Süddeutsche Zeitung

Ausbildung in Frankreich:Ticket zum Traumjob

Julika Groß hat es als erste Ausländerin auf die französische Eliteschule Ena geschafft. Die Uni macht Präsidenten, Premierminister und Wirtschaftsbosse.

Michael Kläsgen

Julika Groß erinnert sich, wie die Freunde sie neugierig fragten: "Und, was bist du jetzt?" "Beamter", sagt die Berlinerin und ahmt nach, wie ihrem Gegenüber daraufhin das Kinn herunterklappt. Die ganze Plackerei, das Büffeln an Weihnachten und Neujahr, nur um Beamter zu werden? Tatsächlich würde "hoher Beamter" die Sache eher treffen und trotzdem nicht genau beschreiben, was es (aus französischer Sicht) bedeutet, auf der Ena aufgenommen zu werden, der École nationale d'administration.

Fast die gesamte Elite des Landes - und in Frankreich ist das kein Schimpfwort - rekrutiert sich von dort. Die Ena produziert Staatspräsidenten (Giscard d'Estaing, Chirac), Premierminister (Jospin, Balladur, Juppé, Fabius), Unternehmenslenker (Gallois, Spinetta, de Castries, Mestrallet), Leiter internationaler Organisationen (Trichet, Camdessus, Lamy) und bekannte Intellektuelle (Attali, Minc).

Von jedem Jahrgang hängt ein Gruppenfoto in der Eingangshalle der Schule, die 1995 im Zuge der Dezentralisierung von Paris nach Straßburg zog. Julika Groß ist mit 24 eine der jüngsten ihres Jahrgangs - und obwohl Ausländern die Tür schon seit fünf Jahren offen steht, ist sie die erste Ausländerin, die den "Concours" bestanden hat, die Aufnahmeprüfung für Franzosen. Nicht jeder fände das erstrebenswert, denn man verpflichtet sich dazu, die nächsten zehn Jahre für den französischen Staat zu arbeiten. Wenn Groß vorher in die Privatwirtschaft wechseln oder nach Deutschland zurückkehren will, müsste sie sich "freikaufen". Aber daran denkt sie derzeit nicht. "Ich liebe dieses Land", sagt sie.

Als sie klein war, nahmen ihre Eltern, beide Grundschullehrer, sie und ihren Bruder oft mit in den Campingurlaub in der Bretagne. Sie begeisterte sich für die Sprache, wechselte auf ein französisch orientiertes Gymnasium und ging ein Jahr nach Montpellier. "Mit 16 wusste ich, dass ich in Frankreich leben möchte", sagt sie. An Deutschland kritisiert sie das Schulsystem und die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie; sie favorisiert die Ganztagsschule und klagt über die deutschen Unis: "Da reiße ich mir die Haare aus, wenn mein Bruder, Student an der Berliner FU, mir erzählt, dass ausgelost wird, wer an überfüllten Kursen teilnehmen darf." Den Bruder fixte Frankreich übrigens nie sonderlich an.

Ausland ist Pflicht

Sie hingegen ging nach dem Jahr in Montpellier auf das französische Gymnasium in Berlin und machte dort das beste Baccalauréat. Sie spezialisierte sich auf den Schwerpunkt Wirtschaft und Soziologie; auf der Ena gehört Wirtschaft zu ihren größten Interessen, "auch wenn Philosophie meine Leidenschaft bleibt". Nach der Ena will sie im Pariser Wirtschaftsministerium arbeiten.

Vom französischen Staat erhielt sie nach dem Bac ein Stipendium für das Studium am Institut d'études politiques in Paris. Im dritten Jahr ging sie, wie es Pflicht ist, ins Ausland, nach Madrid. Danach bereitete sie sich auf die Ena-Prüfung vor. Beim ersten Mal scheiterte sie an der 45-minütigen mündlichen Prüfung, bei der man von einer fünfköpfigen Jury vor Publikum nach allem und nichts gefragt werden kann.

Auf der nächsten Seite: Warum die ständige Anwesenheit von Professoren überflüssig ist.

Keine Seilschaften

Beim zweiten Mal klappte es, nach fünf fünfstündigen schriftlichen Prüfungen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen. Geprüft wird bei den "Externen", also Studenten wie ihr, öffentliches Recht, Wirtschaft, Allgemeinbildung. Man muss aus einem Wust von Aktenvermerken eine Ministervorlage schreiben und hat noch ein Wahlfach.

Groß findet das "Concours"-System gut: Es sei transparent, belohne messbare Leistung und verhindere das Entstehen von Seilschaften. Umfragen ergaben allerdings, dass Ena-Leute vorzugsweise ihresgleichen einstellen, weshalb ihnen vorgeworfen wird, eine sich begünstigende Kaste zu bilden, die die Modernisierung des Staates bremse. Außerdem seien sie Generalisten, die dort leitende Positionen besetzten, wo Spezialisten besser aufgehoben seien.

Theorie und Praxis

Auch wegen dieser Kritik hat die Ena ihr Ausbildungsprogramm neu ausgerichtet. Ein "großer Schritt" für die Schule war, sagt Groß, dass das Fach Management Einzug in den Lehrplan gehalten habe und die Studenten ein Praktikum in einer Firma machen müssen. Generell wechseln sich während der 27-monatigen Ausbildung Theorie und Praxis ab. Groß kehrte gerade von einem viermonatigen Praktikum beim EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia aus Brüssel zurück. Im Schnitt müssen die jungen Beamten in der Ausbildung, während der sie monatlich 1400 Euro erhalten, alle vier Monate umziehen.

Das macht die ständige Anwesenheit von Professoren überflüssig. Der einzige Dozent, der immer in Straßburg anwesend ist, ist der Sportlehrer. Auch Sport (Reiten, Golf, Modern Dance) geht wie jeder einzelne Ausbildungsschritt in die Benotung ein, zählt allerdings mit Abstand am wenigsten. So entsteht ein Ranking unter den knapp 80 Teilnehmern. Der Beste darf sich am Ende seinen Traumjob aussuchen.

Alle haben eine Jobgarantie. Um an manche Posten zu kommen (nicht nur den des Präsidenten), muss Julika Groß aber erst noch die französische Staatsangehörigkeit annehmen.

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SZ vom 12.6.2008/bön
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