Energiewende:Atomausstieg: Die Rechnung, bitte

Energiekonzerne haben mit der Atomkraft Milliarden verdient. Jetzt sollen die Bürger für die Aufräumarbeit zahlen.

Gastbeitrag von Claudia Kemfert

Oft stellt sich die Frage "Wer zahlt?" erst, wenn die Party vorbei ist. Auf der Rechnung stehen noch zwei offene Posten: die Kosten der Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle sowie der Rückbau der abgeschalteten Atomkraftwerke. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs hat nunmehr einen lang erwarteten Entwurf vorgelegt. Wohlgemerkt, einen Entwurf. Es lohnt, genauer hinzuschauen.

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Claudia Kemfert, 47, ist Professorin für Energieökonomie und Leiterin der Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Zur Erinnerung: Die Notwendigkeit, eine Kommission mit dieser Frage zu beauftragen, entspringt der berechtigten Sorge, dass die Atomkraftwerksbetreiber die Kosten des Rückbaus und der Endlagerung des Atommülls nicht mehr selbst stemmen wollen oder können. Denn die großen Energieunternehmen, insbesondere RWE, Eon, EnBW und Vattenfall, haben die Chancen und Auswirkungen der Energiewende in der Vergangenheit falsch eingeschätzt. Aufgrund solcher strategischer Fehler haben sie deutlich an Wert verloren. Es gibt also guten Grund, sich abzusichern. Denn im Falle eines Misserfolgs trägt die Gesellschaft die finanziellen Risiken des Atomrückbaus. Insofern ist die Politik gut beraten, die von den Konzernen dafür vorgesehen Gelder - die Rede ist von Rückstellungen in Höhe von 38 Milliarden Euro - rechtzeitig sicherzustellen.

Das genau soll nun nach dem Vorschlag der Kommission ein öffentlich-rechtlicher Fonds leisten. Er soll den einen Kostenblock, die Lagerung des Atommülls, finanziell abdecken. In diesen Fonds zahlen, so der Plan, die Atomkraftwerksbetreiber einen Teil ihrer Rückstellungen, genannt wurden 18 Milliarden Euro. So weit, so gut.

Die Empfehlungen der Kommission gehen jedoch nicht weit genug. Schon ob der angemessenen Höhe der Einzahlungen sind Zweifel berechtigt: Kommission und Energiekonzerne haben über die genaue Summe noch keine Einigung erzielt. Aber die Kosten der Endlagerung des Atommülls dürften aller Wahrscheinlichkeit nach weitaus höher sein als die derzeit diskutierten 18 Milliarden Euro. Die finanziellen Rest-Risiken für den Steuerzahler bleiben damit hoch.

Dazu ist in den Wert des Fonds ein zukünftiger Zinsgewinn einkalkuliert. Um entsprechende Erträge zu erzielen, müssen die Fondsgelder also klug bewirtschaftet werden. Doch selbst der kleine Sparer weiß, wie schwer derlei bei voraussichtlich anhaltend niedrigen Zinsen ist. Je höher der Zinssatz heute angenommen wird, desto größer wird das Risiko der Unterfinanzierung. Abhilfe könnte die Verpflichtung zur Nachhaftung bringen. Doch genau solche Nachhaftung scheinen die Energiekonzerne derzeit rigoros abzulehnen. Sie scheuen das damit verbundene Risiko und bürden es lieber der Gesellschaft auf. Ihr wiederkehrendes Argument ist, dass sie ohnehin hohe Kosten begleichen würden; wobei sie ihre hohen Gewinne aus der Vergangenheit in diesem Zusammenhang ungern erwähnen.

Mit ihren Klagen wollen die früheren AKW-Betreiber den Staat offenbar erpressen

Als Drohkulisse laufen im Hintergrund der Verhandlung zwei juristische Verfahren gegen den Staat: Beim Moratorium, das nach dem Atomunfall von Fukushima zur Abschaltung vieler Atomkraftwerke in Deutschland führte, sehen sich die Stromkonzerne unrechtmäßig behandelt. Außerdem klagen sie gegen die Brennelementesteuer, die im Jahre 2010 im Gegenzug zur Laufzeitverlängerung einzelner Atomkraftwerke beschlossen wurde. Dass die Stromkonzerne eine gemeinsame Lösung der Fondsfrage vom Ausgang dieser noch laufenden Schadenersatz-Verfahren abhängig machen wollen, klingt nach simpler Erpressung. Denn das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Doch die Endlagerkosten standen schon immer auf der Agenda der Atomkonzerne - und zwar mit immer demselben Verfallsdatum. Dass Radioaktivität länger strahlt als die Quartalsberichte der Unternehmen, musste selbst dem kurzsichtigsten Manager klar sein. Mit dem begrenzten Fondsbeitrag wollen sich die Konzerne aus der langfristigen Verantwortung stehlen.

Den zweiten großen Kostenpunkt, die Stilllegung und den Rückbau der Atomkraftwerke, möchte die Kommission unverändert in der Verantwortung der Energiekonzerne lassen. Es gelte das Verursacherprinzip. Dem widerspricht die Atomlobby auch gar nicht, betrachtet aber nicht sich selbst, sondern den Staat als Verursacher: "Wer die Musik bestellt hat, muss sie auch bezahlen", lautet ihr Mantra. Sie weisen gern darauf hin, dass die Stromunternehmen zu Beginn mit großen finanziellen Unterstützungen "überzeugt" werden mussten, überhaupt Atomkraftwerke zu bauen. Von ihrer zwischenzeitlich großen Begeisterung wollen sie heute nichts mehr wissen.

Dabei ist allgemein unstrittig, dass nach dem Verursacherprinzip die Konzerne für die verbleibenden Kosten verantwortlich sind, schließlich haben sie über Jahrzehnte üppige finanzielle Vorteile erhalten und Gewinne erzielt. Diese Grundüberzeugung liegt auch der Fondslösung zugrunde. Dass die Kommission den Kostenblock Rückbau aus dem Fonds ausklammert, kann also nichts damit zu tun haben. Es bleibt damit unklar, warum sie mit ihrem Entwurf nicht nur von der ursprünglichen Planung abweicht, sondern auch von der in vielen anderen Ländern üblichen Praxis. Üblicherweise dient der Fonds dazu, die finanziellen Risiken für die Gesellschaft zu vermindern. Warum sollte das nur für die Lagerkosten, nicht aber für den Rückbau gelten?

Eine Antwort auf diese Frage bleibt die Kommission bislang schuldig. Doch die Bürger sollten sich nicht mit einer Teillösung zufriedengeben. Denn im Falle einer Insolvenz oder auch nur Umstrukturierung der Kraftwerksbetreiber steht der Staat vor dem finanziellen Restrisiko.

So richtig und überfällig die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds prinzipiell ist, so halbherzig ist der jetzige Vorschlag. Deutschland sollte dem Beispiel anderer Ländern folgen und den Fonds aufs Ganze ausrichten: nämlich zur Begleichung der Kosten sowohl der Endlagerung als auch des Rückbaus. Vernünftig und finanziell nachhaltig wäre es, wenn die Fondsgelder über einen fest vereinbarten Zeitraum jährlich eingezahlt würden und sich am Betrag der bereits gebildeten Rückstellungen orientierten. Der Zinssatz sollte dabei realistisch und vor allem nicht zu hoch gewählt werden; die Nachhaftung muss verpflichtend sein.

Bliebe es bei der von der Kommission vorgeschlagenen Lösung, würde die schlaue, aber dreiste Taktik der Konzerne aufgehen: Denn der Entwurf für einen Atomfonds ist ein guter Deal für die Atomunternehmen, aber ein schlechter für die Bürger.

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