Außenansicht:Ein Grundeinkommen kann die Gesellschaft wieder vereinen

Lesezeit: 4 min

Bettler in M¸nchen, 2014

Im Zuge der Globalisierung haben sich Einkommensscheren nicht geschlossen, sondern weiter geöffnet.

(Foto: SZ Photo)

Niemand behauptet, dass das bedingungslose Grundeinkommen ohne Risiko sei. Aber es ist eine Chance, die Verteilung von Wohlstand neu zu sortieren.

Gastbeitrag von Thomas Straubhaar

Geld für jeden. Vom Staat. Ohne Gegenleistung. Einfach so. An alle. Das kann doch nicht gutgehen? Doch, es kann. Die Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens muss Realität werden - lieber früher als zu spät. Die westlichen Demokratien sind aus dem Gleichgewicht geraten. Vor aller Augen geht gerade das Zeitalter der Globalisierung zu Ende. Ein aufflammender Neo-Nationalismus treibt die Briten aus der Europäischen Union und bringt in den Vereinigten Staaten Donald Trump ins Weiße Haus. Abschottung statt offener Märkte, Nationalismus statt Internationalisierung prägen den Zeitgeist.

Die Globalisierung war der stärkste Wachstumsmotor der Menschheitsgeschichte. Aber sie hat Verteilungsfragen unbeantwortet gelassen. Sie sorgte dafür, dass es noch nie so vielen Menschen so gut geht wie heute. Aber sie hat eben auch zu einer Polarisierung geführt. Entgegen der ökonomischen Theorie ist nicht Konvergenz, sondern Divergenz das Ergebnis der Wohlstandsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Einkommensscheren haben sich nicht geschlossen, sie haben sich im Gegenteil weiter geöffnet, vor allem auch, weil nicht alle gleichermaßen von höheren Kapitaleinkommen aus der Wertsteigerung und aus Vermögenserträgen von Aktien, Immobilien, Unternehmensgewinnen oder Monopolrenten profitieren konnten.

Nicht alle profitieren von der Globalisierung gleichermaßen

Im Zuge der Globalisierung hat man Verteilungsfragen verdrängt, weil erwartet wurde, dass die Flut des Fortschritts alle Boote anheben würde und die Globalisierung so allen zugute käme. Zwar wurde dieses neoliberale Versprechen weitgehend eingelöst. Heutige Generationen leben länger und gesünder als ihre Vorfahren. Das gilt nicht nur für Deutschland oder Europa, sondern nahezu weltweit. Und dort, wo es heute schlechter geht als früher, wie in einigen Ländern Afrikas oder in Nordkorea, ist oft gerade die fehlende Öffnung die Ursache von Diktatur und politischer Gewalt, die Armut und Elend verstärken.

Aber: Von den Vorteilen der Globalisierung haben nicht alle gleichermaßen profitiert. Dabei ist es unwichtig, ob die Gewinne von Arbeitsteilung und globalem Wettbewerb tatsächlich ungleich verteilt wurden, oder ob es sich lediglich um eine allgemeine postfaktische Stimmung handelt, so wie es gerade für weite Teile der Bevölkerung in den USA und Großbritannien, und hier ganz besonders außerhalb der großen Metropolen der Fall ist. Eine neue Analyse der Bertelsmann-Stiftung verdeutlicht, "dass es Globalisierungsangst ist, die die europäischen Wähler weg von den Parteien der Mitte hin zu den Rändern treibt".

Verteilungsfragen verdienen mehr Aufmerksamkeit

Wer hierzulande eine Spaltung der Gesellschaft verhindern will, muss zwangsläufig bei den Ursachen der Polarisierung ansetzen. Verteilungsfragen gehören ganz oben auf die Tagesordnung. Wenn es den großen Parteien nicht gelingt, eine überzeugende Verteilungspolitik gegen die Polarisierung anzubieten, werden es die (noch) kleine(re)n Außenparteien zur Rechten und zur Linken (zu) einfach haben, mit populistischer Propaganda die lauten Proteste von Unzufriedenen und Benachteiligten zu bündeln und mit einer Allianz der extremen politischen Gegensätze an die Macht zu kommen. "Vor allem die rechtspopulistischen Parteien ziehen massiv Menschen an, die Globalisierung als Bedrohung empfinden", so das Fazit der Bertelsmann-Studie.

Ein bisschen Steuersenkungen hier und etwas mehr Staatsausgaben dort werden den Volksparteien nicht genügen, das Wohlwollen, die Akzeptanz und das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Bei einer Zeitenwende liefert die kleinteilige Reparatur einer gesellschaftlichen Schieflage nicht nachhaltig Stabilität. Vor allem die Digitalisierung wird als genuine Nachfolgerin der Globalisierung die Polarisierung der Gesellschaft weiter vorantreiben. Die Entdinglichung der Produktion, die Verlagerung der Wertschöpfung aus Fabriken in den raumlosen Orbit virtueller Netzwerke und der Ersatz menschlicher Arbeit durch selbstregulierte mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Automaten werden den Strukturwandel weiter beschleunigen.

Wer mithalten kann, profitiert, die anderen werden zurückbleiben. Führende Köpfe der Digitalisierungsindustrie wie Joe Kaeser (Siemens) oder Timotheus Höttges (Deutsche Telekom) erkennen das Polarisierungspotenzial der Digitalisierung. Deshalb plädieren sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema