Süddeutsche Zeitung

Aus für EnBW-Chef Claassen:"Rambo unter Deutschlands Managern"

Lesezeit: 3 min

Utz Claassen wirft hin. Wegen Kungelei hinter seinem Rücken will der Sanierer weg vom Stromkonzern EnBW. Vielleicht träumt der Buchautor und Talkshowgast von seinem nächsten großen Sanierungsfall - Deutschland.

Peter Martens

Seit geraumer Zeit ist Utz Claassen in den Schlagzeilen, doch mit dieser Nachricht hat wohl doch kaum jemand gerechnet. Der Vorstandschef des drittgrößten deutschen Versorgers Energie Baden-Württemberg (EnBW) wirft hin. Spätestens im Frühjahr nächsten Jahres ist Schluß, ließ der große Sanierer verlauten, für eine Vertragsverlängerung bei EnBW stehe er nicht zur Verfügung.

Zunächst sieht es so aus, als sei der 43-Jährige amtsmüde. Zur Begründung schiebt Claassen ein ganzes Paket von Ursachen vor: "strukturelle, professionelle, persönliche und familiäre Gründe" seien für den unerwarteten Schritt ausschlaggebend gewesen.

Später meldet es der Südwestrundfunk etwas anders: Der überraschende Rückzug des EnBW-Vorstandschefs gehe auf die beiden Mehrheitsaktionäre des Karlsruher Stromkonzerns zurück. Der französische Stromriese Electricité de France (EDF) und der kommunale Verband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) hätten sich hinter Claassens Rücken auf einen möglichen Nachfolger geeinigt, berichtet der SWR. Als Claassen am Dienstag davon erfahren habe, habe er die Konsequenzen gezogen.

Damit kündigt ein Manager seinen Rücktritt an, der zu den bestbezahlten in Deutschland gehört - 3,28 Millionen Euro im letzten Jahr - und der schon immer gehörig zu polarisieren wusste.

Claassen ist unbestritten eine Figur in den Führungskreisen der Wirtschaft und auch in der Öffentlichkeit. Seit 2003 ist der gebürtige Hannoveraner Vorsitzender des EnBW-Vorstands und in dieser Eigenschaft ein großer Verfechter längerer Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland.

Ein Herz für Kinder und Kernkraft

Der Vorstandschef ist fußballbegeistert, hält BWL-Vorlesungen vor Studenden in seiner Heimatstadt und tritt regelmäßig als Gast in diversen Talkshows auf. Oft genug muss Claassen dort erklären, warum der Strom schon wieder teurer wird. Kurz vor Weihnachten letzten Jahres gab es dafür einen schönen Termin: EnBW zahlte für den Spickzettel von Nationaltorwart Jens Lehmanns aus dem WM-Spiel gegen Argentinien eine Million Euro, Unternehmenschef Claassen durfte die Spende für den guten Zweck in der ZDF-Gala "Ein Herz für Kinder" präsentieren.

Doch seinen Ruf erwarb sich Claassen vor allem als Sanierer. Vor seinem Einstieg beim Karlsruher Energieversorger arbeitete sich Claassen bereits an zwei anderen großen Sanierungsfällen ab: Er war für die VW-Tocher Seat tätig und führte den Göttinger Messgerätehersteller Sartorius.

Auch EnBW brachte Claassen auf Vordermann: Er war 2003 zum EnBW-Chef berufen worden und hatte den angeschlagenen einstigen Mischkonzern wieder in die Gewinnzone gebracht. Zahlreiche Unternehmensbeteiligungen wurden verkauft und 2.100 Arbeitsplätze gestrichen.

Obwohl der Hannoveraner zu Beginn seiner Zeit in Baden-Württemberg mit Ehefrau und Mutter auf Tour geht, um Sympathien unter Politikern und Geschäftspartnern zu sammeln, bezeichnet ihn der Bürgermeister von Singen und spätere CDU-Sozialminister Andreas Renner als "Rambo unter den deutschen Managern".

"Der Rambo unter den deutschen Managern"

Claassen reagiert auf seine Weise: Er verlangt zunächst Schadensersatz, geht später in die Videothek, um sich "Rambo" auszuleihen - er wolle "ja immer lernen", kommentiert der Unternehmenschef. Noch später muss der CDU-Politiker Renner sein Amt niederlegen - und ausgerechnet Claassen holt ihn zu EnBW.

Auch als die Staatsanwaltschaft gegen den Vorstandschef Anklage erhebt, weil er 2006 seine Verbindungen zum Fußball genutzt und Politiker zu WM-Spielen eingeladen haben soll, überzieht Claassen die Behörde mit Dienstaufsichtsbeschwerden.

Demnächst muss er sich in dieser Angelegenheit trotzdem wegen des Vorwurfs der Vorteilsgewährung vor Gericht verantworten. Doch das habe bei seinem Rücktritt keine Rolle gespielt, so die Einschätzung von Insidern. Zudem sei Claassen in dieser Hinsicht von seiner Unschuld überzeugt.

Vielleicht strebte der große Sanierer sowieso seit geraumer Zeit nach Höherem. Kürzlich sanierte Claassen zunächst seinen eigenen Körper - er ließ sich in seinem pausbäckigen Gesicht ein Bärtchen stehen, rasierte es wieder runter und nahm einige Kilo ab.

Claassens "Mut zur Wahrheit"

Zusätzlich trat Claassen als Publizist in Erscheinung - im Frühjar dieses jahres veröffentlichte er ein Buch mit dem sprechenden Titel "Der Mut zur Wahrheit". Ohne dass dies jemand von ihm erwartet hätte, breitet der Sanierer darin einen Sanierungsplan für Deutschland aus. Wenn es mit Seat, Sartorius und EnBW geklappt hat, warum nicht gleich die ganze Bundesrepublik?

Kritiker des Werks halten dem Autor immerhin zugute, dass er seine Erfahrungen in der Wirtschaft nicht eins zu eins auf die Politik überträgt. So erkennt Claassen, dass ein Bürger kein Mitarbeiter ist und ein Staat keine Firma. Doch sowohl die Probleme - Bildungsnotstand, Demographie, Globalisierung, die faulen Deutschen, als auch die Lösungen - mehr Bildung und Kinder, weniger Schulden - klingen seltsam bekannt und abgenutzt.

Dafür präsentiert der Autor alles in schönstem McKinsey-Vokabular à la "sachbezogene Problemlösungsorientierung", "gesellschaftlich-ökonomische Prozesskette" oder "ein Amalgam vielschichtiger Definitionen".

Claassens Strategie für den "Sanierungsfall Deutschland" greift nicht. Es sei die Tragik eines Sanierers, dass er sich irgendwann zu Höherem berufen fühle und Großes gestalten wolle, anstatt immer nur abzuräumen und umzuräumen, was ihm andere hinterlassen, schreibt die Zeit.

Während seiner Zeit als Seat-Finanzchef wurde Claassen im fahrenden Auto beschossen. Gelegentlich empfiehlt sich für große Sanierer ein gepanzertes Auto. In der Branche wird spekuliert, Claassen wolle nun als Berater ins Ausland gehen.

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