Süddeutsche Zeitung

Auslandsgeschäft:Lukrative Nachbarschaftsgeschäfte

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Österreich ist für deutsche Firmen attraktiv. Doch wer sich hier engagieren will, muss einiges beachten.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Karsten Seehafer ist mehr als zufrieden. "Wir haben den Spatenstich und den Produktionsstart innerhalb eines Jahres geschafft. Es ist unvorstellbar, so was in Deutschland zu realisieren", sagt der Eigentümer und Geschäftsführer des Unternehmens Hanomag Härtecenter. Zehn Millionen Euro hat der Hannoveraner Autozulieferer in Taufkirchen im Innviertel investiert. Fortan werden 40 Mitarbeiter Bauteile aus Aluminiumguss für das nahe BMW-Werk in Steyr veredeln.

Das 60 Millionen Euro Umsatz starke Unternehmen ist einer von 638 deutschen Betrieben, die sich 2019 in der Alpenrepublik angesiedelt haben. Insgesamt sind laut österreichischem Firmenbuch 9808 Betriebe mit deutschen Eigentümern im Land tätig. Neben Tausenden kleinen und mittleren Unternehmen sind Branchengrößen wie Aldi, Bosch, MAN, Porsche und Siemens seit Jahrzehnten in der Alpenrepublik stark präsent - und ziehen, siehe Hanomag, bis heute Zulieferbetriebe nach.

Bei der Firmengründung ist der Notariatsakt auch online per Video möglich

"Österreich ist für deutsche Unternehmen sehr attraktiv. Es kann nun genau der richtige Zeitpunkt sein, die eigene Marktpräsenz etwa durch Übernahme eines Wettbewerbers oder Standortgründung mit staatlicher Unterstützung zu stärken", sagt Holger Frank, Leiter des Unicredit International Center der HVB. Die Bank Austria, die wie die HVB zur Unicredit Gruppe gehört, betreue einige Projekte.

Die hohe Kaufkraft von österreichischen Konsumenten und Firmenkunden sichern deutschen Händlern und Produzenten stabile Umsätze. Wird eine GmbH als österreichische Tochtergesellschaft gegründet, ist dies dank Digitalisierungsoffensive der österreichischen Bundesregierung als Online-Firmengründung mit Notariatsakt per Video möglich. "Unternehmen sind häufig überrascht, dass die Rahmenbedingungen für eine Ansiedelung doch anders sind als in Deutschland. Der Teufel steckt im Detail", sagt Tanja Spennlingwimmer, Leiterin Investorenmanagement der Standortagentur Oberösterreich.

Zu beachten sind etwa die Gewerbeordnung und Entsendungen von Arbeitskräften. Ähnliche Feinheiten gibt es bei den Finanzierungsinstrumenten. "In Österreich wird in der Regel 'unechtes' Factoring praktiziert, das bedeutet, dass von der Factoringgesellschaft in der Regel nicht 100 Prozent der Kreditrisiken übernommen werden", sagt Frank. Die Alpenrepublik setzt in der Standortpolitik stark auf regionale Innovationsschwerpunkte. "Für Investitionen von Hightech-Unternehmen und IT-Firmen sowie Forschungseinrichtungen internationaler Unternehmen ist die Nähe zu Kooperationspartnern aus der Wirtschaft und Forschung ein starker Anreiz," sagt Spennlingwimmer. Beispiele sind die Raumfahrtforschung der TU Graz für die jüngste Mission der Europäischen Raumfahrtagentur und das Institut für Machine Learning unter Leitung des bayerischen Experten für künstliche Intelligenz, Sepp Hochreiter an der Linzer Johannes Kepler Universität, das mit Bosch oder Merck Maschinenlernlösungen entwickelt.

Kleine und mittlere Betriebe werden besonders gefördert

Im internationalen Wettbewerb zieht die 14-prozentige Forschungsprämie gerade große Unternehmen ins Land. Denn anders als Deutschland fördert Österreich nicht nur Ausgaben für Personal, sondern auch für Einrichtungen, Immobilien und Technik, und dies ohne finanzielle Obergrenze. Der Chiphersteller Infineon investiert beispielsweise über 1,6 Milliarden Euro bis 2025 in eine voll automatisierte Halbleiterfertigung samt Entwicklung am Hauptsitz in Villach (Kärnten).

Junge, kleine und mittlere Betriebe unterstützt die Förderbank AWS beim Aufbau durch 80-prozentige Garantien für Investitions- und Betriebsmittelkredite. Üblich sind auch grenzüberschreitende Garantien von Hausbanken deutscher Betriebe. "Es gibt viele Varianten, aber meist kommt ein Finanzierungsmix von einem größeren Investitionskredit über die deutsche Muttergesellschaft und einer Kontoverbindung mit Kreditlinie am jeweiligen Ort zustande", weiß Banker Frank.

Häufig genutzt werden auch grenzüberschreitende Konsortialkredite mit mehreren Banken. Egal, ob Materialforschung, IT-Branche oder Maschinenbau, das beherrschende Thema ist auch in Österreich der Personalengpass. Vor der Krise war Mangel an Fachkräften eine Hürde für weiteres Wachstum. Zu Beginn des Jahres 2020 warnte etwa die Wirtschaftskammer vor 10 000 fehlenden IT-Kräften. Hier sollen künftig eine neue duale IT-Ausbildung sowie Fachhochschul-Lehrgänge Abhilfe schaffen.

In der Industrie ist die Lage weniger dramatisch als hierzulande. "Gerade mit dem HTL-Abschluss als nichtakademische, hoch qualifizierte Ausbildung können wir hier bei deutschen Technologie-Unternehmen punkten, auch im Vergleich zu den östlichen Nachbarn", sagt Spennlingwimmer. In gewissen Berufsgruppen lägen die Gehälter einen Tick unter jenen in Teilen Deutschlands.

Auf Mitarbeitersuche ist auch Hanomag in Oberösterreich. "Gutes Personal zu finden ist an allen Standorten unser größtes Problem. Wir haben nun Mitarbeiter aus Deutschland am Ort, suchen aber dringend Fachkräfte im Metallbereich", sagt Seehafer. Zu den Besonderheiten zählen die in der Alpenrepublik üblichen 14 Gehälter sowie die hohe Flexibilität bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. So kann eine Kündigung seitens der Arbeitgeber ohne Angabe von Gründen erfolgen, die Kündigungsfrist liegt je nach Vertragsdauer zwischen sechs Wochen und fünf Monaten. Österreich und vor allem Wien waren lange als Drehscheibe beliebter Standort von Firmenzentralen für Süd-Ost-Europa, so haben etwa Rewe und Henkel ihre überregionalen Sitze hier. Nun steigt die Zahl asiatischer Firmen in Ostösterreich, 2019 öffnete etwa die Industrial and Commercial Bank of China eine Niederlassung in Wien. Eine weitere Expansion ist auch für Hanomag-Eigentümer Seehafer denkbar, das Firmengelände in Taufkirchen macht eine Erweiterung möglich.

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SZ vom 24.07.2020
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