Ausschreitungen in Chemnitz:Manager, mischt euch ein!

Ausschreitungen in Chemnitz: Haben sich klar positioniert: Eon-Chef Johannes Teyssen, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf und Siemens-Chef Joe Kaeser.

Haben sich klar positioniert: Eon-Chef Johannes Teyssen, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf und Siemens-Chef Joe Kaeser.

(Foto: dpa)

Selten haben sich so viele Vorstandschefs so klar positioniert wie in den Chaostagen von Chemnitz. Das wurde allmählich auch Zeit - die Manager haben sich schon zu lange rausgehalten.

Kommentar von Thomas Fromm

In den Pressestellen der deutschen Industrie gab es lange diesen einen Standardsatz: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu politischen Themen nicht äußern können." Über alles konnte man mit den Managern reden, über Aktienstände, über Gewinnprognosen und, ja, gerne auch mal über die Konkurrenz. Aber um Gottes willen nicht über Politik.

Dabei war der homo oeconomicus ja nie per se unpolitisch - hinter der strikten Trennung von Amt und persönlicher Meinung steckte immer ein großes Unbehagen: die Angst, Umsatz und Marktanteile zu verlieren. Denn auch AfD-Wähler kaufen Autos, Sportschuhe und Tiefkühlpizzen, und als Auto-, Schuh- und Pizzaverkäufer verzichtet man ungern auf Kundschaft. Egal, ob die nun SPD wählt, AfD oder überhaupt nichts. Umsatz ist Umsatz. Hinter der politischen Zurückgenommenheit der Wirtschaft steckte also oft nicht nur die Sorge um die eigene Marke, sondern vor allem auch ein hohes Maß an Opportunismus.

Insofern sind die Chaostage von Chemnitz endlich der Wendepunkt. Selten haben sich so viele Menschen aus der Wirtschaft so klar positioniert. Eon-Chef Johannes Teyssen mahnte, die Vorfälle in Sachsen forderten "zum Handeln auf". Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, sprach von "unerträglichen" Nachrichten und Bildern. "Sie verzerren das Bild Deutschlands, sie schaden dem hohen Ansehen unseres Landes in der Welt", sagte er.

Jetzt, wo immer mehr auf dem Spiel steht, ist die Wirtschaft aufgewacht. Bilder von brüllenden Männern mit glattrasierten Schädeln, die wütend den Hitlergruß zeigen und Menschen jagen, die anders aussehen als sie selbst - das sind nicht die Bilder, mit denen Deutschlands Wirtschaft international auf Werbetour gehen kann. Welcher Investor will sein Geld in ein Land bringen, in dem Menschen auf der Straße gejagt werden? Wer bitte will das Risiko eingehen, seine IT-Fachleute ausgerechnet hierher zu versetzen? Spezialisten aus dem Ausland dürften lieber woanders hingehen. In Zeiten, in denen Deutschland händeringend Fachkräfte und international Anschluss an die neue, digitale Welt sucht, ist das Signal aus Sachsen also verheerend. Aus Sicht der Industrie sind die Horden von Chemnitz ein Risiko für den Standort Deutschland, und damit für jedes einzelne Unternehmen. Eigentlich eine ganz einfache Logik. Aber es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich herumgesprochen hat.

Zu lange hatte sich Deutschlands Managementelite aus dem politischen Alltag herausgehalten und so getan, als seien ihre Welt und die draußen zwei Welten, die man besser voneinander trennt. Bis es sich nicht mehr trennen ließ. Die freundlichen Gesichter in den internationalen Marketingbroschüren der deutschen Wirtschaft sehen eben so ganz anders aus als die wütende Menge, die jetzt in den internationalen Medien die Runde macht.

"Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel", hatte der Siemens-Chef getwittert

Manager reisen, sie sind viel unterwegs im Ausland, und da geht es nicht immer nur um Preise, Stückzahlen und Lieferzeiten. Manchmal redet man über die Kinder, die Familie, Kollegen. Und manchmal auch nur über das, was man gerade im Fernsehen gesehen hat. Deutsche Manager werden bei ihrem nächsten Meeting in New York, Singapur oder Mailand vielleicht auf diese Bilder angesprochen werden: Was ist da los bei euch? Können wir noch problemlos durch Deutschland fahren? Das Image eines Landes kann schnell unter die Räder kommen, und damit auch das Image eines großen Unternehmens.

Einer, der deshalb noch nie ein Problem hatte, politisch zu sein, ist Joe Kaeser. Bei einem Abendessen in Davos lobte der Siemens-Chef Anfang des Jahres zuerst den amerikanischen Präsidenten Donald Trump für seine Unternehmensteuerreform - und legte später großen Wert darauf, dass dieses Lob nicht gelte für die "Art, wie er auf rechtsradikale Demonstrationen reagiert". Nachdem die AfD-Politikerin Alice Weidel im Bundestag von "Kopftuchmädchen" und "Messermännern" gesprochen hatte, twitterte Kaeser im Mai: "Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel." Aus dem Dax-Vorstandsvorsitzenden Kaeser war da plötzlich eine Art Politaktivist geworden. Und ein Tabubrecher. Keine Stellungnahme zu politischen Themen? Es wird in Zukunft immer schwieriger für Manager sein, sich aus der Politik herauszuhalten.

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