Aus für Quelle:Ignoranz des Großsprechers

Quelle war längst nicht mehr zu retten, doch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer übertönte das Totenglöckchen - denn es war Wahlkampf.

Marc Beise

Jedes Jahr scheitern in Deutschland mehr als 30.000 Unternehmen, viele von ihnen endgültig. Das Schicksal macht dabei vor großen Namen nicht halt: Borgward, Kreidler, Nixdorf, Dual Plattenspieler und bald auch Quelle - vertraute Marken sind nur noch Erinnerung. Jeder Fall für sich ist bitter: für die Angestellten, die fast ihr ganzes Berufsleben eingesetzt haben. Für Eigentümer und Gläubiger, die ihr Geld verlieren. Für die Region, deren Jobmotor stottert. Was im Einzelfall schmerzt, ist indes grundsätzlich völlig normal. Das Leben besteht aus Veränderungen, keine Struktur ist für die Ewigkeit; die Wirtschaft macht da keine Ausnahme. Haarsträubend sind Unternehmensuntergänge nicht an und für sich, haarsträubend sind die vermeidbaren Katastrophen - so wie jetzt in der Region Nürnberg/Fürth.

Dort ist der Versandhändler Quelle am Ende, nach 82 Jahren. Sämtliche Rettungsbemühungen für die insolvente Firma mit 10.500 Beschäftigten sind gescheitert; es bleibt die Abwicklung. Quelle ist ein Symbol. Bei kaum einem anderen Unternehmen lässt sich vielfältiges Versagen so klar benennen. Den Banken, die nun kein Geld mehr geben, kommt dabei noch die geringste Schuld zu. Es mag bizarr wirken, dass ausgerechnet die BayernLB und die Commerzbank, die selbst vom Staat gerettet wurden, ihrem Kunden Quelle eben diese Rettung versagen. Und doch ist es richtig so. Bei den Banken hatte der Staat keine Wahl, koste es, was es wolle. Wenn ein Institut wie die Commerzbank fallen würde, würde wohl der Finanzmarkt kollabieren. Wenn Quelle fällt, geht das Leben weiter. Dass die Banken schlechtem Geld nicht gutes hinterherwerfen, liegt im Interesse der Steuerzahler, die beide Geldhäuser mit Milliardensummen stützen.

Schuld an dem Desaster sind andere. Zunächst und vor allem die Eigentümerfamilie, der Schickedanz-Clan. Was die Eltern Gustav und Grete aufgebaut haben, ist der Erbin Madeleine nun zerbrochen. Anders als Maria-Elisabeth Schaeffler hat Schickedanz das Unternehmen nicht durch größenwahnsinnige Aktivitäten gefährdet, sondern im Gegenteil durch fahrlässige Passivität.

Immer schien die Milliardärin mehr Opfer als Täter zu sein. Opfer zunächst der Eltern, die für ihr Unternehmen lebten und die Tochter in einem riesigen Haus vergruben. Die derart Abgeschottete erlag später dem Charme zahlreicher Ratgeber, weil sie offenkundig selbst keinen Kompass hatte.

Statt einen klaren Schnitt zu machen, vertraute sie ihren Ehemännern und hievte diese in Führungspositionen, denen sie nicht gewachsen waren. Als Krönung allen Übels verfiel sie dem Geldjongleur Thomas Middelhoff, einem smarten Großmanager, dem die sensiblen Bertelsmänner in Gütersloh misstraut hatten, je größer das Rad geworden war, das er drehte. Madeleine Schickedanz war das keine Warnung, sie machte den geschassten Medienmanager zum großen Bellheim; sie gab ihm alle Freiheiten und hielt fest zu ihm, auch dann noch, als klar war, dass er nicht der Richtige war für das mittlerweile mit Karstadt verwobene Fürther Unternehmen.

Wieder zog Middelhoff alle Register. Er versprach viel, lieferte wenig. Er verpasste dem Traditionshaus einen Kunstnamen, verkaufte den Immobilienschatz, um dann allzu hohe Mieten zu zahlen.

Es war alles ein großes Spiel, ein Spiel freilich ohne persönliches Risiko. Als das Unternehmen schon darbte, lebte der angestellte Chef noch auf großem Fuß. Durch den Niedergang der Quelle AG verlor Schickedanz einige Milliarden Euro ihres Privatvermögens; so ist es richtig. Middelhoff dagegen musste nie draufzahlen, im Gegenteil.

Und dann die Politik. Auch hier war ein Großsprecher am Werk: Horst Seehofer, der Populist, ist in Wahlkampfzeiten noch irrationaler als sonst. Der bayerische Ministerpräsident überzog seinen Wirtschaftsminister von der FDP mit Spott und Zorn, weil dieser aussprach, was viele wussten: Quelle ist nicht zu retten. Seehofer aber wollte das nicht wahrhaben. Die Politik kann die Wirtschaft nicht nach ihrem Willen formen? Das wäre doch gelacht! Sprach's und hielt Hof vor Ort, spendierte Millionen aus der Staatsschatulle. Die FDP habe kein Herz für die Region, ächzte der große Mitfühler. Kein Herz? Vielleicht; aber immerhin Verstand. Hätte er nicht versucht zu helfen, sagt Seehofer heute, könne er sich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen. Manchmal aber ist der Blick in die Bücher besser als der in den Spiegel.

Wenn alles gutgeht, sieht der Freistaat sein zuletzt spendiertes Geld wieder. Dann wäre kein finanzieller Schaden da, immerhin. Aber eine Schande wäre es trotzdem. Middelhoff und seinesgleichen vor allem, zuletzt auch noch Seehofer ein wenig, haben mit den Menschen bei Quelle gespielt - und sich, mit unterschiedlichem Erfolg, bereichert. Middelhoff ging es ums Geld, Seehofer um Wählerstimmen. Den CSU-Chef immerhin hat die irdische Gerechtigkeit schon bei der Bundestagswahl in Gestalt eines schlechten Ergebnisses erreicht, Middelhoff ist bisher davongekommen. Gut ist das nicht. Was Manager wie er der Idee und der Akzeptanz der Marktwirtschaft antun, können die vielen integren Familienunternehmer in Deutschland in Jahren nicht wieder gutmachen.

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