Ausstand bei der Bahn:So viel streiken die Deutschen wirklich

GDL Launches One-Week Rail Strike

Der Streik und die Deutschen: Viele glauben, hierzulande werde besonders oft gestreikt.

(Foto: Getty Images)
  • Eine ganze Woche lang streiken die Lokführer der Gewerkschaft GDL, viele Deutsche haben das Gefühl: Hierzulande ist ständig irgendwo ein Ausstand.
  • Ist das nur eine gefühlte Wahrheit? Was sagen die Zahlen? Und wie lange kann die GDL den Streik eigentlich finanziell durchhalten?
  • Die Antworten lesen Sie im Überblick.

Fragen und Antworten von Alexander Hagelüken und Detlef Esslinger

Wird mehr gestreikt als früher?

In den vergangenen drei Jahren sind jeweils 400 000 bis etwa 600 000 Arbeitstage ausgefallen - ein Ergebnis, das sich aus der Anzahl der Streikenden und den Tagen des Streiks ergibt. Das war mehr als in den Jahren zuvor, als nach der Finanzkrise die Konjunktur schlecht lief und sich die Arbeitnehmer zurückhielten - aber weniger als etwa 2006 oder 2007, als parallel sowohl Metaller wie auch der öffentliche Dienst die Arbeit niederlegten.

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Früher war mehr Streik: Die verlorenen Arbeitstage in Deutschland.

(Foto: SZ)

Gefühlt wird auf jeden Fall mehr gestreikt als früher, weil öfter Dienstleister wie Lokführer, Flughafenpersonal oder Erzieher in den Ausstand gehen, was die Bürger anders als bei Fabrikarbeitern sofort zu spüren bekommen. "Die Anzahl der Streiks hat sich seit Anfang der Nullerjahre beinahe vervierfacht", sagt Heiner Dribbusch vom gewerkschaftsnahen WSI-Institut.

Das liegt zum Beispiel daran, dass immer mehr unterschiedliche Gewerkschaften für ihre Mitglieder mehr Geld herauszuhandeln versuchen. Früher waren fast alle Lokführer Beamte und fast alle Krankenhäuser staatlich organisiert, heute verhandeln für die Bahnbediensteten EVG sowie GDL und es gibt zahlreiche private Kliniken mit eigenen Tarifgesprächen. Früher gab es einen Tarifvertrag für die Bundespost, jetzt kommen Briefe und Werbesendungen von unterschiedlichen Firmen, die Post gliedert ihre Paketzusteller in mehrere regionale Gesellschaften aus. Immer mehr Firmen richten sich gar nicht mehr nach bundesweiten Tarifverträgen, so dass es wie bei Amazon zu individuellen Arbeitskämpfen kommen kann. Während Mitte der 90er Jahre noch für drei von vier Beschäftigten ein Tarifvertrag galt, sind es jetzt nur noch unter 60 Prozent.

Privatisierung, Ausgliederung und Tarifflucht, die den Unternehmen Kosten sparen soll, können so zu mehr Streiks führen. WSI-Forscher Dribbusch rechnet damit, dass dieses Jahr mehr Tage ausfallen als 2014.

Haben wir schon französische Verhältnisse?

Nein. In Frankreich fielen in der vergangenen Dekade im Schnitt neun Mal so viele Arbeitstage aus wie in Deutschland, in Dänemark acht Mal so viel und in Spanien vier Mal so viel. Nur in Ländern wie den USA, Polen oder Österreich wird weniger gestreikt. Das liegt daran, dass in Deutschland oft Betriebsräte einen Konflikt klären, der in anderen Ländern zum Ausstand führt. Außerdem sind in der Bundesrepublik politische Massenstreiks wie in Frankreich so nicht zulässig. Und es gibt eine lange Tradition des Konsenses zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, die ganz zentral Flächentarifverträge für die meisten Beschäftigten einer Branche vorsehen. Doch diese Tradition bröckelt, weil Konsens manchen Unternehmern zu teuer ist.

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In anderen Ländern wird deutlich mehr als in Deutschland gestreikt.

(Foto: SZ)
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