Arbeit:Das Grundeinkommen verstößt gegen die Menschenwürde

Bedingungsloses Grundeinkommen, Schweiz

Es regnet Franken: Unterstützer werben in der Schweiz für ein bedingungsloses Grundeinkommens.

(Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Für Querdenker und Tagträumer mag das Modell paradiesisch klingen. Doch das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Horrorvision.

Gastbeitrag von Heinrich Alt

Da soll noch einer behaupten, die Vorstände deutscher Unternehmen hätten keine Ideen mehr. Gab es jahrelang nur einen exotischen Protagonisten aus der Wirtschaft (den Gründer der Drogeriekette dm, Götz Werner), breitet sich die Idee gegenwärtig wie ein Virus aus, fast wäre man versucht, mit Karl Marx zu sagen, ein Gespenst geht um in Europa: das bedingungslose Grundeinkommen. Die Vorstände Käser (Siemens) und Höttges (Telekom) haben sich geoutet, wie viele folgen noch?

Hannah Arendt (1958) hat es schon geahnt, Ralf Dahrendorf (1982) war sich sicher: Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus. Hintergrund der Sorge waren Innovationsschübe, verbunden mit einem Strukturwandel und der Befürchtung, Millionen wegrationalisierter Arbeitsplätze seien nicht zu kompensieren. Arbeit 4.0 ist jetzt die Chiffre, um das Thema wieder auf die Bühne zu ziehen. Digitalisierung und Automation werden die Produktion zumindest von Waren automatisch erledigen, die menschliche Arbeitskraft wird überflüssig. Wir entledigen uns der Sorge, Menschen sinnstiftend zu beschäftigen, wir schenken ihnen, wovon schon Aristoteles geschwärmt hat: die vita contemplativa.

Kein Streit mehr um "sozialverträglichen" Arbeitsplatzabbau, keine Tarifverhandlungen, keine Streiks mehr. Betriebsräte und Gleichstellungsbeauftragte werden nicht mehr gebraucht. Der Mensch arbeitet nur noch, wenn er Lust dazu hat. Seine Existenz, sein Überleben ist durch das Grundeinkommen gesichert. Keine asymmetrischen Arbeitsbeziehungen mehr. Der von Existenznöten befreite Bürger verhandelt auf Augenhöhe mit Arbeitgebern. Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld, Kurzarbeit - vieles, was in der Vergangenheit Betriebe und Unternehmen unnötig belastet hat, fällt endlich weg. Schöne neue Arbeitswelt. Werden bei dieser süffigen Idee vielleicht nicht ein paar Kleinigkeiten übersehen?

Noch ist die Produktivität der arbeitenden Bevölkerung Quelle aller Wertschöpfung, nicht der Roboter. So berechtigt die Befürchtungen bei allen Innovationsschüben waren, immer lag ein Wahrnehmungsdilemma zugrunde: Wir sehen, was wegfällt, wir erkennen aber kaum, was neues entsteht. Hannah Arendt ahnte nichts vom Silicon Valley und vom Handy, Dahrendorf kannte weder das Internet, noch Google oder Facebook. Wäre es nicht denkbar, dass Frau von der Leyen bald mehr Menschen für Cybersicherheit braucht als durch Industrie 4.0 ihren Job verlieren?

Das Allzeithoch der Erwerbstätigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, nicht nur gezählt in Köpfen, sondern auch in geleisteten Arbeitsstunden gemessen, widerspricht alle Prognosen einer Gesellschaft ohne Arbeit. Führen wir nicht auch eine Debatte mit umgekehrtem Vorzeichen? Der Wirtschaft fehlen Fachkräfte und die Demografie wird zur Gefahr. Wenn die Verfechter des Grundeinkommens ihre Idee ernst meinen, wären ein paar detailliertere Gedanken hilfreich, ohne auf die aberwitzigen Finanzierungsvorschläge einzugehen. Wie verhält es sich mit Rente und Krankenversicherung, wer zahlt Beiträge, wer nicht? Gibt es noch Unterhaltsverpflichtungen für eigene Kinder oder wird das eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft? Bekommen Mieter und Wohnungseigentümer den gleichen Betrag?

Woraus leiten sich Anerkennung und Status ab?

Heißt Grundeinkommen letztlich nicht schlicht, dass sich die Wirtschaft jeder Verantwortung gegenüber den Erwerbsfähigen entledigt? Was ist mit denen, die sich nicht mit dem Grundeinkommen abfinden möchten, aber keine Arbeit finden, weil sie weniger qualifiziert, weniger produktiv, behindert oder älter sind? Rufen wir ihnen zu: Ihr gehört leider zum überschüssigen Arbeitsangebot, aber da ihr auf der Welt seid, lassen wir euch nicht verhungern. Ist das die humane Idee hinter dem Grundeinkommen? Meine Lebenserfahrung sagt mir, Arbeitslose leiden nicht darunter, wieder arbeiten zu müssen, sie leiden darunter, nicht arbeiten zu können. Woraus leiten sich Anerkennung und Status ab, wie bleibt man Vorbild für seine Kinder?

Was bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen für unser Bildungssystem, gilt auch hier schon das Versprechen eines anstrengungslosen Glücks? Braucht es noch eine Schulpflicht, werden Noten noch ernst genommen? Wer jemals eine Werkstatt für behinderte Menschen besucht, mit ihnen gesprochen und sie bei der Arbeit gesehen hat, weiß: Arbeit ist mehr als Mühe und Last. Wer arbeitet ist ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, wer arbeitet gehört dazu. Soll Erwerbsarbeit zu einem Privileg für wenige werden? Werden diejenigen, die früher nicht arbeiten mussten, zu denen, die arbeiten dürfen und die, die früher arbeiten mussten, zu denen, die nicht mehr arbeiten können?

Das bedingungslose Grundeinkommen mag sich paradiesisch für einige gegängelte Querdenker und Tagträumer anhören, für die überwiegende Mehrheit bleibt es eine Horrorvision. Wachstum und Strukturwandel in einer "freien" Marktwirtschaft führen nicht automatisch zu sozialem Zusammenhalt. Daher besteht ein Konsens für das Modell der sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung. Sie beinhaltet das Versprechen, Effizienz und Gerechtigkeit auszubalancieren.

Jeder hat einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung

Politik und Wirtschaft müssen auch denen Lebensperspektiven anbieten, die nur eingeschränkte Chancen auf Beschäftigung haben. Beteiligungsgerechtigkeit ist ein konstitutives Element unserer Wirtschaftsordnung und eine Frage der Menschenwürde. Jeder hat einen Anspruch auf wirtschaftliche Beteiligung. Jeder wird gebraucht. Kein Talent darf übersehen werden, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Um seiner Selbstachtung willen erhält jeder das Angebot, seine Fähigkeiten zu entfalten und seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu bestreiten.

Wer gute Arbeit für viele will, muss sich auch ethisch schwierigen Abwägungen stellen: Wer wird als "erwerbsfähig" definiert, welcher Mindestlohn ist marktgerecht, welche Einkommensspreizung sind wir bereit zu akzeptieren? Zugegeben eine anstrengendere Übung als die Alimentation scheinbar Unproduktiver. Wir leben in prosperierenden, aber unsicheren Zeiten. Viele Menschen suchen nach Orientierung. Der Wettlauf in die Vergangenheit und Utopien sind keine überzeugende Antworten. Es wäre wunderbar, wenn die Manager, die sich in Richtung Grundeinkommen verlaufen haben, zu ihrer Kernaufgabe zurückfänden, nämlich mit Kreativität und Tatkraft Dienstleistungs- und Produktionsprozesse so zu gestalten, dass im Sinne guter Arbeit möglichst viele mittun können. Menschen lediglich finanziell abzusichern mag auch ehrenhaft sein, aber es hat weder etwas mit sozialer Marktwirtschaft noch mit der Menschenwürde zu tun.

Heinrich Alt, 66, war von 2002 bis 2015 Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.

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