Heißt Grundeinkommen letztlich nicht schlicht, dass sich die Wirtschaft jeder Verantwortung gegenüber den Erwerbsfähigen entledigt? Was ist mit denen, die sich nicht mit dem Grundeinkommen abfinden möchten, aber keine Arbeit finden, weil sie weniger qualifiziert, weniger produktiv, behindert oder älter sind? Rufen wir ihnen zu: Ihr gehört leider zum überschüssigen Arbeitsangebot, aber da ihr auf der Welt seid, lassen wir euch nicht verhungern. Ist das die humane Idee hinter dem Grundeinkommen? Meine Lebenserfahrung sagt mir, Arbeitslose leiden nicht darunter, wieder arbeiten zu müssen, sie leiden darunter, nicht arbeiten zu können. Woraus leiten sich Anerkennung und Status ab, wie bleibt man Vorbild für seine Kinder?
Was bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen für unser Bildungssystem, gilt auch hier schon das Versprechen eines anstrengungslosen Glücks? Braucht es noch eine Schulpflicht, werden Noten noch ernst genommen? Wer jemals eine Werkstatt für behinderte Menschen besucht, mit ihnen gesprochen und sie bei der Arbeit gesehen hat, weiß: Arbeit ist mehr als Mühe und Last. Wer arbeitet ist ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, wer arbeitet gehört dazu. Soll Erwerbsarbeit zu einem Privileg für wenige werden? Werden diejenigen, die früher nicht arbeiten mussten, zu denen, die arbeiten dürfen und die, die früher arbeiten mussten, zu denen, die nicht mehr arbeiten können?
Das bedingungslose Grundeinkommen mag sich paradiesisch für einige gegängelte Querdenker und Tagträumer anhören, für die überwiegende Mehrheit bleibt es eine Horrorvision. Wachstum und Strukturwandel in einer "freien" Marktwirtschaft führen nicht automatisch zu sozialem Zusammenhalt. Daher besteht ein Konsens für das Modell der sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung. Sie beinhaltet das Versprechen, Effizienz und Gerechtigkeit auszubalancieren.
Jeder hat einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung
Politik und Wirtschaft müssen auch denen Lebensperspektiven anbieten, die nur eingeschränkte Chancen auf Beschäftigung haben. Beteiligungsgerechtigkeit ist ein konstitutives Element unserer Wirtschaftsordnung und eine Frage der Menschenwürde. Jeder hat einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung. Jeder wird gebraucht. Kein Talent darf übersehen werden, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Um seiner Selbstachtung willen erhält jeder das Angebot, seine Fähigkeiten zu entfalten und seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu bestreiten.
Wer gute Arbeit für viele will, muss sich auch ethisch schwierigen Abwägungen stellen: Wer wird als "erwerbsfähig" definiert, welcher Mindestlohn ist marktgerecht, welche Einkommensspreizung sind wir bereit zu akzeptieren? Zugegeben eine anstrengendere Übung als die Alimentation scheinbar Unproduktiver. Wir leben in prosperierenden, aber unsicheren Zeiten. Viele Menschen suchen nach Orientierung. Der Wettlauf in die Vergangenheit und Utopien sind keine überzeugende Antworten. Es wäre wunderbar, wenn die Manager, die sich in Richtung Grundeinkommen verlaufen haben, zu ihrer Kernaufgabe zurückfänden, nämlich mit Kreativität und Tatkraft Dienstleistungs- und Produktionsprozesse so zu gestalten, dass im Sinne guter Arbeit möglichst viele mittun können. Menschen lediglich finanziell abzusichern mag auch ehrenhaft sein, aber es hat weder etwas mit sozialer Marktwirtschaft noch mit der Menschenwürde zu tun.
Heinrich Alt, 66, war von 2002 bis 2015 Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.