicht funktionieren. Und nun beim Schienenkartell.

Der Essener Konzern wehrt sich

Dass der Staatssekretär die Kartellsünder öffentlich attackiert, vor allem Thyssen-Krupp, ist ungewöhnlich. Das zeigt, wie ernst es der Bundesregierung ist. Odenwald verlangt, dass die Kartell-Mitglieder ernsthaft mit der Bahn über den fälligen Schadensersatz sprechen und "aufhören, auf Zeit zu spielen". Gerichtsverfahren, bei denen um jedes Detail gestritten wird, könnten fünf Jahre und länger dauern, befürchtet der Staatssekretär. Er verweist das Rolltreppen- und Aufzugskartell, das Thyssen-Krupp und andere Stahlfirmen gebildet hatten und das von der EU-Kommission bereits im vergangenen Jahrzehnt mit hohen Bußgeldern geahndet worden war. Der Essener Konzern musste 320 Millionen Euro Strafe an die EU zahlen.

Darüber hinaus ist seit Jahren in Berlin eine Schadensersatzklage der Bahn und zahlreicher Städte und Stadtwerke anhängig, die von Thyssen-Krupp für die überteuerten Rolltreppen und Fahrstühle Geld zurückverlangen. Der Essener Konzern wehrt sich mit langen Schriftsätzen seiner Anwälte; kaum etwas geht voran. Im Gegenteil. Thyssen-Krupp soll nach Angaben aus Regierungskreisen der Bahn sogar mitgeteilt haben, man werde bei Vergleichs-Verhandlungen nur dann Interna über Kartelle preisgeben, wenn die Bahn diese Unterlagen nicht weiterreiche. Nicht einmal an ihren Eigentümer, den Bund. Ohne solche Details über die verbotenen Preisabsprachen fällt es schwer, den konkreten Schaden auszurechnen.

Die Bundesregierung will laut Odenwald nicht hinnehmen, "von Informationen über die Kartellverstöße und deren Tragweite ausgeschlossen" zu werden. "Die Regierung muss wissen, was tatsächlich vorgefallen ist." Nur so könne man wie im Falle von Voestalpine beurteilen, ob Vergleiche sachgerecht seien. Sonst ginge das erneut "zu Lasten des ohnehin schon betrogenen Steuerzahlers", ärgert sich der Staatssekretär. Klingt alles sehr hart. So ist es auch gemeint.

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