Plötzlich herrscht große Aufregung im Tarifrecht. Die Kommentare überschlagen sich. Verbandsvertreter, Politiker, Gewerkschafter, jeder durfte sich in der vergangenen Woche verbal überbieten: ein mittleres Erdbeben, Chaos, Zustände wie in England, vernünftige Interessenvertretung künftig nahezu unmöglich!
Ein Betrieb, ein Tarifvertrag? Dieses Postulat hat das Bundesarbeitsgericht jetzt aufgehoben.
(Foto: dpa)Was war geschehen? Das Bundesarbeitsgericht will seine eigenwillige Rechtsprechung aufgeben, dass es keine voneinander abweichenden Tarifverträge in den Betrieben geben dürfe. Wenn ein Arbeitgeber oder dessen Verband mit zwei verschiedenen Gewerkschaften einen Tarifvertrag abschließe, könne nur einer von beiden maßgebend sein. Dieses Postulat war vor vielen Jahren von dem Gericht frei erfunden, aber nie konsequent exekutiert worden, weil seine Ergebnisse unsinnig und mit der Verfassung auch unvereinbar gewesen wären.
Als jetzt in einem konkreten Fall der Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht unvermeidbar schien, hat sich das Gericht besonnen und den Traum einer staatlich verordneten Tarifeinheit begraben. Das war zu erwarten.
Nun wird nach dem Gesetzgeber gerufen. Der soll die vermeintliche Gesetzeslücke schließen und die verlorene Tarifeinheit gesetzlich anordnen, allerdings in geänderter Form. Wo die Rechtsprechung bei kollidierenden Tarifverträgen nur den jeweils spezielleren gelten lassen wollte, soll künftig derjenige maßgebend sein, der durch eine stärkere Basis an Mitgliedern gestützt wird.
Klare Fronten und geordnete Abläufe
Die kleinere Gewerkschaft, deren Tarifvertrag nicht zur Geltung kommt, soll dann nicht einmal mit Forderungen und Pressionen Unruhe stiften dürfen, sondern stillhalten müssen, solange die stärkere Konkurrenzgewerkschaft an die aus ihrem Tarifvertrag resultierende Friedenspflicht gebunden und daher kampfunfähig ist.
Eine solche Regel mag zwar für DGB-Gewerkschaften etwas vorteilhafter als für kleine Berufsgewerkschaften sein, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Kritik aus verfassungsrechtlicher Sicht. Auch in dieser Variante wird einer legalen und tariffähigen Gewerkschaft ihr Verhandlungsergebnis aus der Hand geschlagen, ihre Mitglieder werden tarifrechtlich schutzlos gestellt. Wo bleibt die Vereinigungsfreiheit, die zu den Grundrechten gehört?
Kein Problem, meinen die Initiatoren der Gesetzesinitiative. Es gehe doch nur um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie, des Prinzips, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer autonom Arbeitsbedingungen und Bezahlung aushandeln. Dies nämlich sei auf klare Fronten und geordnete Abläufe angewiesen. Schon bei ganz normalen Tarifverhandlungen störten abweichende Konzepte einer Konkurrenzgewerkschaft. Vor allem aber müsse gewährleistet sein, dass ein Tarifvertrag Arbeitskämpfe aller Art für die Dauer der Laufzeit ausschließe.
Der Lokführerstreik und der Streik der Klinikärzte hätten das bewiesen. Da aber die Tarifautonomie vom Grundgesetz gewährleistet werde, könne eine Regelung, die nur deren Funktionsfähigkeit diene, keine Verletzung der Vereinigungsfreiheit sein. Mit anderen Worten: Die Vereinigungsfreiheit ist nur geschützt, soweit sie die Tarifautonomie nicht stört.