Ausbildung im Mittelstand:Seinen Platz finden

Ausbildung im Mittelstand: Erst den Meister machen, dann einen Salon eröffnen. Amal Haji (l.), Auszubildende der Firma Liwell in Pforzheim, erläutert ihre Pläne der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (r.).

Erst den Meister machen, dann einen Salon eröffnen. Amal Haji (l.), Auszubildende der Firma Liwell in Pforzheim, erläutert ihre Pläne der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (r.).

Eine Ausbildung kann Migranten und Betrieben Chancen eröffnen. Wie die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen kann, zeigen einige Beispiele.

Von Dagmar Deckstein

Gerade noch hat er in der Restaurantküche die gusseiserne Pfanne mit den Bratkartoffeln routiniert geschwenkt, jetzt richtet er die Kartoffeln neben den Schweineschnitzelchen auf dem Mittagsbuffet in der Gaststube her. Daneben stellt er eine Terrine mit Maultaschen, die er eigenhändig gefüllt und gewickelt hat. Das überschwängliche Lob der Mittagsgäste besonders für diese "leckeren Maultaschen" machen den jungen Mann stolz wie Bolle und lassen ihn mit geschwellter Brust wieder in die Restaurantküche entschwinden.

Das alles wäre so besonders nicht, hieße der 20-jährige Azubi nicht Shahine und wäre er nicht vor zwei Jahren aus Aleppo in Syrien nach Deutschland geflüchtet. Eineinhalb Jahre hat er eine deutsche Schule besucht, absolvierte dabei einige Wochen lang ein Praktikum im Traditionsgasthof "Scharfes Eck" in Mühlacker bei Pforzheim. Karin Frommherz, Chefin des Hotelrestaurants in vierter Generation, befand damals sofort: "Der Shahine hat so gut in unser Team reingepasst, dass wir ihm gleich einen Ausbildungsplatz als Koch angeboten haben."

Wer die allfällige Klage deutscher Gastronomen kennt, sie fänden kaum noch Köche-Nachwuchs, kann ermessen, wie sehr hier nicht nur Wirtin Frommherz, sondern auch dem inzwischen recht passabel deutsch sprechenden Shahine gedient ist. Hat er doch zusammen mit Vater und Bruder bereits in Aleppo im familieneigenen Restaurant gearbeitet. Von der arabischen Küche, die er gewohnt ist, meint er, zu Maultaschen und Schnitzeln sei es nun auch nicht so ein großer Schritt. Außer, dass er als gläubiger Muslim Schweinernes nicht isst und auch nicht in der Küche abschmeckt. "Das überlasse ich den Kollegen." Aber über sein neues Lieblingsgericht, das er hier im Badischen kennen- und schätzen gelernt hat, lässt er nichts kommen: "Spätzle." Chancen also gibt es vor allem im Mittelstand und für den Mittelstand, was die berufliche Integration von Flüchtlingen anbetrifft.

Mit 11,5 Milliarden Euro Umsatz und weltweit 76 000 Mitarbeitern zählt Deutschlands viertgrößter Automobilzulieferer Mahle zu einem der ganz Großen im Mittelstand. Der Stuttgarter Spezialist für Motorkomponenten wie Kolben und Kühler bildet am Standort Stuttgart 190 Azubis in 30 verschiedenen Berufen aus, darunter inzwischen gerade mal vier Flüchtlinge. Weitere 15 Syrer, Afghanen, Iraner und Eritreer, zwischen 18 und 30 Jahren alt, absolvieren zwischen Berufsschule und Mahle-Lehrwerkstatt gerade ihre sogenannte Einstiegsqualifizierung, eine Art Langzeitpraktikum mit angeschlossenem Deutsch- und Sozialkundeunterricht über maximal ein Jahr.

In dieser Zeit loten Betrieb und künftige Azubis auch die Kompetenzen und Neigungen der Flüchtlinge aus. Oder, wie Mahle-Ausbildungsleiter Martin Thum sagt: "Mit den jungen Leuten ein Bewerbungsgespräch zu führen, ist sinnlos. Da hören Sie nur Floskeln. Zumal Berufsausbildung im dualen deutschen System für die allermeisten ein abstraktes Thema ist." Also heißt es, in der Praxis herauszufinden, was die jungen Leute können und wollen.

Inzwischen weiß Mostafa Khalidi, einer der vier Mahle-Auszubildenden im Lehrberuf Industriemechaniker, was er will. Mit seinen 30 Jahren ist Mostafa, der vor drei Jahren in Baden-Württemberg ankam, der Methusalem unter den qualifizierungswilligen Ausländern. Aber er ist guten Mutes, nach der Berufsausbildung einen guten Arbeitsplatz zu bekommen und eine Familie gründen zu können. Natürlich in Stuttgart, der Stadt, die er liebt: "Ich habe in den letzten drei Jahren schon so viele gute Freunde hier gefunden."

"Profitieren werden wir langfristig alle."

Das gilt auch für Muhamad Ali, 24, der vor eineinhalb Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen ist, aber wie Mostafa schon ein sehr passables Deutsch spricht. In Latakia hatte Muhamad bereits fünf Jahre lang Mechatronik studiert, und das, sein gutes Deutsch und seine hohe Motivation machen ihn zu einer Art Klassenprimus unter den Mahle-Azubis und Azubi-Anwärtern: In Kürze wird Muhamad an der Dualen Hochschule in Stuttgart sein Mechatronik-Studium wieder aufnehmen, begleitend zur praktischen Ausbildung bei Mahle. Im Gegensatz zu seinem Kollegen hegt Muhamad aber einen ganz anderen Lebenstraum: "Ich möchte in Syrien eine U-Bahn bauen."

Bis der derzeit fast ausweglos erscheinende Syrien-Konflikt beendet ist und eine befriedete Heimat die Realisierung von Muhamads Traum zulässt, dürfte noch einige Zeit vergehen. Währenddessen ist sich Mahle-Arbeitsdirektor Michael Glowatzki sicher, dass "wir zwar erst mittelfristig unter den neuen Flüchtlingen die künftigen Fachkräfte finden, die wir dringend brauchen. Aber profitieren werden wir langfristig alle, sowohl unser Unternehmen als auch die Flüchtlinge selbst."

Aber, fügt Glowatzki warnend hinzu: "Berufliche Integration von Flüchtlingen ist kein Sprint, sondern es wird ein Marathon werden."

Diesen Marathonlauf zu unternehmen, verlangt allen Beteiligten, Betrieben wie integrations- und lernwilligen Flüchtlingen, hohen Einsatz ab. Auch und vor allem im mittelstandsgeprägten und wirtschaftlich erfolgreichen Baden-Württemberg, in dem sich mittlerweile der Fachkräftemangel schwer bemerkbar macht. Nach einer IHK-Befragung ringt ein Drittel der Unternehmen um Nachwuchs. Doch der ist mit Flüchtlingen eben nur langfristig zu beheben.

Im vergangenen Jahr kamen 98 000 Asylbewerber nach Baden-Württemberg, 2016 waren es bis Ende September 28 000. Gemessen an dieser Zahl nehmen sich die bisherigen Erfolge beruflicher Integration relativ bescheiden aus: In diesem Jahr haben in Baden-Württemberg etwa 14 500 Flüchtlinge eine Arbeit aufgenommen. Eine Berufsausbildung, wie etwa Muhamad und Mostafa bei Mahle, haben landesweit seit dem Start des neuen Lehrjahres am 1. September gerade mal 600 junge Zuwanderer begonnen. Keine Frage, dass das auch mit einer Grundvoraussetzung zusammenhängt: Ohne ausreichend gute Deutschkenntnisse liegt für die jungen Menschen eine Berufsausbildung erst einmal in weiter Ferne. Heißt es doch, auch dem Berufsschulunterricht folgen zu können sowie schriftliche und mündliche Prüfungen zu bestehen.

Was das betrifft, haben auch Azeezah Sado, 19, Amal Haji, 17, und Shurook Quaidy, 18 Jahre alt, ihre Erfahrungen gemacht. Die drei freuen sich, bei der Liwell-Friseurkette in Pforzheim einen Ausbildungsplatz ergattert zu haben. Alle drei stammen aus dem Irak. Zwei sind vor sechs Jahren, Amal schon vor acht Jahren nach Deutschland gekommen, alle drei haben mehr oder weniger mühsam Deutsch gelernt und schließlich auch den Hauptschulabschluss geschafft. Jetzt lernen sie das Friseurhandwerk beim Liwell-Gründer Wolfgang Plail im zweiten und dritten Lehrjahr, unter strenger Aufsicht von Ausbilderin Anita Spindler.

Beide Friseure betreiben mit 60 Friseuren und zusätzlich knapp 20 Azubis fünf Friseurläden in und um Pforzheim herum.

Wer einmal mit seinem eigenen Friseur über Nachwuchsprobleme gesprochen hat, weiß, dass auch in dieser Branche die Nachwuchssorgen seit Jahren zunehmen. "Die Bereitschaft, den Kunden zu dienen, scheint bei Deutschen weniger zu werden", sagt Plail. "Außerdem freuen wir uns über jede Bewerberin mit ausländischen Wurzeln, weil wir hier in Pforzheim schon seit vielen Jahren eine multikulturelle Kundschaft bedienen." Und: ohne Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, das räumt er offen ein, würde er längst nicht mehr genügend Personal finden. Auch Amal, die erst im Alter von elf Jahren erstmals eine deutsche Schule besuchte, weiß, wie es funktioniert: "Du musst Deutsch, Deutsch, Deutsch lernen! Erst wenn man die Sprache kann, kann man viel erreichen, sein Leben in die eigene Hand nehmen."

Amal hat sich in dieser Hinsicht ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: "Ich möchte hier bei Liwell meinen Friseurmeister machen und einen eigenen Salon eröffnen."

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