Welthandel:Zölle runter statt Zölle rauf!

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Brauchen klare Handelsregeln: Container im Hamburger Hafen. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Die Vergeltungszölle der EU sind lächerlich und dürften Donald Trump kaum beeindrucken. Lieber sollte die EU einseitig die Zölle gegenüber allen Handelspartnern senken - zum eigenen Nutzen und zum Wohl des Welthandels.

Gastbeitrag von Rolf J. Langhammer

Die EU nimmt den von Donald Trump hingeworfenen Fehdehandschuh der Strafzölle auf Stahl und Aluminium auf. Sie wird mit Gegenzöllen auf ausgewählte Produkte in vergleichbarem Umfang Vergeltung üben. Die Produkte kommen aus den US-Bundesstaaten, in denen vor allem Wähler von Donald Trump beheimatet sind. Das deutet auf den politisch erwünschten Zweck hin: Die Wähler sollen zu spüren bekommen, dass Trumps Politik ihnen schadet.

Befürworter dieser Maßnahme behaupten nicht, dass sie ökonomisch sinnvoll sei. Im Gegenteil, sie wissen, dass die Vergeltung eher lächerlich wirkt und Trump kaum beeindrucken dürfte. Zudem sind sich die EU-Vertreter nicht sicher, dass sie in einer Streitschlichtung bei der Welthandelsorganisation WTO obsiegen werden. Denn Artikel 21 des für Güter zuständigen Abkommens Gatt lässt sicherheitspolitische Begründungen für Schutzmaßnahmen grundsätzlich zu, wie sie Trump für die USA geltend macht. Es ist sehr zweifelhaft, ob eine Schlichtungsinstanz der WTO wird beurteilen wollen, was der Sicherheit eines Mitgliedslandes dient und was nicht. Sicher aber ist, dass die USA der WTO das Recht auf eine Entscheidung über amerikanische Sicherheitsinteressen absprechen werden.

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Gerechtfertigt wird die Vergeltung damit, dass sie der Verteidigung der multilateralen regelbasierten Handelsordnung dienen soll. Das ist aus drei Gründen nicht überzeugend. Erstens basiert die Ordnung auf dem Prinzip der Nichtdiskriminierung, also der Gleichbehandlung aller Mitglieder. Handelsvorteile, die einem Vertragspartner gewährt werden, müssen grundsätzlich immer allen Mitgliedern zugutekommen. Bilaterale Maßnahmen zwischen einzelnen Mitgliedern verletzen dieses Prinzip der Meistbegünstigung.

Die EU würde dem Ziel der Regelbindung in der Handelsordnung am meisten helfen, wenn sie dieses Prinzip auch im Streit mit den USA beachten würde. Dies schließt nicht nur aus, dass sich die EU-Mitglieder auseinanderdividieren lassen. Es schließt auch aus, dass die EU alleine für sich gegenüber Trump auf Ausnahmeregeln pocht. Genau das aber haben Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron in Washington getan, als sie bei Trump vorsprachen. Damit haben die beiden dem Prinzip der multilateralen Ordnung einen Bärendienst erwiesen. Wenn jeder für sich alleine handelt, verletzt dies die multilaterale Ordnung; es ist auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass man das Verhalten von Trump nicht einfach hinnehmen will. Nichts zu tun, wäre besser gewesen, als Falsches zu tun.

Zweitens stärkt man die Handelsordnung nicht durch negative Maßnahmen, also Zollerhöhungen, sondern nur durch positive wie Liberalisierung. Das war und ist der Kern der Welthandelsordnung, die in vielen Verhandlungsrunden den Warenverkehr zwischen den Staaten erleichtert hat. Dabei geht die WTO nach dem Grundsatz der Reziprozität vor: Kein Zugeständnis bei der politisch immer kritisch gesehenen Importliberalisierung ohne Zugeständnis bei den politisch immer erwünschten Erleichterungen für die eigenen Exporte, alles festzuhalten in Verträgen. Damit allerdings bei Donald Trump auf Gegenliebe zu hoffen, ist naiv. Er will keine Verhandlungen oder langwierige Verfahren zu Vereinbarungen, vor allem nicht gegenüber Partnern auf ökonomischer Augenhöhe wie der EU. Er will rasche Ergebnisse für die amerikanische Handelsbilanz, entweder durch Selbstbeschränkungen der EU bei den Exporten oder durch mehr Käufe amerikanischer Waren seitens der EU-Mitglieder. In einer Marktwirtschaft lässt sich das nicht außerhalb staatlicher Käufe - etwa von Rüstungsgütern - verordnen.

Es hilft nicht, wie das Kaninchen vor der Schlange auf die USA zu starren

Aber es gibt einen Weg für die EU, die multilaterale Ordnung zu fördern und ein positives Signal zu senden: Sie sollte einseitig die Zölle gegen alle Handelspartner unter das Niveau senken, das seit der Uruguay-Runde, die 1994 abgeschlossen wurde, vertraglich bindend ist. Auch den Befürwortern von Vergeltung muss klar sein, dass ein Importzoll wie eine Steuer auf Exporte wirkt. Auch sie müssen wissen, dass die ungleichen und damit verzerrenden Anreize für die Produktion im Binnen- und auf dem Auslandsmarkt durch Zollsenkung entschärft werden. Warum wird diese Möglichkeit von der EU verworfen, zumal sie von vielen WTO-Ländern bereits zu deren ökonomischem Nutzen angewandt wurde?

Brasilien beispielsweise hat einen Durchschnittszoll auf Industriegüter von knapp 32 Prozent. Seit der Uruguay-Runde senkte Brasilien seine tatsächlich erhobenen Zölle bis auf 14 Prozent. Die EU hingegen blieb mit ihren Zöllen auf dem Vertragsniveau. Die Senkung der Zölle würde der Wirtschaft in der EU nützen. Befürworter und Gegner von Vergeltung sind sich ja einig, dass die ein Vierteljahrhundert alten Zölle aus der Zeit gefallen sind. Warum muss etwas, das für die eigene Wirtschaft von Nutzen ist, davon abhängig gemacht werden, dass die andere Seite es auch tut?

Nichts könnte die EU gegenüber ihren Handelspartnern glaubwürdiger für eine Führungsrolle in der Verteidigung der multilateralen Handelsordnung qualifizieren als die einseitige Zollsenkung gegenüber allen Partnern. Damit könnte sie Allianzen mit gleichgesinnten Ländern schmieden, ohne wie das Kaninchen vor der Schlange immer auf die USA zu starren. Soll die EU das Feld hier China überlassen, das zum 1. Juli 2018 seine Zölle auf Autoimporte aus allen Partnerländern einseitig senkt?

Drittens können einseitige Liberalisierungsmaßnahmen durchaus die Vorstufe zu einer vertraglichen Einigung sein, an deren Ende vielleicht auch die USA die Vorteile multilateraler Vereinbarungen für sich wiederentdecken würden. Immerhin waren sie es, die die Regeln für den Güterhandel in der Nachkriegszeit schufen, verteidigten und für sich nutzten.

Es gibt zuhauf offene Zukunftsthemen von großer Bedeutung für die USA wie den digitalen Handel oder den Handel mit Dienstleistungen, die von Tochtergesellschaften im Ausland erbracht werden. All das braucht Regeln. Welche Vorteile multilaterale Vereinbarungen einem Land bieten, lässt sich eindrucksvoll am Beispiel Chinas zeigen: Fünfzehn Jahre lang, von 1986 bis 2001, sah sich Peking gezwungen, allen Forderungen der Handelspartner, seinen Markt einseitig zu öffnen, nachzukommen. Das änderte sich erst, als China 2001 in die WTO aufgenommen wurde. Die gleiche Erfahrung hat auch Mexiko gemacht, das 1986 dem Gatt beitrat - zum eigenen Nutzen und zum Wohl des Welthandels. Wer vergelten will, nur um den USA ein Stoppschild zu setzen, schädigt die Handelsordnung, die er verteidigen will.

Rolf J. Langhammer, 70, ist Spezialist für Handelsfragen. Er war bis 2012 Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.

© SZ vom 19.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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