Ausgrenzung bei der Jobsuche:Headhunter im Ghetto

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Saïd Hammouche hat Diskriminierung in Frankreich erlebt und daraus ein Geschäftsmodell entwickelt.

Von Leo Klimm, Paris

Neulich im französischen Wirtschaftsministerium: Saïd Hammouche führt den Hausherrn Michel Sapin im Kongresszentrum des Ministeriums über eine Jobmesse. Es ist eine besondere Jobmesse.

Sie wendet sich an Berufsanfänger, die, wie es in Frankreich verschämt heißt, aus "schwierigen Vierteln" stammen. Aus den berüchtigten Banlieues, wo die Kriminalitätsrate hoch ist und die Hoffnung gering. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt dort bei 50 Prozent. Saïd Hammouche, als Kind marokkanischer Einwanderer in so einem Ghetto aufgewachsen, hat die Messe organisiert. Jetzt steht er in Nadelstreifen, Lackschuhen und mit breitem Grinsen neben Sapin - einem ziemlich typischen Vertreter der alten, weißen Elite Frankreichs.

Kein Zweifel: Hammouche hat es geschafft. Er hat alle Aufstiegsbarrieren überwunden - und zwar genau dadurch, dass er aus der strukturellen Diskriminierung von Menschen aus den "schwierigen Vierteln" ein Geschäft gemacht hat. Mit seiner Personalfirma Mozaïk RH vermittelt Hammouche Talente mit Hochschulniveau, die es natürlich auch in den Vorstädten gibt. Er nutzt ihren Erfolgshunger und ihre interkulturellen Fertigkeiten, um die in Mode gekommenen Diversity-Programme von Unternehmen zu ihrer Chance zu machen. Dabei versteht er sich auch als Alternative zu den Rekrutierern der Islamisten, die allzu gern den Frust in den Banlieues für sich nutzen. "Wir müssen wieder Hoffnung schaffen", sagt Hammouche. "Positive Beispiele aufzeigen."

Sein Geschäftsmodell setzt dort an, wo Gesellschaft und Wirtschaft in Frankreich versagen. Wo das große Versprechen der Republik der Égalité - der Gleichheit oder jedenfalls der Chancengleichheit - ebenso unerfüllt bleibt wie das Diversity-Versprechen der Unternehmen,ein Abbild der gesellschaftlichen Vielfalt zu sein. Das Forschungsinstitut France Stratégie gelangte kürzlich zu dem Schluss, dass die Wirtschaftsleistung des Landes ohne die absichtliche oder unabsichtliche Diskriminierung von Arbeitssuchenden nach Herkunft, Wohnanschrift oder Geschlecht sieben Prozent höher läge. Das entspricht jährlich 150 Milliarden Euro. Die mangelnde Eingliederung sogenannter "High Potentials" mit Migrationshintergrund, die aber meist nicht von angesehenen Universitäten abgehen, bremst die Wirtschaft demnach erheblich.

In Seine-Saint-Denis steht die "Cité des 4000", Häuserblöcke, die symbolisch dafür sind, was man in Frankreich "schwieriges Viertel" nennt. (Foto: Johannes Simon)

Wenn es um Neueinstellungen geht, ziehen die Personaler in französischen Firmen meist konventionelle Bewerberprofile vor. Das hat jüngst ein groß angelegter Test bei 40 großen Unternehmen gezeigt. Dabei wurden Tausende fiktiver Bewerbungen mit fast identischen Lebensläufen an die Unternehmen verschickt. Das Ergebnis: Bewerber mit arabischen Namen erhalten bei gleicher Qualifikation nur halb so oft eine Einladung zum Vorstellungsgespräch wie Kandidaten mit französisch klingenden Namen. Wegen solcher Ausschlussmechanismen landen auch qualifizierte Berufsanfänger mit Wurzeln im Maghreb, Schwarzafrika oder auf den Antillen überdurchschnittlich oft in prekärer Beschäftigung oder in der Arbeitslosigkeit.

"Selbst die dritte Einwanderergeneration wird an ihre Herkunft zurückverwiesen", sagt Hammouche. Dabei wollten junge, aufstiegsorientierte Menschen aus den Banlieues vor allem eines: Zugang zur französischen Mehrheitsgesellschaft und zu ihrem Verständnis von sozialem Erfolg.

Saïd Hammouche weiß, wovon er spricht. Er ist in Bondy aufgewachsen, einer Trabantenstadt im Nordosten von Paris. Der Vater Bauarbeiter, die Mutter Hausfrau. Als er mit 16 Jahren an den französischen Judomeisterschaften teilnehmen will, macht er eine prägende Erfahrung: Um starten zu dürfen, muss er erst Franzose werden. Er empfindet es als schmerzhafte Ausgrenzung.

Hammouche macht eine kaufmännische Ausbildung, arbeitet als Jugendlicher auf Wochenmärkten. Später verkauft er Hamburger bei der Fast-Food-Kette Quick. Parallel dazu schafft er es an eine der Massen-Unis, die seit den Siebzigern in den Vorstädten hochgezogen wurden. Er spezialisiert sich auf Personalmanagement. Als er sich bei renommierten privaten Beratungsfirmen wie KPMG um Jobs bewirbt, macht er wieder die Erfahrung des Zurückweisung. "Ich merkte, dass ich nicht die sozialen Codes besaß und nicht das Netzwerk." Hammouche bekommt trotzdem Arbeit: eine Stelle im öffentlichen Dienst, wo er Jobs besetzen soll. Doch weil, wie er findet, beim Staat nicht ergebnisorientiert gearbeitet wird, kündigt er bald - und gründet 2007 seine Personalvermittlung Mozaïk RH.

Der Erfolg der Firma ist beachtlich. In neun Jahren hat sie 3500 Neueinstellungen vermittelt und selber etwa 30 Jobs geschaffen. Der Umsatz von zuletzt 1,6 Millionen Euro wächst um ein Drittel jedes Jahr; Mozaïk RH ist profitabel und expandiert inzwischen auch in anderen Ballungsräumen außer Paris. Die Firma verkauft eine Vermittlungsleistung: Vor allem Konzerne mit großem Endkundengeschäft verspüren den Bedarf, ihre Mitarbeiterstruktur der gesellschaftlichen Realität anzupassen. Stichwort Vielfalt. Etwa die Hälfte der Konzerne aus dem Pariser Börsenindex CAC 40 zählt zu den Kunden von Mozaïk RH. Zu verdanken hat Hammouche das dem Umstand, dass er nicht gerade kontaktscheu ist. Und der Tatsache, dass die etablierten Headhunter ihm eine Geschäftslücke ließen. Die gehen, noch jedenfalls, nicht in die Vorstädte. Sie suchen an den immer gleichen Eliteunis nach immer gleichen Profilen.

Vom anonymen Lebenslauf hält er nichts - warum das Anderssein verstecken?

Den jungen Leuten aus den "schwierigen Vierteln" bietet Hammouche im Gegenzug für den Eintrag in seine Datei Gratiskurse in Lebenslauf-Schreiben und Trainings für Vorstellungsgespräche. Auch spezielle Coachings für Frauen gehören zum Programm. Die Bewerber bei Mozaïk RH bringen zwar alle formale Qualifikationen, interkulturelle Kompetenzen und viel Motivation mit, sagt Hammouche - aber auch die Eigenschaft, dass es ihnen an Selbstbewusstsein fehlt: Sie machen sich klein. Auch hier setzt Hammouche an. Vom anonymisierten Lebenslauf, wie er in Frankreich im Namen der Égalité lange gepriesen wurde, hält er nichts. Im Gegenteil, Hammouche lässt seine Leute Bewerbungsvideos aufnehmen. Sie sollen ihr Anderssein gerade nicht verstecken.

Allerdings: Hammouche wendet sich nur an jene, deren Ehrgeiz reicht, es bis an die Uni zu bringen. Damit reproduziert er ein französisches Schema der Eliten-Fixierung. Um die vielen Schulversager in den Banlieues kümmert er sich kaum.

Trotzdem glaubt er, mit Mozaïk RH einen Beitrag gegen die Perspektivlosigkeit in den Vorstädten insgesamt zu leisten. Die Erfolgsgeschichten, die so entstünden, gäben allen Mut. Sie zeigten, dass sozialer Aufstieg auch in diesem Frankreich möglich sei. "Ohne positive Gegenbeispiele", sagt Hammouche, "werden andere kommen und ihre extremistischen Gesellschaftsprojekte verkaufen."

© SZ vom 30.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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