Süddeutsche Zeitung

Außenhandel:Warum die Exportbilanz Deutschland in Gefahr bringt

Deutschland ist wieder Export-Weltmeister. Das klingt gut, birgt aber Probleme - nicht nur wegen Donald Trump.

Kommentar von Nikolaus Piper

Noch nie hat die deutsche Wirtschaft so viele Waren exportiert wie im vergangenen Jahr, Wert: 1,2 Billionen Euro, noch nie war der Überschuss in der Handelsbilanz so hoch: 253 Milliarden Euro. In früheren Zeiten hätte Deutschland angesichts der neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes gejubelt. Wir wären wieder mal "Exportweltmeister".

Heute ist von Freude nicht viel zu spüren. Die Zahlen seien "Anlass zur Sorge, und kein Grund stolz zu sein", twitterte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Sorge ist vor allem politischer Natur, und sie ist berechtigt. Der neue US-Präsident hat überdeutlich gemacht, dass er die deutschen Überschüsse als unfair empfindet, weil ihnen Handelsdefizite anderswo, besonders in den USA, entsprechen. Niemand weiß, was Trump jetzt vorhat, wahrscheinlich er selbst auch nicht. Um so gefährlicher ist die Lage, nicht zuletzt, weil Deutschlands Exporte auch vielen Europäern ein Ärgernis sind. Im schlimmsten Fall käme es zu einem Handelskrieg mit den USA und die Bundesrepublik stünde alleine da.

Viele denken noch ganz simpel: Überschüsse sind gut, Defizite schlecht

Umso wichtiger ist es, bei dem Thema politische Propaganda und ökonomische Argumente auseinanderzuhalten. Die Sache mit der Handelsbilanz führt manche - nicht nur Donald Trumps Berater - in eine intellektuelle Sackgasse. Sie denken wie die Könige von Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert. Diese wollten ihren Goldschatz mehren und deshalb möglichst viel exportieren und möglichst wenig importieren. Spätestens seit der Französischen Revolution weiß man, dass das Rezept nicht nachhaltig ist. Trotzdem denken heute noch viele ganz simpel: Überschüsse sind gut, Defizite schlecht.

In Wirklichkeit handelt es sich dabei um bloße Salden unter einer Bilanz. Sie sind die Konsequenz aus Millionen von Einzelentscheidungen durch Verbraucher, Unternehmer und Anleger. In einem offenen Handelssystem müssen die Bilanzen nicht ausgeglichen sein, Defizite und Überschüsse können ohne Schaden jahrelang bestehen, vorausgesetzt, kein Land manipuliert seine Währung und die Defizite werden solide finanziert. Die USA haben seit den 1960er-Jahren ein strukturelles Defizit, was vor allem mit der besonderen Rolle des Dollars zu tun hat. Ebenso hatte Deutschland aus strukturellen und historischen Gründen meistens Überschüsse. Eine Ausnahme waren die 1990er-Jahre, als das Land die Wiedervereinigung zu bewältigen hatte. Zwischen Washington und Bonn/Berlin gab es deshalb immer wieder Ärger, aber noch nie von solcher Aggressivität wie heute.

Richtig bleibt, dass der Exportüberschuss Deutschlands heute auch im historischen und internationalen Vergleich extrem ist. Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass nicht nur die Exporte, sondern auch die Importe Deutschland einen Rekord beschert haben. Besonders Länder der EU haben mehr geliefert. Die Deutschen haben also bereits das getan, was von ihnen erwartet wird, und zur Erholung Europas beigetragen. Zudem steht jedem Handelsüberschuss zwingend ein Kapitalexport in gleicher Höhe gegenüber: Deutsche Firmen bauen Fabriken in Osteuropa, Spanien oder Mexiko und schaffen dort Arbeitsplätze, die sonst vielleicht in Deutschland entstanden wären.

Auch in Deutschland steigen die Staatsausgaben kräftig

Was tun? Es gibt eine, auch für den Wahlkampf relevante Argumentationslinie, die geht ungefähr so: Nach Jahren einer zurückhaltenden Lohnpolitik werden jetzt in Deutschland "Dumpinglöhne" gezahlt, die den Handelsüberschuss in die Höhe treiben und anderswo Arbeitsplätze "absaugen". Zudem spare Wolfgang Schäuble mit seiner "schwarzen Null" Deutschland und Europa kaputt. Die Lösung: höhere Löhne, höhere Ausgaben, höhere Schulden.

Es ist ein gefährliches Rezept, auch wenn es Anhänger bis hinein in den Internationalen Währungsfonds hat. Der Vorwurf mit den Dumpinglöhnen ist absurd. In Amerikas Industrie liegen die Lohnstückkosten um ein Viertel niedriger als in Deutschland. Zudem steigen die deutsche Löhne inzwischen wieder kräftig, und es gibt keinen Grund dafür, mehr zu tun und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu gefährden.

Auch Schäuble gibt ja viel mehr aus, als es das Klischee will, vor allem wegen der Flüchtlinge steigen die Staatsausgaben kräftig. Es bleiben zwei Probleme: Erstens sind die Investitionen in Deutschland, staatliche wie private, viel zu niedrig, ein schon lange bestehendes Defizit. Zweitens ist der Euro für die Belange der deutschen Wirtschaft viel zu billig. Das erste Problem bedarf einer langfristigen Strategie, das zweite kann nur Mario Draghi lösen. Selbst wenn die Bundesregierung dem Druck aus Washington nachgeben würde, könnte sie kurzfristig nichts bewirken.

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SZ vom 10.02.2017/mahu
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